Düsseldorf/Mannheim, 4. April 2024 – Angina Pectoris (Brustenge) ist das häufigste Symptom bei Patient:innen mit einer chronischen koronaren Herzerkrankung (KHK). Bei diesen Patient:innen liegt pathophysiologisch eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße vor. Ab einem gewissen Grad der Stenose führt dies zu einer geringeren Blutzufuhr und somit zu einer Unterversorgung des Herzens mit Sauerstoff, das heißt einer Ischämie. Patient:innen bemerken dies, indem sie unter Anstrengung pectanginöse Beschwerden bekommen. Dabei gilt: Je ausgeprägter die Stenose, desto weniger Anstrengung ist für die Symptome notwendig. Gemessen wird der Schweregrade der Angina Pectoris in vier aufsteigenden CCS-Klassen. Beim ersten Grad haben die Patient:innen Beschwerden erst bei starker körperlicher Belastung, etwa beim Sport. Beim vierten und schwersten Grad sind die Symptome bereits in Ruhe, also beim Sitzen oder Liegen bemerkbar.
Angina pectoris: Medikamente oder Revaskularisation oder beides?
Sollten die pectanginösen Beschwerden trotz einer zuvor erfolgten Änderung des Lebensstils fortbestehen, ist der nächste leitliniengerechte Behandlungsschritt eine medikamentöse antianginöse Therapie. Medikamentengruppen, die hierfür infrage kommen, sind bspw. Betablocker, Calcium-Antagonisten, Nitrate und Ranolazin als Natriumkanalblocker. Die medikamentöse Therapie ist komplex. Abhängig von den Komorbiditäten und des Schweregrads der Angina Pectoris, gibt es verschiedene Stufen und Kombinationstherapien. Sollte der Patient oder die Patientin danach weiterhin in der Lebensqualität eingeschränkt sein, empfehlen die Leitlinien die Revaskularisation.
Ich möchte hier besonders die erste ORBITA-Studie aus dem Jahr 2018 erwähnen, die 230 Patient:innen mit Angina pectoris untersucht hat. Bei diesen lag mindestens eine Stenose mit Ischämienachweis vor. Die Gruppe wurde randomisiert und zur Hälfte interventionell revaskularisiert (PTCA), während die andere Hälfte optimal antianginös mit Medikamenten therapiert wurde, plus Pacebo-Eingriff. Allein für die antianginöse Therapie mussten die Patient:innen durchschnittlich 2,9 Tabletten einnehmen. Untersucht wurde die unterschiedliche körperliche Limitation. Im Ergebnis gab es keinen symptomatischen Benefit bei einer Revaskularisation über eine medikamentöse Therapie hinaus. Das bedeutet, Patient:innen haben nicht weniger Symptome, wenn sie zusätzlich zur medikamentösen Behandlung noch eine PTCA erhalten.
Seit der Ischemia-Studie aus dem Jahr 2020 wissen wir außerdem, dass eine Revaskularisation bei Patient:innen mit chronischer KHK nicht zu einer Verbesserung der Prognose beiträgt. Das gilt sowohl für die operative als auch für die interventionelle Revaskularisation. Patient:innen haben allerdings einen symptomatischen Benefit, das heißt sie leiden nicht mehr so stark an den körperlichen Beeinträchtigungen durch pectanginöse Beschwerdesymptomatik.
ORBITA-2: Hat die PTCA noch eine Daseinsberechtigung?
Es stellte sich für uns Kardiologinnen und Kardiologen daher berechtigterweise die Frage, ob eine PTCA überhaupt notwendig sei, wenn eine medikamentöse Behandlung den gleichen Effekt zu haben scheint. Daher wurde in der im Dezember 2023 publizierten ORBITA-2-Studie untersucht, ob die PTCA überhaupt einen Effekt auf die Symptomatik der Patient:innen hat. Eingeschlossen wurden 301 Patient:innen mit Angina pectoris. Bei diesen lag mindestens eine Stenose in den Koronargefäßen mit Ischämienachweis vor. Im Schnitt waren die Personen 65 Jahre alt, 80 % Männer, die LV-Funktion war bei den meisten erhalten. Es lagen überwiegend Schweregrade CCS 2 (58 %) und CCS 3 (39 %) der Angina pectoris vor, das heißt Beschwerden bei moderater bis leichter körperlicher Belastung. Die Gruppe wurde randomisiert. Die eine Hälfte der Patient:innen wurde revaskularisiert, die andere erhielt nur einen Placebo-Eingriff. Bereits bestehende antianginöse Therapien wurden zwei Wochen vor dem Eingriff gestoppt. Patient:innen sollten nur bei Bedarf nach dem Eingriff Medikamente, zum Beispiel Nitro-Spray, einnehmen. Die Patient:innen wurden täglich über einen Zeitraum von 84 Tagen nach ihren körperlichen Beschwerden befragt. Das Ergebnis war, dass bei der PTCA-Gruppe der überwiegende Teil keine (80 %) oder nur kleinere Beeinträchtigungen hatte. Die Placebo-Gruppe hatte häufiger noch Beschwerden (50 %) und auch der Bedarf an Medikamenten war deutlich ausgeprägter. Zudem wurde nach drei Monaten ein Belastungstest per Laufband durchgeführt: Patient:innen aus der PTCA-Gruppe konnten deutlich länger beschwerdefrei trainieren. Während vor dem Eingriff die meisten Patient:innen den CCS-Klassen 2 und 3 zugeordnet wurden, lag der Anteil der PTCA- Patient:innen ohne jegliche Beschwerden (CCS 0) in der Follow-Up-Phase bei 40 % und bei der Placebo-Gruppe bei 15 %.
Shared Decision-Making kann Therapie-Akzeptanz erhöhen
Abschließend lässt sich also feststellen, dass die medikamentöse Therapie sehr gut geeignet ist, um die Symptome bei einer Angina pectoris zu verbessern. Gleichzeitig trifft dies auch auf die PTCA-Therapie zu, wie erstmals in der ORBITA-2-Studie mit handfesten Daten belegt wurde. Eine PTCA gibt aber keinen zusätzlichen Nutzen, bei gleichzeitiger anti-anginöser Medikation.
Es erscheint eindeutig, dass in dieser Situation ein sogenanntes Shared Decision-Making notwendig wird. Hierfür ist es wichtig, laienverständlich und auf Augenhöhe mit unseren Patient:innen zu kommunizieren, um gemeinsam die Entscheidung für die Art der Therapie zu treffen. Wichtige Kriterien, die angesprochen werden sollten, sind der Schweregrad und die Lokalisation der Stenose und damit das Risiko bei einem interventionellen Eingriff. Ebenso sollte das Blutungsrisiko mitbedacht werden, wenn der Patient oder die Patientin bereits Antikoagulanzien erhält. Auf der anderen Seite sind medikamentöse Nebenwirkungen zu beachten, und auch, wie viele und welche Medikamente der Patient oder die Patientin bereits erhält, bzw. bereit ist, einzunehmen. Wenn sich Shared Decision-Making an den Bedürfnissen der Patient:innen orientiert, kann dies zu einer besseren Akzeptanz der Therapie, mehr Zufriedenheit und damit zu einer individuell höher empfundenen Lebensqualität trotz der Erkrankung führen.