Erste Erfahrungen mit Lipidsenker Inclisiran in Deutschland

Auch im Fall des neuen Cholesterinsenkers Inclisiran ist die damit erzielte Senkung des LDL-Cholesterins interindividuell sehr variabel, wie aus Daten der ersten damit behandelten Patienten in einem deutschen Register hervorgeht. Das spricht für eine individualisierte Therapie.

Von Peter Overbeck

 

22.04.2022

Je nach individueller genetischer Regulierung des Cholesterinstoffwechsels sprechen Menschen auf lipidsenkende Wirkstoffe wie Statine, Ezetimib, Bempedoinsäure oder PCSK9-Hemmer unterschiedlich an, erinnerte Prof. Oliver Weingärtner vom Uniklinikum Jena bei der DGK-Jahrestagung 2022 in Mannheim. Auch der neue Cholesterinsenker Inclisiran bilde da keine Ausnahme.

 

Incliseran unterbindet als sogenannte small interfering RNA (siRNA) durch RNA-Interferenz (RNAi) die hepatische Synthese von PCSK9. Durch Inclisiran wird die mRNA für PCSK9 an der Translation zur Synthese von PCSK9 gehindert, wodurch wiederum der Abbau von LDL-Rezeptoren in der Leber gehemmt wird und somit mehr LDL-Cholesterin aus dem Blut aufgenommen werden kann.

Erste Erfahrungen bei 117 Patienten im GIN-Register

Erste Erfahrungen in der praktischen Anwendung des seit Dezember 2020 in der EU zugelassenen Wirkstoffs Inclisiran in Deutschland sind inzwischen in einer Registerstudie im Rahmen des German Inclisiran Network (GIN) gewonnen worden. Auf Daten der ersten 117 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Registers basierende Ergebnisse hat Weingärtner in der „Late Breaking Clinical Trial I-Sitzung“ bei der DGK-Jahrestagung vorgestellt.

 

Bei den meisten (70%) der im Schnitt 64 Jahre alten Patientinnen (42%) und Patienten bestand bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung, viele waren mit Statinen (32%), Ezetimib (35%) oder PCSK9-Hemmern (33%) vorbehandelt. Gründe für die Inclisiran-Therapie waren unter anderem eine Unverträglichkeit gegenüber PCSK9-Hemmern bzw. ein ungenügendes Ansprechen auf eine entsprechende Therapie.

LDL-Reduktion um 32,4% nach drei Monaten

Drei Monate nach erster subkutaner Einmal-Applikation von Inclisiran betrug die damit erreichte signifikante LDL-C-Reduktion im Schnitt 32,4% in Relation zum Ausgangswert, berichtete Weingärtner. Die Analyse der individuellen Effekte offenbarte eine große Variabilität der LDL-C-Senkung, die sich zwischen eine Reduktion um bis zu 80% und einer LDL-C-Zunahme bei einigen Patienten bewegte.

 

Weingärtner und sein Team haben das Ansprechen auf Inclisiran in Abhängigkeit von der begleitenden lipidsenkenden Therapie genauer untersucht. Eine begleitende Statin- oder Bempedoinsäure-Therapie hatte ebenso wie eine Lipidapherese keinen Einfluss auf den Wirkungsgrad der Inclisiran-Therapie. Dagegen war deren LDL-senkende Wirkung im Fall einer Ezetimib-Therapie signifikant stärker, im Fall einer Vorbehandlung mit PCSK9-Hemmer signifikant schwächer ausgeprägt.

Plädoyer für eine „treat to target“-Strategie

Die Ergebnisse des GIN-Registers sprechen einmal mehr für die Notwendigkeit einer individualisierten und Zielwert-orientierten lipidsenkenden Therapie, so Weingärtners Schlussfolgerung.

 

Dieser Einschätzung schloss sich auch Prof. Andreas Zeiher vom Uniklinikum Frankfurt als offizieller Kommentator der von Weingärtner präsentierten Studiendaten an. Für die Beurteilung sei wichtig zu wissen, dass es sich dabei um drei Monate nach Applikation der Erstdosis erhobene Befunde handelt, betonte der Kardiologe. Nötig sei allerdings ein längeres Follow-up. Zeiher erinnerte daran, dass in den zulassungsrelevanten randomisierten Studien (ORION-Programm) die LDL-Reduktion nach sechs Monaten und zweimaliger Inclisiran-Applikation rund 50% betragen habe. LDL-C-Anstiege seien dabei unter dieser Therapie nicht beobachtet worden.

 

Die im Vergleich dazu geringere LDL-Reduktion im GIN-Register sei möglicherweise der durch eine spezielle Patientenauswahl bedingten Heterogenität des Studienkollektivs geschuldet. Dass etwa Patienten, bei denen zuvor eine Therapie mit PCSK9-Hemmern wenig erfolgreich war, nicht gut auf die ebenfalls PCSK9-basierte Inclisiran-Therapie ansprechen, sei wenig überraschend und quasi eine „self fullfilling prophecy“, so Zeiher.

 

Erstaunlich ist nach seiner Ansicht jedoch die Tatsache, dass Statine keinen Einfluss auf die Inclisiran-Therapie gehabt haben sollen. Normalerweise führe eine Behandlung mit Statinen zur Hochregulierung von PCSK9 – was das Ansprechen auf Inclisiran eigentlich verbessern müsste. Auf Basis gepoolter Langzeitdaten (Follow-up-Dauer 510 Tage) zur Inclisiran-Therapie sei eine solche Responseverbesserung auch tatsächlich gezeigt worden.

 

Als Take Home Message gab Zeiher am Ende mit auf den Weg, dass auch im Fall von Inclisiran die Therapie nicht nach dem „fire and forget“-, sondern nach dem „treat to target“-Prinzip zu erfolgen habe.


Literatur

Weingärtner O: High inter-individual variability in LDL-cholesterol reductions after administration of the siRNA inclisiran, Late Breaking Clinical Trials I, DGK-Jahrestagung 2022, 20. – 23. April, Mannheim

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