Die nächste Innovationswelle in der Herzmedizin

 

DGTHG-Jahrestagung 2025 | Auf der 54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) hielt Prof. Friedhelm Beyersdorf, Universitätsklinikum Freiburg, einen Vortrag mit dem Titel „The Coming Wave – Aktuelle und zukünftige Innovationen in der kardiovaskulären Medizin“. Im Interview erläutert er zentrale Entwicklungen und Herausforderungen in der Herzchirurgie und Herzmedizin.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

18.03.2025

 

 

Bildquelle (Bild oben): Presse DGTHG 

HERZMEDIZIN: Welche Entwicklungen haben Sie in Ihrem Vortrag vorgestellt?


Beyersdorf: Der Titel meines Vortrags „The Coming Wave“ ist abgeleitet von dem gleichnamigen Buch des KI-Pioniers Mustafa Suleyman, in dem er ausführlich die möglichen Folgen der rasanten Fortschrittswelle durch die Künstliche Intelligenz schildert. Mein Vortrag bezog sich allerdings nicht nur auf die KI, sondern weitergefasst auf die tiefgreifenden Veränderungen, die wir in der kardiovaskulären Medizin erleben.


Bereits in den letzten 70 Jahren haben wir faszinierende Entwicklungen in der Herzchirurgie und -medizin durchlaufen: angefangen bei Eiswannen zum Herunterkühlen der zu operierenden Personen oder das Cross-Circulation-Verfahren, bei dem ein Elternteil vorübergehend als lebende Herz-Lungen-Maschine für das zu operierende Kind diente, und die ersten Herz-Lungen-Maschinen mit ihren monströsen Ausmaßen. Wenige Jahrzehnte später nutzen wir heute kleine, praktikable Geräte einschließlich ECMO und ECLS oder Linksherz-Unterstützungssysteme (LVAD), die selbst für Säuglinge geeignet sind. Roboterassistierte Klappenchirurgie wird Standard, neonatale Herztransplantationen ermöglichen lebensrettende Eingriffe bereits in den ersten Lebenswochen, und Maschinenperfusion verbessert die Organkonservierung. Das sind nur einige Beispiele und wir stehen an einer noch viel weitreichenderen Schwelle für die Zukunft.

3 wegweisende Trends

 

HERZMEDIZIN: Welche technischen Fortschritte werden Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren den klinischen Alltag besonders prägen?


Beyersdorf: Da sehe ich insbesondere drei Trends, die sich weiter durchsetzen werden: Erstens – da muss man kein Prophet sein – der umfassende Einsatz von KI, der uns helfen wird, Risiken –auch in Echtzeit während der OP – besser zu berechnen, perioperative Prozesse zu optimieren und postoperative Verläufe präziser vorherzusagen. Dabei werden auch Virtual Reality und das sogenannte Metaverse zunehmend Einzug in den OP halten.


Zweitens die Robotik, die es ermöglicht, Eingriffe noch präziser und schonender durchzuführen, insbesondere mit der Integration von taktilem Feedback und in Kombination mit KI und VR, wo beispielsweise Gefäße und Strukturen visuell hervorgehoben werden. Es gibt auch erste Tierversuche mit autonomen Robotern bei Darm-OPs; bis zum klinischen Einsatz ist es aber noch ein langer Weg.

 

Als dritten Trend sehe ich die Einzel- und Multi-Organ-Reparatur einschließlich innovativer Ansätze wie die Mitochondrien-Transplantation und kontrahierende Patches. Das grundsätzliche Potenzial für eine Multi-Organ-Reparatur zeigte beispielsweise eine Freiburger Studie, bei der Schweine auch nach 20-minütigem Herz-Kreislauf-Stillstand mittels spezieller Reperfusionstechnik (dem sog. CARL-Verfahren (Controlled Automated Reperfusion of the whoLe body) mit in 90 % aller Fälle ohne messbare neurologische Defizite reanimiert werden konnten – und in einer ersten klinischen prospektiven Beobachtungstudie ein 2- bis 3-fach höheres Überleben ermöglichte.


Darüber hinaus kommen noch viele weitere Innovationen, beispielsweise die auf Quantentechnologie basierende Photon-Counting-CT, die aufgrund der hohen Bildqualität schon bald diagnostische Herzkatheter obsolet machen könnte, sowie längerfristig Xenotransplantationen als wichtigen Ansatz zur Bewältigung des Transplantatmangels.

Zur Person

Prof. Friedhelm Beyersdorf

Prof. Friedhelm Beyersdorf ist Herzchirurg und war Präsident der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) (2021–2022) sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) (2009–2011). Seit April 2022 ist er nicht mehr klinisch tätig, aber weiter als Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg angestellt.

Bildquelle: Universitätsklinikum Freiburg

HERZMEDIZIN: Welche Herausforderungen bringt dieser rasante Wandel mit sich?


Beyersdorf: Zu Beginn jeder neuen Technologie gibt es Herausforderungen, von ganz klein bis ganz groß. Das sieht man derzeit auch bei den Large Language Models wie Chat GPT, die bei bestimmten Anforderungen sogenannte „Halluzinationen“, also Fehlinformationen, erzeugen. Ähnliches gilt auch in der Medizin: Nicht alles, was innovative Systeme liefern, ist sofort korrekt oder wissenschaftlich fundiert. Daher müssen wir diese Technologien genau überprüfen und validieren, bevor sie breite Anwendung finden.


Es zeichnen sich aber auch noch viel tiefgreifendere Entwicklungen ab, getrieben von Quanten-, Bio-, Nanotechnologie und Künstlicher Intelligenz. Man kann hier wirklich von einer Revolution sprechen. Seit Menschengedenken nehmen wir auf materieller Ebene Veränderungen vor – ob durch Feuer, Dampfkraft oder Elektrizität; jetzt verändern wir als Menschen zum ersten Mal die Intelligenz und die Regeln des Lebens selbst. Man denke hier auch an Ansätze wie Artificial Life und Rejuvenation. Da kann einem schon schwindelig werden, bis hin zu existenziellen Fragen, ob es den Menschen als solchen morgen überhaupt noch gibt.


„Great challenges lead to unlimited opportunities“ hieß es in meinem Vortrag. Es sollte uns um das aktive Gestalten all dieser Veränderungen gehen – Erfolg kommt mit dem Tun. Dazu wurde beispielsweise auf dem Gebiet der Herzchirurgie vor drei Jahren das Innovation Committee der EACTS (European Association for Cardio-Thoracic Surgery) gegründet, bei dem ich Vorsitzender bin. Wir möchten die internationale und interdisziplinäre Vernetzung vorantreiben und setzen uns für praktikable Regulierungen ein, Stichwort Medical Device Regulation, um Innovationen im europäischen Raum zu fördern, die Risiken zu managen und die großen Chancen für eine bessere Patientenversorgung zu nutzen.

Menschliche Skills in der digitalen Ära

 

HERZMEDIZIN: Das Motto des Kongresses lautete „Tradition und Transformation“. Wir haben viel über Veränderungen gehört. Was bleibt an Tradition?


Beyersdorf: Tradition bleibt trotz aller Transformation immer ein wichtiger Bestandteil, allein schon als Vergleich und zur Orientierung. Sie hat viel Gutes: Verlässlichkeit, bewährte medizinische Praktiken und die vertrauensvolle Arzt-Patienten-Kommunikation, die wichtig für den Behandlungserfolg ist. Doch nicht alles, was Tradition hat, ist automatisch positiv. Manches akzeptieren wir nur, weil wir uns daran gewöhnt haben. Ein Beispiel sind perioperative Komorbiditäten, die hingenommen werden, obwohl sie vermeidbar oder besser behandelbar sein könnten. Es geht also darum, das Beste aus der Tradition zu bewahren und gleichzeitig durch Transformation Verbesserungen voranzutreiben – mit der Bereitschaft auch mal ganz neue Wege zu gehen, so wie es die Kardiologie in der Vergangenheit mit Transkatheterklappen vorgemacht hat.


Außerdem möchte ich gerne auf drei zentrale Tugenden hinweisen, die in Zeiten der Digitalisierung zunehmend verloren zu gehen scheinen: zielgerichtetes Arbeiten, Resilienz und ein gesunder Umgang mit Fehlern. Ohne klare Richtung geht es nicht. Heutzutage gibt es unendlich viele Ablenkungen – Social Media, ständiger Informationsfluss ... Man muss sich fragen: Wo will ich hin? Und dann auch tatsächlich etwas tun. Dabei erleben wir alle Rückschläge; es gibt nicht immer die goldene Siegerurkunde. So ist das Leben und es hilft nichts, sich zu verkriechen. Man muss weitermachen und natürlich passieren auch Fehler – das ist völlig normal. Aber das Entscheidende ist, daraus zu lernen. Man sollte Fehler nicht dramatisieren, sondern als Chance zur Verbesserung sehen. Und wenn auch noch andere daraus lernen, umso besser!


Referenzen

 

Beyersdorf F. The Coming Wave - Aktuelle und zukünftige Innovationen in der kardiovaskulären Medizin. Session: Tradition und Transformation der Herzmedizin. 54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), 15.–17. Februar 2025, Hamburg.

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