Hintergrund
Die Herzinsuffizienz (HI) ist ein komplexes klinisches Syndrom mit schnell wachsender Prävalenz. Es ist erwiesen, dass eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems und eine Stoffwechselstörung bei der Entstehung von HI eine zentrale Rolle spielen.1 Eine autonome Dysfunktion (AD), die durch eine sympathikoadrenerge Überaktivierung und eine Hemmung des Parasympathikus gekennzeichnet ist, steht in engem Zusammenhang mit Stoffwechselstörungen, insbesondere Diabetes mellitus. Die Erholung der Herzfrequenz (Heart rate recovery, HRR) gilt als nicht-invasiver Marker für kardiale AD. Die HRR eine Minute nach Beendigung der Spitzenbelastung (HRR60) zeigt eine parasympathische Reaktivierung an und ist ein Indikator für ein autonomes Ungleichgewicht. Trotz der bekannten Zusammenhänge zwischen AD und Stoffwechselstörungen ist der individuelle Beitrag des Insulinstoffwechsels und der Hyperglykämie zu dieser Beziehung nach wie vor unklar.
Ziel
Ziel der Studie war es, die Zusammenhänge zwischen AD, Glukose- und Insulinstoffwechsel bei Personen mit HI besser zu verstehen.
Methoden
Bei der MyoVasc-Studie (NCT04064450, n=3.289) handelt es sich um eine große prospektive Single-Center-Kohorte von Personen mit HI, die 2013 etabliert und an der Universitätsmedizin Mainz nachverfolgt wurde.2 Die Teilnehmer:innen unterziehen sich alle zwei Jahre einer hochstandardisierten Untersuchung (die ein 12-Kanal-Elektrokardiogramm in Ruhe sowie eine 2D- und 3D-Echokardiographie umfasst) und einem umfangreichen Biobanking. Dazu gehört eine venöse Blutentnahme, die eine Charakterisierung des Insulin- und Glukosestatus mit Messung von Glukose, Insulin, HbA1c und C-Peptid im nüchternen Zustand ermöglicht, sowie eine Spiroergometrie (Cardiopulmonary exercise testing, CPET), die eine Beurteilung der HRR60 erlaubt. Die CPET wurde auf einem Fahrradergometer (Ergoselect 200, Ergoline, Bitz, Deutschland) mit dem MasterScreen CPX-System (CareFusion/BD, Franklin Lakes, New Jersey, USA) durchgeführt. Die Probanden wurden gemäß der universellen Definition von HI in Stadien eingeteilt.3 Die HI-Phänotypen wurden anhand der linksventrikulären Ejektionsfraktion in erhalten (>50%) oder reduziert (≤50%) definiert. HbA1c und HOMA-IR, etablierte Marker für die glykämische Kontrolle und Insulinresistenz, wurden als kontinuierliche Messwerte analysiert. C-Peptid wurde als zusätzlicher Marker des Insulinstoffwechsels untersucht. Es wurden multiple lineare Regressionsmodelle durchgeführt, um die Auswirkungen von HbA1c, HOMA-IR und C-Peptid auf die HRR60 in der gesamten Analysestichprobe und in den verschiedenen HI-Stadien zu vergleichen.
Ergebnisse
Die Analysestichprobe umfasste 1.588 Personen (mittleres Alter 64 Jahre [Interquartilsbereich (IQB) 55; 72]; 33% Frauen). Symptomatische HI im Stadium C/D lag bei 43,7 % (n=694) der Probanden vor. Der mediane HRR60 betrug 21,0 (IQB 14,0; 28,0). In der multivariablen Regressionsanalyse mit Anpassung für Alter, Geschlecht, traditionelle Risikofaktoren, Komorbiditäten und Medikation in der gesamten Analysestichprobe waren sowohl HbA1c als auch HOMA-IR Prädiktoren für die HRR60 (jeweils SA Schätzwert pro Standardabweichung (SA) −0,074, 95% Konfidenzintervall [−0,122; −0,026], P=0,003 und SA −0,113 [−0,165; −0,062], P<0,001). Eine zusätzliche Anpassung für den ergänzenden Glukose- oder Insulinstatus zeigte, dass der HOMA-IR unabhängig vom HbA1c mit der HRR60 zusammenhing (SA −0,097 [−0,155; −0,040], p<0,0001). Die Beziehung zwischen HbA1c und HRR60 (SA −0,030 [−0,084; 0,025], p=0,28) war jedoch nicht unabhängig vom Insulinstoffwechsel. Der größere Beitrag der Insulinresistenz zur AD wurde auch bei Personen mit symptomatischer HI beobachtet: HOMA-IR: SA −0,111 [−0,191; −0,031], p=0,0066; HbA1c: SA −0,023 [−0,106; 0,060], p=0.59. Eine Sensitivitätsanalyse ergab keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen HI-Patient:innen mit reduzierter und erhaltener Ejektionsfraktion, da beide Phänotypen in ähnlicher Weise mit HbA1c (p für Interaktion=0,99) und HOMA-IR (p für Interaktion=0,60) assoziiert waren. In allen Analysen war C-Peptid unabhängig von HbA1c mit HRR60 assoziiert, und zwar mit einer stärkeren Effektgröße als HOMA-IR (gesamte Stichprobe: SA −0,171 [−0,225; −0,117], p<0,0001; Stadium C/D: SA −0,173 [−0,245; −0,101], p<0,0001).
Schlussfolgerung
Die Studie zeigt die Bedeutung der Insulinresistenz für die autonome Dysfunktion bei HI. Der Insulinstoffwechsel und insbesondere die Hyperinsulinämie, die anhand des C-Peptids gemessen wird, scheinen die autonome Funktion des Herzens bei HI-Patient:innen stärker zu beeinträchtigen als die Hyperglykämie. Diese unterschiedlichen Auswirkungen des Glukose- und Insulinstoffwechsels könnten eine neue Relevanz für die Behandlung von Stoffwechselstörungen bei HI aufzeigen.
Referenzen
1. Florea VG, Cohn JN. The autonomic nervous system and heart failure. Circ Res. May 23 2014;114(11):1815-26. doi:10.1161/CIRCRESAHA.114.302589
2. Gobel S, Prochaska JH, Trobs SO, et al. Rationale, design and baseline characteristics of the MyoVasc study: A prospective cohort study investigating development and progression of heart failure. Eur J Prev Cardiol. Sep 2021;28(9):1009-1018. doi:Artn 204748732092643810.1177/2047487320926438
3. Bozkurt B, Coats AJS, Tsutsui H, et al. Universal definition and classification of heart failure: a report of the Heart Failure Society of America, Heart Failure Association of the European Society of Cardiology, Japanese Heart Failure Society and Writing Committee of the Universal Definition of Heart Failure: Endorsed by the Canadian Heart Failure Society, Heart Failure Association of India, Cardiac Society of Australia and New Zealand, and Chinese Heart Failure Association. Eur J Heart Fail. Mar 2021;23(3):352-380. doi:10.1002/ejhf.2115