Künstliche Intelligenz in der Rhythmologie

Zusammenfassung des Vortrags von Prof. Dr. Thomas Arentz, Bad Krozingen, Tagungspräsident Deutsche Rhythmus Tage

Düsseldorf/Hamburg, 26. September 2024 – Die rasante technologische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat nicht nur den Alltag revolutioniert, sondern auch die medizinische Diagnostik und Behandlung auf ein neues Niveau gehoben. Ein Paradebeispiel für diese Entwicklung ist die Künstliche Intelligenz (KI), die ohne heutige Rechenleistungskapazitäten nicht denkbar wäre. Zum Vergleich: Die Rechenleistung der Prozessoren, die in aktuellen Smartphones verbaut sind, ist 30.000-mal schneller als die der NASA-Computer von 1969, mit denen die Mondlandung geglückt ist. KI ist aber weitaus mehr als leistungsstarke Rechenkapazität – sie basiert auf komplexen Lernmethoden, die es ermöglichen, aus Daten zu lernen und Muster zu erkennen.

 

Von Schachcomputern zu AlphaGo: Lernmethoden der KI

Die Geschichte der KI ist geprägt von Fortschritten in der Lernfähigkeit der Systeme. Während der Schachcomputer Deep Blue 1997 den Schachweltmeister Garri Kasparow besiegte, geschah dies durch reine Rechenleistung und nicht durch Lernen oder Anpassung. Im Gegensatz dazu reicht dies bei einem weitaus komplexeren Spiel wie Go nicht aus. Das KI-System AlphaGo von Google DeepMind konnte 2016 den Go-Meister Lee Sedol 4:1 besiegen. Diese Leistung war nur durch die Anwendung von Machine Learning möglich, speziell durch Supervised Learning, bei dem die KI durch menschliche Anleitung trainiert wird.

 

Die Entwicklung von AlphaGo ZERO im Jahr 2017 ging noch einen Schritt weiter: Das Programm nutzte Unsupervised Learning und lernte durch das Spielen gegen sich selbst, ohne spezifische Regeln vorgegeben zu bekommen. Dieser Ansatz ermöglichte es AlphaGo ZERO, alle 100 Spiele gegen seine Vorgängerversion AlphaGo LEE zu gewinnen, was die Möglichkeiten von Deep Learning eindrucksvoll unter Beweis stellte.

 

Künstliche Intelligenz in der Rhythmologie

Die Rhythmologie ist innerhalb der Kardiologie geradezu prädestiniert für die Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Es werden Unmengen von Daten produziert, insbesondere durch Elektrokardiogramme (EKG), die standardisiert weltweit genutzt werden. Ein EKG enthält etwa 120.000 Datenpunkte, die von Kardiologen analysiert werden, um Rhythmusstörungen zu erkennen. KI-gestützte Systeme sind in der Lage, über die menschlichen Fähigkeiten hinausgehende Erkenntnisse aus diesen Daten zu gewinnen.

 

Beispielsweise konnte die KI der Mayo Clinic 2021 aus einem normalen Sinusrhythmus nicht nur Vorhofflimmern erkennen, sondern auch zusätzliche Informationen wie das Alter, Geschlecht, Blutfarbstoff und Kaliumwerte einer Person aus den EKG-Daten ableiten[1]. Eine 2019 durchgeführte Studie an der Mayo Clinic demonstrierte, dass eine KI mittels Deep Learning in der Lage war, die Pumpleistung des linken Herzens mit hoher Genauigkeit zu erkennen. Die KI erzielte dabei einen statistischen AUC-Wert[2] von 0,93, was eine herausragende Leistung darstellt, da ein Wert von 1,0 eine perfekte Vorhersage bedeutet. Damit ist sie menschlichen Fähigkeiten eindeutig überlegen. Das Problem bei dieser Vorhersage durch ein „unsupervised learning“ ist, dass es um eine sogenannte „black box“ handelt und selbst durch einen Spezialisten nicht nachvollziehbar ist.

 

Im Gegensatz dazu sind die Ergebnisse einer KI, die durch Supervised Learning trainiert wurde, oft besser nachvollziehbar. Ein Beispiel aus unserem Herzzentrum in Bad Krozingen illustriert dies: Hier wurde einer KI beigebracht, eine atriale Kardiomyopathie durch Analyse der P-Welle im EKG zu diagnostizieren. Durch dieses gezielte Training konnte die KI vergleichbare Ergebnisse wie die Systeme der Mayo Clinic liefern, wobei die Transparenz der Lernmethoden es erleichtert, die Ergebnisse nachzuvollziehen und zu verstehen. Der Nachteil hierbei ist, dass die KI damit auch nicht besser ist, als Kardiologinnen und Kardiologen.

 

[1] Attia Z. I. et al (2021): Application of artificial intelligence to the electrocardiogram, DOI: 10.1093/eurheartj/ehab649

[2] AUC= Area Under Curve. Der AUC-Wert gibt die Fläche unterhalb der Grenzwertoptimierungskurve (ROC-Kurve) an und ist ein Maß für die Güte eines diagnostischen Tests.

 

VOLTA-Mapping: Ein konkretes Anwendungsbeispiel

Ein besonders bemerkenswertes Beispiel für den Einsatz von KI in der Rhythmologie ist das VOLTA-Mapping bei der Behandlung von Vorhofflimmern. Diese Methode verwendet einen Multi-Elektroden-Katheter zur Erstellung eines 3D-Modells des Vorhofs, das die vielen chaotischen elektrischen Impulse bei Vorhofflimmern visualisiert. Die KI analysiert tausende von EKG-Daten in Echtzeit und identifiziert präzise die Stellen im Vorhof, die einer Ablation bedürfen. Studien wie die randomisierte TAILORED-AF-Studie haben gezeigt, dass das VOLTA-Mapping zu einer geringeren Vorhofflimmer-Rezidivrate führt[3].

 

[3] Deisenhofer et al. (2024): LB-469805-01 Tailored cardiac ablation procedure for persistent atrial fibrillation guided by artificial intelligence: The Tailored-AF randomized clinical trial, DOI: 10.1016/j.hrthm.2024.04.025

 

     

Perspektiven und ethische Überlegungen

Die Zukunft der KI in der Rhythmologie verspricht weiterhin bedeutende Fortschritte. Mögliche Entwicklungen umfassen die Identifikation neuer Muster und Merkmale, die Verbesserung der Arrhythmie-Detektion und -Klassifikation sowie die Risiko-Stratifizierung von Patienten. KI-Systeme könnten künftig auch im Remote-Monitoring und Management von Risikopatienten sowie in der personalisierten Behandlung eine zentrale Rolle spielen.

 

Trotz der vielversprechenden Möglichkeiten stehen wir auch vor ethischen Herausforderungen. Der Einsatz von KI sollte vorzugsweise auf supervisiertem Machine Learning basieren, um nachvollziehbare und erklärbare Ergebnisse zu gewährleisten. Während uns unüberwachtes Lernen beeindruckende Resultate liefern kann, bleibt oft unklar, wie diese Resultate zustande kommen. Dies könnte zu Problemen führen, insbesondere wenn KI-Systeme in unterschiedlichen geographischen oder kulturellen Kontexten eingesetzt werden. Zudem ist es entscheidend, dass KI-Systeme nachvollziehbare Erklärungen für ihre Vorhersagen liefern, insbesondere wenn es um medizinische Entscheidungen, wie die Indikation von Schrittmachern oder Medikamenten geht.

 

Insgesamt zeigt sich, dass Künstliche Intelligenz in der kardiologischen Rhythmologie großes Potenzial hat, um Diagnose- und Behandlungsprozesse zu optimieren. Dennoch bleibt es unerlässlich, die Entwicklungen sorgfältig zu begleiten und sicherzustellen, dass die KI-Anwendungen sowohl effektiv als auch ethisch vertretbar sind.

 

Prof. Dr. Thomas Arentz, Bad Krozingen, Tagungspräsident Deutsche Rhythmus Tage

©Universitäts-Herzzentrum Freiburg - Bad Krozingen

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