Expertenstatement anlässlich der DGK Herztage 2025 im Rahmen der Pressekonferenz
Expertenstatement anlässlich der DGK Herztage 2025 im Rahmen der Pressekonferenz
Düsseldorf/Hamburg, 25. September 2025 – Dennis Schröder, Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft und einer der erfolgreichsten Spieler in der NBA, hat mit seinem Team Historisches erreicht: vor 2 Jahren den Sieg bei den Weltmeisterschaften, jetzt den Gewinn der Basketball-Europameisterschaft – sportliche Triumphe, die Millionen begeistern. Doch abseits des Spielfelds hat Schröder auch eine sehr persönliche Geschichte öffentlich gemacht: den plötzlichen Tod seines Vaters, der an einem Herzinfarkt verstarb. Schröder war damals 16 Jahre alt. Der Tod seines Vaters war ein einschneidendes Erlebnis für den jungen Mann.
Rückblickend bleibt die Frage: Wären solche Fälle vermeidbar? Auch wenn wir das nicht für jedes einzelne Schicksal beantworten können, so ist doch klar: Eine rechtzeitige Diagnostik, strukturierte Prävention und eine bessere Abstimmung zwischen Hausärztin/Hausarzt, Kardiologin/Kardiologe und Klinik kann Leben retten. Leider ist es genau dies, was im deutschen Gesundheitssystem häufig fehlt – eine lückenlose, sektorenübergreifende Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland sind, belegt auch der aktuelle Herzbericht – Update 2025. Über 211.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen ihrer kardiovaskulären Erkrankungen. Gleichzeitig zeigen regionale Auswertungen deutliche Unterschiede in der Versorgungsqualität – und damit auch in den Überlebenschancen der Betroffenen. Doch hinter diesen Zahlen verbergen sich seltener medizinisch-technische Mängel, als vor allem auch strukturelle Lücken im Versorgungssystem: regionale Unterschiede, Defizite in der ambulanten Früherkennung, mangelhafte Kontinuität nach stationären Aufenthalten und leider auch eine unzureichende interdisziplinäre Kommunikation.
Konventionelle und interventionelle Kardiologie, Herzchirurgie und Allgemeinmedizin – das interdisziplinäre Herz-Team ist strukturell breit aufgestellt. Was es hier braucht, ist ein echter „Team-Approach“ – eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Medizinerinnen und Medizinern, aber auch spezialisierten Pflegekräften wie HF-Nurses in den sogenannten Heart Failure Units (HFU). Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit muss aber nicht nur theoretisch gewollt, sondern auch praktisch gelebt werden.
Bereits heute existieren dafür vielversprechende Grundlagen. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK) etwa hat mit der Etablierung zertifizierter Heart Failure Units sowie der Förderung von Telemedizinzentren (TMZ) wichtige Strukturen geschaffen, die eine sektorenübergreifende Versorgung ermöglichen. Zu den wichtigen Akteurinnen und Akteuren eines funktionierenden Herz-Teams gehört auch das nicht-ärztliche Personal in der Gesundheitsversorgung. Die von der DGK forcierte Stärkung ihrer Sektion 1 für Assistenz- und Pflegepersonal soll gezielt die Einbindung dieser Berufsgruppen fördern. Weitere zentrale Elemente der idealen Versorgung sind:
Die Realität zeigt jedoch: Diese Idealversion steht leider häufig noch im Kontrast zum derzeitigen Status quo in Deutschland. Obwohl digitale Lösungen wie KIM zunehmend etabliert werden, erfolgt der Austausch häufig noch unstrukturiert – insbesondere an den Schnittstellen zwischen Klinik und ambulanter Versorgung. Eine weitere Hürde ist die mangelhafte Interoperabilität: Systeme wie die elektronische Patientenakte sind technisch verfügbar, aber ihre Nutzung bleibt gering. Unabdingbar sind hierbei Leitlinien für die Behandlung, die strikt auf wissenschaftlicher Evidenz basieren. Dass hier nicht immer Einigkeit herrscht, zeigt die Diskussion um die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) zur chronischen Koronaren Herzkrankheit (KHK). Ein weiterer Stolperstein ist das sogenannte „Sektorenprinzip“: In der ambulanten Versorgung gilt der Erlaubnisvorbehalt – eine Leistung darf nur erbracht werden, wenn sie ausdrücklich genehmigt ist. In der stationären Versorgung hingegen gilt der Verbotsvorbehalt – alles ist erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Diese unterschiedlichen Logiken verhindern eine durchgängige Patientensteuerung. Gleiche Grundvoraussetzungen in der Therapie, die Verbesserung der Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Versorgungsebenen sind gangbare Strategien für die Praxis.
Ein internationales Beispiel, wie einfach die Versorgung von Infarktpatientinnen und -patienten verbessert werden kann, ist die „Global Heart Attack Treatment Initiative (GHATI)“ des ACC: Die Initiative unterstützt Kliniken (v. a. in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen) dabei, die Akutversorgung bei Herzinfarkten durch einfache Datenerhebungen, Qualitätsanalysen und gezieltes Feedback nach internationalen Standards messbar zu machen und gezielt zu verbessern. Sie deckt Behandlungsverzögerungen auf, fördert leitliniengerechte Therapie und hilft Kliniken dabei, strukturelle Schwächen anzugehen. Mehr dazu finden Sie auch unter: www.acc.org/ghati. Besonders erwähnenswert ist dabei der brasilianische Bundesstaat São Paulo, in dem der regionale Gesundheitsminister die Herzkatheter-Institutionen aufgefordert hat, an GHATI teilzunehmen.
Politische Unterstützung ist, wie in Brasilien, für nachhaltige Veränderung unerlässlich. Das im letzten Jahr geplante „Gesundes-Herz-Gesetz“ verfolgt das Ziel, kardiovaskuläre Erkrankungen stärker in der Gesundheitsstrategie der Bundesregierung zu verankern. Angesichts von über 1,1 Millionen Krankenhausfällen pro Jahr und einem hohen volkswirtschaftlichen Schaden (2019: 55,0 Mio. Stunden an bezahlter und unbezahlter Arbeit, die kurzfristig ausfallen aufgrund von 1,1 Mio. stationären Hospitalisierungen und 174.000 REHA-Aufenthalten, vgl. Müller, M. WifOR-Institut 2024). Die aktuelle Bundesregierung muss sich dem Thema so schnell als möglich annehmen, denn momentan entsteht eine gefährliche Lücke zwischen medizinischer Realität und politischer Reaktion. Die demografische Entwicklung und die zunehmende chronische Krankheitslast sowie Fortschritte in der medizinischen Versorgung machen insgesamt aber auch deutlich: eine weitere „Kostendämpfung“ bei unveränderten Beitragssätzen führt in eine „Wartelistenmedizin“ mit Qualitätsverlusten und langfristigen Folgen für Gesundheit und Leben von Patientinnen und Patienten.
Auf europäischer Ebene ist der EU Cardiovascular Health Plan nichtsdestotrotz ein Signal in die richtige Richtung: Die Reduktion der kardiovaskulären Mortalität um ein Drittel bis 2030 ist ein ambitioniertes, aber auch erreichbares Ziel – vorausgesetzt, es folgt eine konsequente Umsetzung in den Mitgliedsstaaten.
Die optimale Versorgung von Herzpatientinnen und -patienten kann jedoch nur gelingen, wenn alle Fachbereiche und Kliniken ihre Expertise bündeln und auf ein „Gemeinsam“ setzen – interdisziplinär und im Schulterschluss mit der Politik.
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Dr. Benny Levenson, Berlin Tagungspräsident Kardiologie Aktuell
©DGK / Thomas Hauss