Prävalenz von ICD-Patienten in Deutschland von 2010 bis 2022: Implikationen für die zukünftige Planung des Telemonitorings von Herzinsuffizienzpatienten mit ICD-Therapie

Prof. Dr. Jörg Otto Schwab, Dr. Boye Gricar und Dr. Tino Hauser, Bonn und Berlin

Hintergrund

Herzinsuffizienz (HI) ist eine häufig auftretende Erkrankung mit mehr als 500.000 neu diagnostizierten Patienten in Deutschland allein im Jahr 2021 [1]. Auf Grund der hohen Mortalität und Morbidität stellt die HI eine relevante Belastung für das Gesundheitssystem dar. Sie war 2020 die häufigste Einzeldiagnose von vollstationär behandelten Patienten [2].
Das Telemonitoring (TM) bei HI ist eine neue Behandlungsmethode, welche im Dezember 2020 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) für die vertragsärztliche Versorgung anerkannt wurde [3]. Zur Abrechnung der entsprechenden Versorgungsleistungen wurden neue Gebührenordnungspositionen mit Wirkung zum 1. Januar 2022 in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen [4]. Dem G-BA-Beschluss entsprechend kann das TM-HI entweder mittels kardialer Implantate oder externer Messgeräte umgesetzt werden. Für das TM-HI mit kardialen Implantaten sind folgende Aggregate vorgesehen: Implantable Cardioverter Defibrillator (ICD) einschließlich Cardiac Resynchronisation Therapy Defibrillator (CRT-D) sowie CRT Pacemaker (P). Informationen über die Anzahl der ICD-Patienten, welche für TM-HI in Frage kommen, sowie die aktuellen Trends der Prävalenz von ICD-Patienten sind für die Umsetzung des implantatgestützten TM-HI von großer Bedeutung.

 

Ziel

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Abschätzung der Prävalenz von ICD-Patienten mit HI, welche die wichtigsten Indikationskriterien des G-BA für diese neue telemedizinische Versorgungsmethode erfüllen.

 

Methoden

Zur Erstellung des Prävalenzmodells wurden die jährlichen nationalen Qualitätssicherungsdaten des stationären Bereichs über neu implantierte ICD-Geräte, das Ausmaß der klinischen Symptomatik (NYHA) und die Ejektionsfraktion (EF) für die Jahre 2010 bis 2021 herangezogen [5,6,7]. Die Datenauswertung beschränkte sich auf die folgenden Implantattypen: Einkammer- und Zweikammer-ICD sowie CRT-D. Die Zahl der ICD-Erstimplantationen für das Jahr 2022 wurde auf Grundlage des Trends von 2015 bis 2021 prognostiziert. Für jedes Implantationsjahr wurde die aus der Literatur abgeleitete jährliche Gesamtmortalitätsrate angewendet [8], um die kumulative Anzahl der ICD-Patienten zu schätzen, die in jedem Jahr zwischen 2010 und 2022 am Leben waren. Anschließend wurde die Anzahl der ICD-Patienten, die für TM-HI in Frage kommen, unter Anwendung der wichtigsten krankheitsbezogenen Einschlusskriterien des G-BA (NYHA-II- oder NYHA-III-Stadium und EF < 40 %) berechnet. Aufgrund fehlender Daten wurde der Prozentanteil der Patienten mit einer EF unter 35 % verwendet, um näherungsweise dem Kriterium des G-BA für die EF zu entsprechen. Daten aus einem früheren Prävalenzmodell für implantierbare elektrische Geräte (CIED) für Deutschland dienten als Kalkulationsbasis für die historische Startkohorte in 2010 [9].

 

Ergebnisse

Der Trend bei der Prävalenz von ICD-Patienten (graue Fläche) und der HI-Patienten mit einem ICD, die über die Jahre 2010 bis 2022 die genannten Indikationskriterien für TM-HI erfüllen (blaue Fläche), ist in Abbildung 1 dargestellt. Die ICD-Prävalenz stieg allmählich von 139.715 Patienten im Jahr 2010 auf einen Spitzenwert von 202.637 Patienten im Jahr 2017.

 

Für 2022 estimierte das Modell eine Gesamtzahl von 190.698 ICD-Patienten. Demnach wären im Jahr 2022 insgesamt 120.941 ICD-Patienten für die Versorgungsmethode TM-HI in Frage gekommen. Dies entspricht einem Anteil von 63 % der von uns betrachteten ICD-Patienten in Deutschland.

 

Schlussfolgerung/Fazit

Die vorliegende Untersuchung schätzt die Prävalenz von ICD-Patienten in Deutschland zwischen 2010 und 2022. Die Ergebnisse zeigen, dass etwa 2 von 3 ICD-Patienten Anspruch auf eine Kostenerstattung für das implantatgestützte TM-HI haben.

 

Implikationen:

  1. Eine große ICD-Patientenpopulation (120.941 Patienten) könnte potenziell vom Telemonitoring profitieren. Gegenwärtig erhält jedoch nur ein Bruchteil der berechtigten Patienten TM-HI. Dies verdeutlicht die derzeit bestehende erhebliche Versorgungslücke. Mit dem geschätzten Patientenpotenzial ist es möglich, den Umsetzungsfortschritt der TM-HI-Methodik in dieser Patientengruppe in Zukunft besser zu evaluieren.
  2. Diese Ergebnisse können die künftige Planung und die Ressourcenkalkulation (z. B. Personalausstattung, Anzahl der Telemonitoring-Zentren usw.), die für die Ausweitung und Umsetzung von TM-HI erforderlich sind, erleichtern.
  3. Der Aufbau einer spezifischen Infrastruktur und von definierten Arbeitsabläufen ist erforderlich, um eine große Anzahl von Patienten wirksam und kosteneffizient zu überwachen und zu behandeln.

Abb. 1: Schätzung der Prävalenz von ICD-Patienten und Herzinsuffizienzpatienten mit ICD, die für TM-HI in Frage kommen.

Referenzen

 

[1] Holstiege, J Akmatov, M Steffen, A Bätzing, J (2018): Prevalence of heart failure in Germany – nationwide trends, regional variation, and frequent comorbidities. Central Research Institute for Ambulatory Health Care in Germany (Zi). Versorgungsatlas-Report No. 18/09. Berlin 2018. DOI: 10.20364/VA-18.09.

 

[2] Deutsche Herzstiftung: Deutscher Herzbericht 2021, Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG  

 

[3] Gemeinsamer Bundesausschuss: Beschluss Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung: Telemonitoring bei Herzinsuffizienz. URL: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4648/2020-12-17_MVV-RL_Telemonitoring-Herzinsuffizienz_BAnz.pdf

 

[4] Institut des Bewertungsausschusses: Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses nach § 87 Abs.4 SGB V in seiner 76. Sitzung am 15. Dezember 2021. URL: https://institut-ba.de/ba/babeschluesse/2021-12-15_eba76_4.pdf

 

[5] Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): Bundesauswertung Implantierbare Defibrillatoren – Implantation, Berlin. URL: https://iqtig.org/qs-verfahren/defi/

 

[6] Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): Bundesauswertung Implantierbare Defibrillatoren-Implantation - Erfassungsjahr 2021, Berlin. URL: https://iqtig.org/downloads/auswertung/2021/hsmdefdefiimpl/DeQS_HSMDEF-DEFI-IMPL_2021_BUAW_V01_2022-07-08.pdf

 

[7] Deutsches Herzschrittmacher-Register, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung: Jahresbericht des Deutschen Herzschrittmacher-und Defibrillatorregister – Teil 2 Implantierbare Cardioverter-Defibrillatoren (ICD), Düsseldorf. URL: https://pacemaker-register.de/category/berichte_reports/

 

[8] Köbe, J Willy, K Senges, J et al. (2022): Selection and outcome of implantable cardioverter‐defibrillator patients with and without cardiac resynchronization therapy: Comparison of 4384 patients from the German Device Registry to randomized controlled trials, in: J Cardiovasc Electrophysiol ,33, 483‐492. DOI:10.1111/jce.15365

 

[9] Smala, A Gessler, M Stoepel, C (2011): DEMAND FOR ROUTINE IN OFFICE FOLLOW-UP VISITS FOR CARDIAC IMPLANTABLE ELECTRICAL DEVICES (CIED) IN GERMANY AND THE UNITED KINGDOM, in:  Value in Health,14(7): A256, URL: https://www.valueinhealthjournal.com/article/S1098-3015(11)01699-8/fulltext and personal communication 

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