Noch nie in meinem Leben habe ich… als Kardiologe einen Erwachsenen mit einem seltenen genetischen Syndrom diagnostiziert

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Dr. Vanessa Rubesch-Kütemeyer und Prof. Dr. Stephan Gielen, Detmold

Hintergrund

Ein 34-jähriger Mann stellte sich in unserer Notaufnahme mit Palpitationen und Verschlechterung seiner Belastungsdyspnoe in den letzten Monaten vor. Er berichtete, dass er immer sportlich aktiv gewesen sei, aber seit der Kindheit hinsichtlich der Kondition nie mit Gleichaltrigen mithalten konnte. Angina pectoris oder Synkopen wurden verneint. Der Patient gab keine kardialen Vorerkrankungen an, vor einigen Jahren sei eine Echokardiographie unauffällig ausgefallen. Der Ärztin in der Notaufnahme fiel eine ungewöhnliche Handdeformität auf. Der Patient wurde offenbar ohne Daumen geboren und es erfolgte eine entsprechende Korrekturoperation vor einigen Jahren (siehe Abb.1). 

Das EKG (siehe Abb.2) war ebenfalls auffällig mit einem AV Block I° von 440 ms. Noch in der Notaufnahme wurde eine Echokardiographie durchgeführt, welche den Verdacht auf einen großen Vorhofseptumdefekt (ASD) ergab (siehe Abb.3). Bei genauerer Anamneseerhebung erzählte der Patient, dass das älteste und das jüngste seiner drei Kinder ebenfalls einen ASD hatten und daran jeweils im Kleinkindalter operiert worden sind. Das älteste Kind habe leicht verlängerte Fingerglieder, das andere habe keine äußeren Auffälligkeiten an den Händen. Eine genetische Untersuchung der Kinder habe nicht stattgefunden.

 

Diagnose und Behandlung

Der Patient wurde zunächst an die Telemetrie verlegt, um die Palpitationen zu objektivieren und höhergradige AV-Blockierungen auszuschließen. In der im Verlauf durchgeführten transösophagealen Echokardiografie bestätigte sich ein sehr großer ASD vom Secundum-Typ ohne verbliebenen Rand, so dass ein interventioneller ASD Verschluss unmöglich erschien (siehe Abb.4).

Als Operationsvorbereitung erfolgte weiterhin eine Rechts- und Linksherzkatheteruntersuchung. Eine koronare Herzerkrankung und eine pulmonale Hypertonie wurden erwartungsgemäß ausgeschlossen. Laborchemisch war das Nt-BNP gering erhöht mit 786 pg/ml (<125 pg/ml) und die kapilläre Blutgasanalyse zeigte eine respiratorische Alkalose bei Hyperventilation und milder Hypoxämie. Höhergradige AV Blockierungen konnten auch im Verlauf nicht dokumentiert werden. Im Intervall erhielt der Patient dann einen komplikationslosen, chirurgischen Patchverschluss des ASD in minimalinvasiver Technik.

Auf Grund der Eigen- und der Familienanamnese erhärtete sich der Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen den Fehlbildungen der oberen Extremität und dem angeborenen Herzfehler im Sinne eines genetischen Syndroms. Für diese Kombination an Pathologien ergab eine Internetrecherche den Vorschlag des Holt- Oram- Syndroms (HOS). Zur Diagnosesicherung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit einem Institut für Humangenetik die Sequenzierung des entsprechenden Gens. Mittels Sanger Sequenzierung konnte im TBX5 Gen eine heterozygote, pathogene Variante detektiert werden. Ein Nukleotidaustausch von Cytosin zu Thymin (C nach T) an Position 709 führt dabei zu einem Aminosäurenaustausch von Arginin zu Tryptophan und damit zur Veränderung im Protein (c.709C>T (p.Arg237Trp). Diese Variante ist in der Literatur als eine Ursache für das HOS beschrieben und biofunktionell charakterisiert. Das TBX 5 Gen ist an der Separation der Herzkammern und der Entwicklung der Knochen in Arm und Hand beteiligt. Die Ausprägung der Fehlbildungen kann auch innerhalb einer Familie stark variieren.

 

Diskussion

Die Prävalenz von kongenitalen Herzfehlern liegt bei ca. 9/1.000 Geburten. Ein ASD, speziell der ASD vom Secundum-Typ, ist der Zweithäufigste und macht bis zu 7% dieser Herzfehler aus. Das HOS ist eine sehr seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von 1:100.000. Es wird autosomal dominant vererbt. Dies bedeutet, dass in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit bei 50% lag einem Kind, geschlechtsunabhängig, diese Variante zu vererben und alle Träger der Variante erkranken.

Das Beeindruckende an diesem Fall ist, dass trotz der ungewöhnlichen Anamnese bislang kein Arzt eine genetische Untersuchung in Betracht gezogen hat. Zusätzlich ist bei der Echokardiographie vor einigen Jahren offenbar auch der große ASD nicht erkannt worden. Es erschien unwahrscheinlich, dass mehrere seltene Auffälligkeiten in einer Familie auftreten, ohne dass ein genetischer Zusammenhang vorliegt. Letztlich war auch den Autoren das HOS zwar nicht präsent, aber mittels einfacher Internetrecherche konnte schnell diese Verdachtsdiagnose gestellt werden.

 

Fazit

Aufmerksame Anamneseerhebung und körperliche Untersuchung sind immer noch die Grundpfeiler für eine Diagnosestellung. Internetbasierte Suchmaschinen vereinfachen das Finden auch seltener Krankheitsbilder. Techniken wie die DNA-Sequenzierung verhelfen dann im besten Fall zu wasserdichten Diagnosen. Die Tatsache, dass spätestens beim zweiten Kind mit operationswürdigem ASD in Kombination mit den Auffälligkeiten beim Vater ein genetisches Syndrom nicht in Betracht gezogen wurde, ist überraschend. Vermutlich fehlten den Vorbehandelnden Zeit, Wissen über Teile der Krankengeschichte oder Ressourcen, um die korrekte Diagnose zu stellen. Deshalb ist es immer empfehlenswert, sich auch Jahre nach einer Diagnose ein unvoreingenommenes Bild zu machen und alle modernen Möglichkeiten zu nutzen, wenn die Puzzleteile einfach nicht zusammen zu passen scheinen.

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