Genetisches Screening bei Kardiomyopathien

 

DGK Herztage 2025 | Kardiomyopathien (CMP) sind eine heterogene Gruppe von Herzerkrankungen mit unterschiedlichen Ursachen, Pathomechanismen und klinischen Erscheinungsformen. Obwohl die Diagnose der Kardiomyopathie in erster Linie anhand der phänotypischen Präsentation gestellt wird, wurde der Stellenwert von Gentestungen in den letzten Jahren deutlich aufgewertet.

 

Prof. Benjamin Meder (Universitätsklinik Heidelberg) gab auf den Herztagen 2025 einen Überblick zum Status quo für das genetische Screening bei CMP.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

06.11.2025

 

Bildquelle: Sina Ettmer Photography / Shutterstock.com

Definitionen und Kategorien

 

Den aktuellen ESC-Leitlinien aus dem Jahr 2023 zufolge werden Kardiomyopathien (CMP) definiert als Herzmuskelerkrankung, bei der der Herzmuskel strukturell und funktionell von der Norm abweicht, ohne dass eine koronare Herzkrankheit, Hypertonie, Klappenerkrankungen oder angeborene Herzfehler vorliegt, die ausreicht, um die beobachtete myokardiale Auffälligkeit zu verursachen.2 Basierend auf dem Phänotyp CMP werden in folgende 5 Kategorien eingeteilt:

 

  1. HCM (Hypertrophe CMP): Erhöhte linksventrikuläre Wanddicke (mit oder ohne rechtsventrikuläre Hypertrophie) oder Masse, die nicht allein durch abnormale Füllungsdrücke erklärt werden kann.
  2. DCM (Dilatative CMP): Dilatation des linken Ventrikels mit einer globalen oder regionalen systolischen Dysfunktion, die nicht allein durch abnormale Füllungsdrücke erklärt werden kann.
  3. NDLVC (Nichtdilatative linksventrikuläre CMP): Vorhandensein von linksventrikulären nichtischämischen Narben oder Fetteinlagerungen, unabhängig vom Vorhandensein globaler oder regionaler Wandbewegungsstörungen, oder eine isolierte globale linksventrikuläre Hypokinesie ohne Narbenbildung
  4. ARVC (Arrhythmogene rechtsventrikuläre CMP): Überwiegend rechtsventrikuläre Dilatation und/oder Dysfunktion bei gleichzeitiger histologischer Beteiligung und/oder elektrokardiographischen Abnormalitäten
  5. RCM (Restriktive CMP): Restriktive links- und/oder rechtsventrikuläre Pathophysiologie bei gleichzeitig normalen oder reduzierten diastolischen Volumina (von einem oder beiden Ventrikeln), normalen oder reduzierten systolischen Volumina und normaler Wanddicke der Ventrikel

Diagnostischer Pathway: Genotype-Last-Ansatz

 

Laut ESC-Leitlinien ist für die Diagnose grundsätzlich ein multimodaler bzw. multiparametrischer Ansatz zu verwenden, der unterschiedliche Untersuchungen einschließt, um die komplexen kausalen und phänotypischen Faktoren einer Kardiomyopathie zu erfassen. Die Leitlinien empfehlen einen diagnostischen Pathway mit den genannten Untersuchungen in folgende Reihenfolge: Anamnese, körperliche Untersuchung, EKG, Echokardiographie, Labor, kardiale MRT, Szintigraphie, Myokardbiopsie und genetische Testung.

 

Obwohl die Diagnose der Kardiomyopathie in erster Linie anhand der phänotypischen Präsentation gestellt wird, wurde der Stellenwert von Gentestungen in den letzten Jahren deutlich aufgewertet. So sollen genetische Testungen nicht nur zur Diagnosesicherung, sondern auch für das Familienscreening eingesetzt werden. Weiterhin sind Gentests hilfreich zur Abklärung von Grenzfällen oder von genetischen Modifikationen, die eine Kardiomyopathie imitieren können.

 

Die ESC-Leitlinien empfehlen Gentests bei Patientinnen und -Patienten, die die diagnostischen Kriterien für eine Kardiomyopathie erfüllen, falls dadurch die Diagnose, Prognose, therapeutische Stratifizierung oder das Reproduktionsmanagement ermöglicht wird, oder falls die Gentests eine kaskadierende genetische Evaluation von Verwandten erlauben, die ansonsten an einem Langzeitmonitoring teilnehmen müssten (IB-Empfehlung). Auch post mortem kann eine genetische Untersuchung erfolgen, falls die Behandlung der hinterbliebenen Angehörigen verbessert werden kann (IC-Empfehlungen).

Gentests bei HC(O)M

 

Die genetischen Grundlagen der hypertrophen (obstruktiven) Kardiomyopathie (H[O]CM) sind gut erforscht: Es handelt sich um eine Herzmuskelerkrankung, die vor allem durch Veränderungen in den Sarkomer-Genen verursacht wird. Laut ESC-Leitlinien werden Gentests bei Patientinnen und Patienten mit isolierter oder syndromaler Form einer H(O)CM empfohlen, insbesondere wenn daraus therapeutische und/oder Konsequenzen im Kaskadenscreening resultieren können. Diese Empfehlung besteht unabhängig von einer positiven Familienanamnese, da insbesondere bei rezessiven Erbgängen, Mosaiken oder Neumutationen eine Familienanamnese nicht immer zielführend ist.2,3

 

Die Ergebnisse von Gentests können bei HCM unerwartete und entscheidende Konsequenzen für die Therapie haben, wie die folgenden beiden Fallbeispiele verdeutlichen:

50-jährige Frau mit HCM

Familienanamnese: Vater mit Herzinsuffizienz im Alter von 64 Jahren verstorben während einer intestinalen OP

Diagnosebefund (MRT):

  • Hypertrophe Kardiomyopathie vom apikalen Typ
  • Konzentrisch hypertrophierter Ventrikel mit hochnormaler systolischer Funktion ohne regionale Kontraktionsstörungen
  • Infarkt-atypisches LGE inferolateral basal

Gentest:

  • Nachweis der Variante c.815A>G (ASN272Ser) heterozygot im Exon 6 des GLA-Gens, die mit dem vollständigen Verlust der Enzymaktivität der α-Galactosidase A einhergeht.
  • Diese Variante wurde bei 7 männlichen Angehörigen einer Familie mit Morbus Fabry beschrieben (6 davon mit linksventrikulärer Hypertrophie).
  • Der Enzymdefekt führt zu einer gestörten Metabolisierung und intrazellulären Akkumulation von Glykosphingolipiden.
  • Bei Morbus Fabry sind außer dem Herz multiple Organe betroffen, wie Nieren, Haut, Augen und Nervensystem.

Therapie: Für die Behandlung von Morbus Fabry ist eine Enzymersatztherapie indiziert mit dem Wirkstoff Pegunigalsidase alfa (i.v., q2w).

56-jähriger Mann mit HCM

Familienanamnese: Keine Fälle von plötzlichem Herztod oder Kardiomyopathien bekannt.

Diagnosebefund (MRT):

  • Normal großer, septal betont konzentrisch hypertropher linker Ventrikel mit guter systolischer Funktion und reduzierter longitudinaler Funktion (GLS -14,1 %)
  • Normal großer, rechter Ventrikel mit visuell guter systolischer Funktion und normaler longitudinaler Funktion
  • Linker und rechter Vorhof normal groß
  • Nachweis eines ausgeprägten infarkt-atypischen LGE zirkumferentiell basal, septal sowie inferior medial
  • Global insbesondere septal deutlich erhöhte T1-Relaxationszeichen
  • Regelrechte globale T2-Relaxationszeichen

Gentest:

  • Nachweis der pathogenen Variante c.311T>C (Ile272Ser) heterozygot im Exon 3 des TTR-Gens, die durch Amyloid-Ablagerungen zu Kardiomyopathien und Polyneuropathie führen kann.
  • Bestätigung der Diagnose einer hereditären Transthyretin-Amyloidose (ATTR-CM)

Therapie: Für die Therapie der kardialen Transthyretin-Amyloidose (ATTR-CM) stehen folgende Wirkstoffe zur Verfügung: TTR-Stabilisatoren (Tafamidis und Acoramidis) sowie die SiRNA Vutrisiran.

Gentests für das SCD-Risikomanagement bei H(O)CM

 

Patientinnen und Patienten mit HCM oder HOCM haben ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod (SCD). Die jährliche SCD-bedingte Mortalität liegt in HCM- und HOCM-Kohorten bei ca. 1–2 %.4 Zur SCD-Prävention kommt ein implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD) in Betracht – abhängig von dem individuellen SCD-Risiko. Für die SCD-Risikoeinschätzung bei H(O)CM wurde bereits durch die ESC-Leitlinien aus dem Jahr 2014 das HCM-Risk-SCD-Modell empfohlen (https://qxmd.com/calculate/calculator_303/hcm-risk-scd).5 Dieses Modell wurde inzwischen in unabhängigen Kohorten und einer Metaanalyse validiert.6

 

Die aktuellen ESC-Leitlinien geben folgende Empfehlungen für die ICD-Implantation abhängig vom SCD-Risiko (für Personen ≥ 16 Jahre):2

  • Hohes SCD-Risiko (5-Jahres-Mortalität ≥6 %): Eine ICD-Implantation soll erwogen werden unter Berücksichtigung folgender Faktoren: Lebenslanges Risiko für Komplikationen, Mortalitätsrisiko durch Komorbiditäten und ICD-Einfluss auf Lebensstil, sozioökonomischem Status und psychische Gesundheit.
  • Intermediäres SCD-Risiko (5-Jahres-Mortalität 4–6 %): Eine ICD-Implantation kann erwogen werden unter Berücksichtigung folgender Faktoren: Lebenslanges Risiko für Komplikationen, Mortalitätsrisiko durch Komorbiditäten und ICD-Einfluss auf Lebensstil, sozioökonomischem Status und psychische Gesundheit
  • Niedriges SCD-Risiko (5-Jahres-Mortalität <4 %): Eine ICD-Implantation kann erwogen werden, falls ≥1 klinischer Risikofaktor vorliegt (extensive LGE (≥15%) oder LVEF <50 %)

 

Die ESC-Leitlinien-Empfehlungen zur ICD-Implantation werden allerdings derzeit revidiert und vermutlich in Kürze veröffentlicht, wobei folgende Risiko-Faktoren neu eingeführt werden: LVEF <50%, abnormales Blutdruckverhalten im Stresstest, apikales LV-Aneurysma, ausgeprägtes LGE im MRT (≥15 %) und Nachweis pathogener Sarkomer-Genvarianten (MYH7, MYBPC3, TNNI3, TNNT2, TPM1, MYL2, MYL3, ACTC1). Zukünftig werden daher Gentests auch Einfluss auf das Risikomanagement bei HCM und HOCM haben.

Kombinierte Gentests für Kardiomyopathien und Arrhythmien

 

Arrhythmien und Kardiomyopathien können gemeinsame genetische Faktoren aufweisen. Kombinierte Gentests verwenden Genpanels, die Genvarianten sowohl für Kardiomyopathien als auch für Arrhythmien erfassen. Kombinierte Gentests für Kardiomyopathien und Arrhythmien erhöhen die Diagnosesicherheit und ermöglichen die Differenzierung von Erkrankungen, die sich kardiomorphologisch ähnlich präsentieren. In einer aktuellen retrospektiven Kohortenstudie mit 4.782 Personen mit Verdacht auf Kardiomyopathien oder Arrhythmien wurde der klinische Nutzen kombinierter Gentests untersucht. Klinisch relevante Genvarianten wurden bei jeder 5. Person entdeckt und in Zweidrittel der Fälle hatten die Gentests einen maßgeblichen Einfluss auf die Therapie. Insgesamt unterstützte diese Real-World-Studie den Stellenwert von kombinierten Gentests bei Kardiomyopathien und Arrhythmien.6

Gentests bei ARVC

 

Die genetischen Grundlagen der arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie (ARVC), die mit einem hohen SCD-Risiko assoziiert ist, wurden erst in den letzten Jahren genauer charakterisiert.8 Dabei handelt sich vor allem um Veränderungen der Gene, die für Proteine der kardialen Desmosomen kodieren, wie Plakophilin-2, Desmocollin-2, Desmoglein-2, Desmoplakin und Plakoglobin.8 Die ARVC ist eine progressive Myokardatrophie mit fibro-fettigem Ersatz des RV-Myokards, die sich in der Regel im Alter von 20-40 Jahren manifestiert (geschätzte Prävalenz 1:2.000). Obwohl es sich überwiegend um eine Erkrankung der rechten Herzkammer handelt, kann die ARVC auch die linke Herzkammer (ARVC links dominante Form) oder beide Kammern (ARVC biventrikuläre Form) betreffen. Eine ARVC-Verdachtsdiagnose sollte bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit Herzklopfen, Synkopen oder Reanimation nach Herzstillstand gestellt werden. Die Diagnose der ARVC basiert vor allem auf den Ergebnissen der genetischen Testungen neben den Befunden aus Langzeit-EKG und kardialer Bildgebung.2.

Fazit

 

Die genetische Diagnostik ordnet sich in die umfassende klinische und apparative Untersuchung ein. Gentests können nicht nur die CMP-Diagnose bestätigen, sondern können auch einen wesentlichen Einfluss auf die Therapiestrategie haben und für das Familienscreening eingesetzt werden. Durch den zielgerichteten Einsatz von Gentests können Ressourcen optimal genutzt werden. Die Diagnose, Prognose und differenzierte Therapie werden bei vielen CMP-Formen durch Genotypen unterstützt. Darüber hinaus gibt es kaum Patientinnen und Patienten, die eine genetische Testung ablehnen.

Zur Person

Prof. Benjamin Meder

Prof. Benjamin Meder ist W3-Professor für Precision Digital Health an der Universität Heidelberg und stellv. Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie. Er leitet das Institut für Kardiomyopathien (ICH.) und ist Sprecher des Kardiogenetikzentrum Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Genetik, Epigenetik von Kardiomyopathien und die Entwicklung neuer Therapien bei dieser Erkrankungsgruppe.


Referenzen

  1. Meder B. Genetisches Screening bei Kardiomyopathien. Herztage 2025, Hamburg, 25.09.2025
  2. Arbelo E et al. 2023 ESC Guidelines for the management of cardiomyopathies. Eur Heart J. 2023 Oct 1;44(37):3503-3626.
  3. Schulze‑Bahr E, Klaassen S, Gerull B, von Kodolitsch Y, Landmesser U, Rieß O, Meder B, Schunkert H. Gendiagnostik bei kardiovaskulären Erkrankungen – Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), der Gesellschaft für Humangenetik (GfH) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK). Kardiologie 2023;17(5):300‑349. https://doi.org/10.1007/s12181‑023‑00622‑3
  4. Elliott PM et al. Historical trends in reported survival rates in patients with hypertrophic cardiomyopathy. Heart. 2006 Jun;92(6):785-91. doi: 10.1136/hrt.2005.068577. Epub 2005 Oct 10. PMID: 16216855; PMCID: PMC1860645.
  5. ESC Guidelines on diagnosis and management of hypertrophic cardiomyopathy: the Task Force for the Diagnosis and Management of Hypertrophic Cardiomyopathy of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2014 Oct 14;35(39):2733-79. doi: 10.1093/eurheartj/ehu284. Epub 2014 Aug 29. PMID: 25173338.
  6. Amr A et al. Improving sudden cardiac death risk stratification in hypertrophic cardiomyopathy using established clinical variables and genetic information. Clin Res Cardiol. 2024 May;113(5):728-736. doi: 10.1007/s00392-023-02310-4. Epub 2023 Oct 4. PMID: 37792019; PMCID: PMC11026183.
  7. Dellefave-Castillo LM et al. Assessment of the Diagnostic Yield of Combined Cardiomyopathy and Arrhythmia Genetic Testing. JAMA Cardiol. 2022 Sep 1;7(9):966-974. doi: 10.1001/jamacardio.2022.2455.
  8. Corrado D et al. Evolving Diagnostic Criteria for Arrhythmogenic Cardiomyopathy. J Am Heart Assoc. 2021 Sep 21;10(18):e021987. doi: 10.1161/JAHA.121.021987  

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