Plötzlicher Herztod – was brauchen wir für die „Golden Hour of ROSC“?

Zusammenfassung des Vortrags von Prof. Dr. Alexander Ghanem, Hamburg, Tagungspräsident AGIK Live

Düsseldorf/Hamburg, 26. September 2024 – Während der Fußball- Europameisterschaft in diesem Jahr wurden 117 Tore geschossen und das schönste für mich war der Treffer des dänischen Nationalspielers Christian Eriksen – und zwar deshalb, weil es ein medizinisches Wunder ist, dass er überhaupt wieder spielen kann. Während der EM 2021 erlitt Eriksen vor laufender Kamera einen Herzstillstand und brach auf dem Spielfeld zusammen. Dank der schnellen und professionellen Reanimation konnte er gerettet werden. Leider hatten nicht alle Sportler so viel Glück. Der niederländische Profifußballer Abdelhak Nouri erlitt 2017 während eines Testspiels ebenfalls einen Herzstillstand. Im Gegensatz zu Eriksen wurde bei ihm die Erstversorgung nicht rechtzeitig durchgeführt, was zu schweren, irreversiblen Hirnschäden führte. Nouri ist heute pflegebedürftig.

 

Diese beiden Schicksale stehen symbolisch für die enorme Bedeutung von schnellen und präzisen Maßnahmen bei einem Herzstillstand. In der Notfallmedizin gilt: Jede Sekunde zählt. Vor allem in den ersten Minuten nach einem Herzstillstand entscheidet sich das Schicksal der Patientinnen und Patienten.

 

Ursachen und medizinische Hintergründe des plötzlichen Herztodes

Ein Herzstillstand, auch plötzlicher Herztod genannt, kann jeden treffen – wie wir gesehen haben auch junge und fitte Spitzensportler:innen. Die Ursachen lassen sich in zwei Hauptgruppen unterteilen: Ein Drittel der Fälle beruht auf strukturellen Herzkrankheiten und genetischen Dispositionen. Dies können angeborene Herzfehler oder Erkrankungen wie die hypertrophe Kardiomyopathie sein. Die anderen zwei Drittel der Fälle resultieren aus erworbenen Ursachen, wie der koronaren Herzkrankheit oder Lungenarterienembolien. Diese Erkrankungen können durch Eingriffe wie die Implantation eines Stents oder das Absaugen einer Embolie im Herzkatheterlabor behandelt werden. Damit die Betroffenen aber in einem stabilen Zustand überhaupt das Herzkatheterlabor erreichen, ist eine erfolgreiche Reanimation unerlässlich – sie dient als Brücke zur weiteren Behandlung.

 

In der Wiederbelebungssituation steht nicht das Herz, sondern das Gehirn im Mittelpunkt. Es ist das empfindlichste Organ, und wird während eines Herzstillstands nicht mit Sauerstoff versorgt. Ohne eine ausreichende Sauerstoffversorgung erleidet das Gehirn bereits nach wenigen Minuten irreparable Schäden. Genau deshalb ist die Reanimation so entscheidend: Sie sorgt dafür, dass der Blutfluss aufrechterhalten wird und das Gehirn weiter Sauerstoff erhält, bis das Herz wieder selbstständig zu schlagen beginnt.

 

Laienreanimation: Jeder kann Leben retten

Die Bedeutung der Laienreanimation kann deshalb nicht oft genug betont werden. Schnelle Erste Hilfe vor Ort kann über Leben und Tod entscheiden, denn in den ersten zehn Minuten nach einem Herzstillstand entscheidet sich das Schicksal der Patient:innen. Je früher mit der Reanimation begonnen wird, desto höher sind die Überlebenschancen.

 

In Deutschland liegt die Quote der Laienreanimation bei rund 40-50 %. Das bedeutet, dass nur etwa die Hälfte aller Menschen im Falle eines Herzstillstands sofort Hilfe leistet, bis professionelle Rettungskräfte eintreffen. Zum Vergleich: In einigen skandinavischen Ländern liegt diese Quote bei über 80%. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass in Deutschland noch Aufklärungsarbeit notwendig ist. Auch die Bundesärztekammer hat das Problem erkannt und stuft die Verbesserung der Laienreanimationsquote als wichtigsten Punkt zur Verbesserung der notfallmedizinischen Versorgung ein.

 

Zeitlicher Faktor: Die „Golden Hour of ROSC“

Um von diesen Technologien optimal profitieren zu können, sind eingespielte interdisziplinäre Teams unabdingbar. Die Daten zeigen, dass es in Krankenhäusern mit mehr Erfahrung in der Behandlung von Intensivfällen zu deutlichen Vorteilen für die Patientenversorgung kommt. So ist die Wahrscheinlichkeit Die „Golden Hour of ROSC“ (Return of Spontaneous Circulation) bezeichnet das kritische Zeitfenster von etwa einer Stunde, in der alle wichtigen Maßnahmen abgeschlossen sein sollten, um die Überlebenschancen nach einem Herzstillstand zu maximieren. Dazu gehört die Erstversorgung vor Ort, der Transport ins Krankenhaus und – in schwereren Fällen – der Anschluss des Patienten an eine Herz-Lungen-Maschine (eCPR).

 

eCPR steht für „extracorporeal Cardiopulmonary Resuscitation“, also eine erweiterte Form der Reanimation, bei der das Blut der Patientin oder des Patienten außerhalb des Körpers durch eine Maschine mit Sauerstoff angereichert und wieder in den Kreislauf zurückgeführt wird. Diese Maßnahme kann entscheidend sein, um das Gehirn und andere lebenswichtige Organe während der Wiederbelebung zu schützen. Allerdings muss sie schnell erfolgen: Studien zeigen, dass die Erfolgsaussichten von eCPR stark davon abhängen, wie schnell die Patient:innen an die Maschine angeschlossen werden. Geschieht dies nicht innerhalb von 60 Minuten, stehen die Chancen eher schlecht.Versterbens, in einem Zentrum mit wenigen (<11) Intensivfällen pro Jahr um 30 % höher. Zudem gibt es eine um 10 % höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Komplikationen.

 

Deshalb muss die Zusammenarbeit zwischen Kardiologen, Anästhesisten und Pflegepersonal reibungslos funktionieren, um schnelle Entscheidungen zu treffen und die geeigneten therapeutischen Maßnahmen zeitnah einzuleiten. Schulungsprogramme und Zertifizierungen, wie sie von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) angeboten werden, tragen dazu bei, die Qualität der Versorgung in spezialisierten Zentren zu erhöhen. Personen, die in speziellen Cardiac Arrest Centers behandelt werden, weisen zum Beispiel eine wesentlich niedrigere Rate von Hirnschädigungen nach kardiogenem Schock auf.

 

Die Lage in Deutschland: Herausforderungen und Chancen

Die Versorgungslage in Deutschland ist sehr heterogen. In einer Umfrage der Arbeitsgruppe Interventionelle Kardiologie (AGIK) der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) unter 90 spezialisierten Zentren wurde deutlich, dass es je nach Region starke Unterschiede gibt. In manchen Regionen ist die nächste Klinik, die eCPR anbietet, nur wenige Kilometer entfernt, in anderen beträgt die Distanz über 100 Kilometer. Zudem haben ein Drittel der befragten Zentren keine Kapazitäten, um Patient:innen rund um die Uhr zu versorgen. Mehr als ein Drittel bietet keine 24/7 eCPR an.

 

Ein weiteres Problem ist die Allokation von Ressourcen in Echtzeit. Rettungsdienste fahren oft Kliniken an, die entweder keine eCPR-Maschine frei haben oder gar keine anbieten. All das führt dazu, dass viele Patient:innen nicht rechtzeitig die benötigte Versorgung erhalten.

 

Verbesserungspotenzial bei Rettungskräften und in Leitstellen

In Deutschland gibt es also noch erhebliches Verbesserungspotenzial – sowohl in der Aufklärung der Bevölkerung als auch in der strukturellen Organisation der Rettungskette. Es gibt konkrete Ansätze, wie die Versorgung von Herzstillstandpatient:innen in Deutschland verbessert werden könnte. Notärzte müssen beispielsweise in der Lage sein, schnell Verstärkung anzufordern, etwa wenn es darum geht, schwer erreichbare Patienten zu retten. Ein zentrales Element ist die bessere Vernetzung der Rettungsdienste mit spezialisierten Kliniken.

 

Ideal wäre zudem eine bessere Verteilung der eCPR-Systeme sowie die Möglichkeit, Patient:innen in Echtzeit auf die verfügbaren Kapazitäten der Kliniken zu verteilen. In den Leitstellen müsste hierfür bestenfalls bereits vor oder während des Transports abgefragt werden, ob eine eCPR benötigt wird und wo diese am schnellsten verfügbar ist. In Hamburg wird derzeit an einem Modell gearbeitet, bei dem Kliniken, Notärzte und Leitstellen eng zusammenarbeiten, um innerhalb der „Golden Hour of ROSC“ den optimalen Behandlungsweg zu gewährleisten. Hier stehen wir allerdings noch ganz am Anfang.

 

Bis wir die komplizierte Aufgabe der Echtzeit-Allokation gelöst haben bleibt aber die beste und schnellste Maßnahme die Steigerung der Laienreanimationsquote. Daher abschließend noch einmal der Aufruf an alle: Mit einer Herzdruckmassage werden wertvolle Minuten überbrückt, die für einen Menschen allesentscheidend sind. Ersthelferkurse werden flächendeckend und regelmäßig kostenlos angeboten. Jeder kann Leben retten!

 

Prof. Dr. Alexander Ghanem, Hamburg, Tagungspräsident AGIK Live

©AKN / Tina Demetriades - Photography

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