Bonn, 5. Oktober 2023 – Zu den häufigen Herzerkrankungen in Deutschland gehören Herzrhythmusstörungen, wobei Vorhofflimmern (VHF) hier den Großteil der Fälle ausmacht. Laut aktuellem Herzbericht (2022) sind 1,6 Millionen der in Deutschland lebenden Menschen betroffen. Diese können selbst in Ruhe eine beschleunigte und unregelmäßige Herzfrequenz von bis zu 160 Schlägen pro Minute haben. Die Begleitsymptome fallen dabei von Person zu Person höchst unterschiedlich aus. Manche Betroffene verspüren keine Beschwerden (asymptomatisches VHF), während es bei anderen zu einem plötzlichen und unangenehmen Anfall von Vorhofflimmern (paroxysmales VHF) kommt. Schwindel, innere Unruhe, Luftnot und Schmerzen in der Brust sind weitere mögliche Symptome.
Da Vorhofflimmern so unterschiedlich ausgeprägt sein kann, stellt sich behandelnden Ärztinnen und Ärzten oft die Frage, ab wann und für wen ein langfristiges VHF-Screening sinnvoll ist. Zudem gab es in den vergangenen Jahren verschiedene technische Entwicklungen, die eine Diagnose erleichtern sollen. Im Rahmen der DGK Herztage 2023 werden verschiedene wichtige Aspekte der neueren Forschung rund um VHF präsentiert.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Sitzung „Sinn und Unsinn von VHF Screening – Was ist evident?“ besonders hervorheben und empfehlen. Sie wird im neuen, interaktiven Format am Freitag, 6.Oktober 2023, von 15:30-17:00 Uhr im Saal Addis Abeba stattfinden.
Im Rahmen dieser Sitzung wird Prof. Dr. Dr. Hans-Ruprecht Neuberger, Traunstein, zum Thema „Datenerhebung und Management von VHF mit "Wearables" und "Implantables"“ vortragen.
In seinem Vortrag weist er darauf hin, dass verschiedene Studien in den vergangenen Jahren den Erfolg von verschiedenen Devices für die Detektion von VHF untersucht haben. Grundsätzlich muss hier zwischen den Gruppen der VHF-Patient:innen mit und ohne Symptomen unterschiedenen werden.
Bei der Patientengruppe mit Symptomen haben sich tragbare und implantierte Geräte hinsichtlich der Diagnose als zuverlässig erwiesen. Die Devices waren in der Lage, eine Symptom-Rhythmus-Korrelation herzustellen und eine korrekte Diagnose zu stellen, wodurch eine gezielte Therapie des VHF möglich wurde.
Bei Personen, die keine Symptome bemerken hat sich das Gegenteil erwiesen. Die Ergebnisse der Studien (LOOP, REHEARSE-AF, eBRAVE-AF) waren entweder negativ hinsichtlich des Nutzens eines Screenings, brachten nur inkonsistente Daten hervor (STROKESTOP) oder waren nicht randomisiert und daher nicht aussagekräftig (z. B. mSToPS). Vor diesem Hintergrund erachten weder das UK National Screening Committee noch die US Preventive Services Task Force ein Screening bei asymptomatischem VHF als sinnvoll.
Herr PD Dr. Felix Wiedemann, Heidelberg, nähert sich dem Thema „Wie mit Device-detektiertem VHF bei Herzinsuffizienz umgehen?“
Da herzinsuffiziente Patient:innen häufig implantierte Aggregate aufweisen, die Arrhythmien detektieren können, ist dies von besonderer Bedeutung. Atriale Hochfrequenzepisoden (Atrial High Rate Episodes, AHRE) sind kurze, seltene Arrhythmien im Vorhof des Herzens, die dem Vorhofflimmern ähneln. AHRE kommen bei 10–30 % der Patientinnen und Patienten vor, die einen Herzschrittmacher, Defibrillator oder Loop-Rekorder implantiert haben. Sie geben Hinweise darauf, dass die Betroffenen ein hohes Risiko haben, entweder an Vorhofflimmern (VHF) oder an Herzinsuffizienz (heart failure, HF) zu erkranken. Beide Krankheitsbilder führen zu einem gesteigerten Risiko für einen Schlaganfall. Und: Jede der beiden Erkrankungen begünstigt das Auftreten der anderen. Patient:innen mit Vorhofflimmern entwickeln nicht selten in der Folge eine Herzinsuffizienz und umgekehrt.
Während man das Schlaganfallrisiko bei Patient:innen mit VHF am besten durch die Gabe von Oralen Antikoagulanzien (OAC) senkt, sollten im Falle einer HF die individuellen Risikofaktoren für einen Schlaganfall identifiziert und modifiziert werden, wie z. B. Gewichtsreduktion, Behandlung eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms (OSAS), Abstinenz von Alkohol und Tabakprodukten, sowie Optimierung von Blutzucker- und Blutdruckwerten.
Eine Upstream-Therapie zur Behandlung von VHF mittels ACE-Hemmer, kardialer Resynchronisations-Therapie (CRT) oder Katheterablation kann bei einzelnen Patientengruppen verhindern, dass sich in Folge des Vorhofflimmerns eine Herzinsuffizienz ausbildet.
Der „Stellenwert von künstlicher Intelligenz und "Big Data"“ wird von Prof. Dr. David Duncker, Hannover beleuchtet.
Prof. Duncker stellt fest, dass künstliche Intelligenz (KI) und Big Data bereits feste Größen im klinischen Alltag sind und eine zunehmend wichtigere Rolle einnehmen – so auch mit Hinblick auf das VHF-Screening. Künstliche Intelligenz und Algorithmen sind mittlerweile in der Lage, auch extrem große und komplexe Datensätze in kürzester Zeit sehr genau zu klassifizieren. Damit ist es ein starkes Hilfsmittel sowohl für Diagnose als auch Prognose und Therapie unserer Patientinnen und Patienten.
Speziell in Hinblick auf das VHF-Screening bietet KI die Möglichkeit, Risikopatient:innen zuverlässig zu identifizieren. Durch die Genauigkeit und Schnelligkeit der Methode können außerdem Ressourcen optimiert werden.
In seinem Vortrag „Therapie asymptomatischen Vorhofflimmerns – Jenseits der OAK“ vertieft Prof. Dr. Matthias Antz, Braunschweig das kontroverse Thema der bereits initial beleuchteten Problematik.
Nach neueren Erkenntnissen ist ein VHF (fast) nie asymptomatisch. Zudem hat sich gezeigt, dass auch solche Patientinnen und Patienten, die kaum wahrnehmbare Symptome haben, von einer Rhythmuskontrolle profitieren können. Diese wird üblicherweise durch die Gabe von Medikamenten (Antiarrhythmika) oder durch Katheterablation herbeigeführt. Studienergebnisse haben erwiesen, dass dabei die Katheterablation deutlich effektiver ist als die medikamentöse Therapie. Zudem verhindert die Ablation eine Progression von paroxysmalem zu persistierendem VHF.
Daher ist es wichtig, dass wir auch bei Betroffenen, die ihre Vorhofflimmererkrankung selbst nicht wahrnehmen, eine Diagnose stellen können. Nach aktueller Studienlage, die – wie eingangs erläutert – mindestens nicht eindeutig ist, ist ein systematisches Screening hierfür allerdings bisher keine zuverlässige Option.
Mehr Details vermitteln die Kolleginnen und Kollegen in der oben genannten Sitzung, die von PD Dr. Sonja Busch und Prof. Dr. Gerhard Hindricks geleitet und von Prof. Dr. Reza Wakili moderiert wird. Das neue, interaktive Format bietet viele Möglichkeiten der Diskussion, gerade auch durch das Publikum.