Die Nationale Herz-Allianz ist die größte, auf Langfristigkeit ausgelegte Initiative in der Geschichte der Deutschen Herzmedizin. Unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vereinigen sich in ihr alle großen herzmedizinischen Fachgesellschaften sowie die Patientenvertretung. Wir treten zusammen für die Interessen derjenigen Patientengruppe mit der höchsten Sterblichkeitsrate ein, denn nach wie vor sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache Nummer Eins in Deutschland.
Aktuell haben wir zwar eine große Innovationskraft im Bereich moderner Behandlungsstrategien, diese allein reicht allerdings nicht aus, um der Gesamtlast der Erkrankungen in Zukunft Herr zu werden. Denn leider sind viele kardiologische Krankheitsbilder noch nicht hinreichend ursächlich erforscht. Außerdem haben wir ein großes Defizit bei Präventionsmaßnahmen und Aufklärung, was uns vor zusätzliche Herausforderungen stellt. Die wesentliche Idee der Nationalen Herz-Allianz ist es deshalb, durch beispielgebende Pilotprojekte auf Verbesserungsmöglichkeiten in der Herz-Kreislauf-Gesundheit in Deutschland aufmerksam zu machen. Die Auswertung und Publikation dieser Projekte soll dann möglichst Anlass bieten, wichtige Veränderungen in der Gesetzgebung anzustoßen, um die Regelversorgung in der Bundesrepublik zu verbessern.
Erster Studienerfolg: Früherkennung von Stoffwechselkrankheit bei Kindern
Wir sind in diesem Zusammenhang mit der VRONI-Studie in Bayern zur Detektion der erblichen Stoffwechselkrankheit Familiäre Hypercholesterinämie (FH) bei Kindern sehr erfolgreich gestartet. FH führt zu hohen LDL-Cholesterinwerten, wodurch es bereits ab einem Alter von 35 Jahren zu Gefäßverkalkungen kommen kann. Damit steigt das Risiko, trotz eines gesunden Lebensstils, einen Herzinfarkt zu erleiden. Mittlerweile wurden im Rahmen der Studie über 180 Familien mit einem kostengünstigen Testverfahren identifiziert, bei denen die Veranlagung für eine FH bislang unbekannt war. Fast alle Familien konnten bereits leitliniengerecht versorgt werden. Die Studie bekam so viel Aufmerksamkeit, dass das BMG ein Konzeptpapier für ein Gesetz formulierte, worin aktuell die Möglichkeit zu einer Prävention für Kinder geprüft wird.
Diesen Weg wollen wir weitergehen. Konkret ist in diesem Jahr in Niedersachsen eine Schwesterstudie mit Namen „VRONI im Norden“ gestartet. Eltern können ihre Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren in den teilnehmenden Kliniken und Arztpraxen kostenlos testen lassen. Mit zwei bis drei Tropfen Blut aus dem Finger können bereits Hinweise auf eine FH-Erkrankung ermittelt werden.
Weitere Projekte mit Fokus auf asymptomatische Patient:innen geplant
Zudem arbeiten wir gerade an einem Studienmodell zur Früherkennung von asymptomatischer Herzschwäche. Anders als in fortgeschrittenen Stadien leiden die Patientinnen und Patienten in der Anfangsphase der Erkrankung bei körperlicher Anstrengung noch nicht unter Luftnot oder anderen Beeinträchtigungen. Je früher die Krankheit erkannt wird, desto besser ist sie therapierbar. Auch dieser Test soll mit einer einfachen Blutprobe realisierbar sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Studie in Heidelberg und Homburg/Saar durchgeführt.
Ein weiteres, in seiner Planung bereits weit fortgeschrittenes Projekt wird sich mit der Früherkennung von AV-Klappeninsuffizienzen befassen. Bei Patientinnen und Patienten mit dieser Erkrankung arbeiten die Segelklappen des Herzens nicht richtig. Im frühen Stadium sind die Symptome kaum wahrnehmbaren, allerdings kann sich die Situation schnell verschlechtern – mit sehr ungünstigen Aussichten. Das Projekt soll dabei helfen, die Krankheit frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu behandeln.
Bessere Aufklärung könnte in Deutschland jährlich tausende Todesfälle verhindern
Wir sind in Deutschland bei der Notfall-Reanimationen durch Laien schlecht aufgestellt. Hier bewegen wir uns im europäischen Vergleich gerade einmal im unteren Drittel. Nur bei rund 40 % der Herzstillstände trauen sich Laien und Passantinnen und Passanten eine Herzdruckmassage zu bzw. wären bereit, eine durchzuführen. Durch bessere Aufklärung sowie Kurse und Trainings in Schulen, flankiert von digitalen Hilfsmaßnahmen, konnten in den skandinavischen Ländern in der Vergangenheit fantastische Steigerungsraten erzielt werden. Auch wir in Deutschland könnten enorm von ähnlichen Maßnahmen profitieren und so die Anzahl der Todesfälle durch Herzstillstände reduzieren. Ideen und Konzepte, wie man die Expertise gerade auch bei der jungen Bevölkerung verbessern könnte, hat die NHA bereits entsprechenden Regierungsstellen präsentiert.
Noch in etwas weiterer Zukunft aber bereits in Planung ist zudem ein Projekt für den besseren Zugang zu Influenza-Impfungen für Hochrisiko-Herzpatientinnen und -patienten. Wir wissen, dass diese ein sechsmal höheres Risiko für eine Herzmuskelentzündung haben, wenn sie sich mit Grippe infizieren.[1] Trotzdem nehmen weniger als die Hälfte, die einen Anspruch darauf haben, und für die die klare Empfehlung existiert, das Angebot einer schützenden Grippeimpfung wahr. Auch da haben wir bereits Ideen, wie durch wenig Aufwand eine flächendeckend bessere Prävention realisiert werden könnte.
Forschungslandschaft in Deutschland muss dringend verbessert werden
Im Bereich der Forschung besteht ein großes Ungleichgewicht in Deutschland: Obwohl die Kardiologie die Patientengruppe mit den meisten Todesfällen vertritt, ist die Förderung siebenmal geringer als die der Krebsforschung. Ein generelles Anliegen der NHA ist es daher auch, die finanzielle Unterstützung für die Herz-Kreislauf-Forschung zu erhöhen und bürokratische Hürden abzubauen. Nur so können wir kardiale Erkrankungen besser verstehen und behandeln und bleiben als Forschungsland international wettbewerbsfähig.
Mehr Informationen zur Nationalen Herz-Allianz, den beteiligten Gesellschaften und den Projekten finden Sie auf https://herzmedizin.de/nationale-herz-kreislauf-strategie.html
[1] Kwong et al. (2018): Acute Myocardial Infarction after Laboratory-Confirmed Influenza Infection; DOI: 10.1056/NEJMoa1702090