20 Jahre TAVI – Was ist erreicht, worin bestehen zukünftige Herausforderungen?

Pressestatement von Dr. Thomas Schmitz, Essen, Tagungspräsident „AGIKlive“ 2023

Bonn, 5. Oktober 2023 – Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass unsere Gesellschaft immer älter wird. Bis 2050 wird für die weltweite Anzahl der Personen, die über 60 Jahre alt sind, schätzungsweise auf über 2 Milliarden ansteigen. Das stellt uns auch in der Medizin vor neue Herausforderungen. Ein Beispiel: Wissenschaftler:innen aus dem Vereinigten Königreich haben Daten zu moderaten und schweren Herzklappenerkrankungen ausgewertet und daraus eine Prognose errechnet. Im Jahr 2012 gab es rund 500.000 diagnostizierte und knapp 1,5 Mio. undiagnostizierte Fälle. Für das Jahr 2040 werden bereits 1 Mio. diagnostizierte und rund 2,8 Mio. undiagnostizierte Fälle geschätzt. Auch für Deutschland ist ein ähnlicher Trend zu erwarten und damit ein drastischer Anstieg der Anzahl neuer Patientinnen und Patienten.

 

Studienlage: Siegeszug der TAVI, wie ist die aktuelle Situation?

 

Ein Verfahren, das sich bei der Behandlung von Herzklappenerkrankungen in den letzten 20 Jahren bewährt und als besonders schonend erwiesen hat, ist die Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI). Es wird verwendet, um Aortenklappen zu ersetzen, die relavant verengt sind. In den vergangenen 12 Jahren gab es zahlreiche Studien, die dazu geführt haben, dass in den europäischen Leitlinien eine Klasse-IA-Empfehlung für eine TAVI-Therapie für Personen über 75 Jahren festgelegt wurde. In den USA liegt die Altersempfehlung sogar bei 65 Jahren. Für Deutschland gibt es ein gemeinsames Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), in dem für Patient:innen zwischen 70 und 75 Jahren ein sogenanntes Heart Team im Einzelfall die Entscheidung für oder gegen eine TAVI-Therapie treffen soll. Auch hierzulande ist die starre Altersgrenze von 75 Jahren also schon deutlich aufgeweicht.

 

Allerdings spielt nicht nur das Alter eine Rolle, sondern auch die physiologischen Voraussetzungen der Patient:innen. Liegt zum Beispiel eine Dreigefäßerkrankung oder eine Porzellanaorta vor, könnte auch bei einem 65-Jährigen die TAVI die bessere, da sicherere Wahl sein. Ohne nennenswerte Vorerkrankungen und geringem chirurgischen Eingriffsrisiko würde man hierzulande aber nach wie vor die Operation (SAVR) bevorzugen.

 

Wenn die Tendenz dahingeht, dass wir immer jüngere Patientinnen und Patienten behandeln, dann müssen wir auch bedenken, dass sie im fortschreitenden Alter eine Koronare Herzkrankheit (KHK) entwickeln können. Das bedeutet, dass die Gefäße trotz vorhandener TAVI auch zukünftig noch gut erreichbar sein müssen, falls es hier zu einer Behandlungsnotwendigkeit kommt. Anfangs gab es dabei noch Schwierigkeiten, mittlerweile haben wir aber sehr gut gelernt, wie wir das Delivery-System bedienen und die Klappen setzen müssen, um später noch einen möglichst unkomplizierten Koronarzugang zu gewährleisten. Die Align-TAVR-Studie aus dem Jahr 2022 hat gezeigt, dass es Probleme bei der Sondierung der Koronarien bei nur noch zu 6 % nach Implantation der Evolut-Klappe gibt, gar nicht mehr bei der Sapien-Klappe (0 %) und nur noch zu 3 % bei Acurate-Klappen. Auch das ist also eine sehr gute Entwicklung im Vergleich zu den Anfängen. Zudem zeigen die 10-Jahres-Daten aus der NOTION Studie, dass auch die Haltbarkeit, der bei einer TAVI eingesetzten Klappen gegenüber chirurgischen implantierten Klappen punkten kann.

 

In diesem Zusammenhang ist außerdem bemerkenswert, dass sich seit dem Jahr 2017 das Verhältnis von TAVI und SAVR umgekehrt hat. Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Anzahl der TAVI-Therapien deutlich zu (2008: 1.463; 2021: 26.600), während die Zahl der chirurgischen Eingriffe abnimmt (2008: 23.693; 2021: 14.462).

 

Was können wir noch verbessern?

 

Auch beim besten Verfahren, lassen sich immer noch einzelne Dinge verbessern. Eine Benchmark-Studie mit 900 retrospektiven und 1.500 aktuellen Fällen an verschiedenen TAVI-Zentren hat untersucht, welche Kriterien sich während des innerklinischen Aufenthalts optimieren lassen. Dafür wurden Patient:innen und Angehörige, sowie Klinikmitarbeiter:innen bestmöglich geschult. Im Ergebnis wurde die Zeit des Eingriffs im Mittel von 66 auf 55 Minuten signifikant reduziert. Auch die Dauer des Aufenthalts im Aufwachraum der Klinik konnte für Patientinnen und Patienten von durchschnittlich 8,6 Stunden auf 4,4 Stunden so gut wie halbiert werden. Sie konnten außerdem die Klinik nach 4,0 statt 5,3 Tagen verlassen. Die ohnehin niedrige Komplikationsrate wurde noch einmal verbessert: So wurde bspw. das Risiko für einen Schrittmacher von 7,7 % auf 5,7 % reduziert. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 hatten wir in Deutschland noch eine Schrittmacherrate nach TAVI-Prozeduren von 42,5 %.

 

Wie sieht die Zukunft der TAVI aus?

 

Derzeit rückt eine neue Patientengruppe in den Fokus: Patientinnen und Patienten mit einer mittelgradigen Aortenklappenstenose und solche mit einer schweren Aortenklappenstenose, die aber asymptomatisch sind. Beide Gruppen haben eine schlechte Überlebensrate. Bisher hatte man bei diesen Gruppen gewartet, medikamentös therapiert und beobachtet, wie sich die Stenose entwickelt. Chirurgische Daten für die Patientengruppe mit asymptomatischer hochgradiger Aortenklappenstenose deuten an, dass die Überlebensrate aber deutlich besser mit einer frühzeitigen TAVI-Therapie zu sein scheint. Aktuell laufen verschiedene Studien, die dies innerhalb der kommenden fünf Jahre untersuchen werden.

 

Zu den ganz neuen Entwicklungen gehört auch die Behandlung von Patient:innen mit hochgradiger Aortenklappenstenose mit einem sogenannten Scoring. Hierbei wird als Ersteingriff nur eine besondere Art der Sprengung der Aortenklappe vorgenommen, statt einer klassischen Ballonvalvuloplastie. Damit schenkt man dem Patienten noch ein paar Jahre, bevor der eigentliche Klappenersatz notwendig wird. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend, müssen aber noch langfristig in Studien bestätigt werden.

 

Außerdem gibt es Hoffnung im Bereich der Schlaganfallprotektion. Der Schlaganfall ist einer der am meisten gefürchteten Nebenwirkung bei der TAVI-Therapie. Während des Eingriffs können sich Kalkablagerungen lösen und zur Gefäßverstopfung führen. Dem will man nun vorbeugen, indem man die gesamte Gefäßstrecke mit einem Schlauch auskleidet. Damit sollen die Gefäßwände geschützt werden, wenn das Material und der Klappenersatz hindurchgeführt werden. Auch hier laufen aktuell bereits Studien, die die Schutzwirkung und die weitere Minderung der Komplikationsrate untersuchen.

 

Bevorstehende Veränderungen jenseits des technischen Fortschritts

 

Entscheidend für den Erfolg der Prozedur ist und bleibt das Heart Team, das gemeinsam den Eingriff am Patienten bzw. an der Patientin vornimmt. Während dieses früher aus einem/einer Kardiologen/Kardiologin, einem/einer Herzchirurgen/-chirurgin und einem/einer allgemeinen Kardiologen/Kardiologin bestand, kommen heute zusätzlich oft speziell geschulte TAVI-Nurses, zuweisende Ärzt:innen oder CT-Spezialist:innen zum Einsatz bei der Entscheidungsfindung. Es ist zu erwarten, dass diese Teams in Zukunft eher noch größer als kleiner werden, da jede dieser Spezialist:innen wichtige Informationen beisteuern kann, die für die Entscheidungsfindung vor Ort wichtig sind.

 

Genauso wichtig wird es für die Behandelnden, einschätzen zu können, wann man einen Patienten / eine Patientin überhaupt behandeln sollte, und wann nicht. Mittlerweile ist eine Menge möglich und man ist vielleicht durch vergangene Eingriffe erfolgsverwöhnt. Gewissenhafte Ärztinnen und Ärzte sollten aber genau erkennen können, wann ihre Patient:innen nicht mehr von einer TAVI-Therapie profitieren werden. Liegt etwa eine hochgradige Demenz vor oder liegt die Lebenserwartung nur noch bei einem halben Jahr oder weniger, muss man sich genau überlegen, ob man einem Menschen diesen Eingriff noch zumuten sollte. Auch hier wird es zukünftig sicherlich mehr Schulungen und Sensibilisierungen für das behandelnde Fachpersonal geben.

Diese Seite teilen