Expertenstatement anlässlich der DGK Herztage 2025 im Rahmen der Pressekonferenz
Expertenstatement anlässlich der DGK Herztage 2025 im Rahmen der Pressekonferenz
Düsseldorf/Hamburg, 25. September 2025 – smarte Uhren oder Ringe gehören längst zum Alltag vieler Menschen: In Deutschland besitzen inzwischen etwa 14 Millionen Erwachsene sogenannte Wearables – tragbare Technologien, die kontinuierlich Körperdaten erfassen und auswerten. Die Tendenz zeigt klar nach oben. Laut einer aktuellen Bitkom-Studie, durchgeführt vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, halten 72 % der Befragten detaillierte Gesundheitsdaten für sinnvoll, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen und gezielt vorzubeugen.
Doch nicht nur im Alltag vieler Menschen, sondern auch zunehmend in der Medizin, gewinnen die smarten Technologien, z. B. in Form mobiler EKG-Geräte, immer mehr an Bedeutung. Besonders in der Rhythmologie zeigt sich, wie starke digitale Innovationen die Diagnose und Therapie von Herzrhythmusstörungen bereits verändert haben.
Wearables ermöglichen es Patientinnen und Patienten schon heute, selbstständig Symptome zu dokumentieren und EKGs aufzuzeichnen – ein regelrechter Paradigmenwechsel in der Versorgung. Die frühzeitige Erkennung relevanter Arrhythmien wird dadurch deutlich erleichtert, Therapien können gezielter und schneller eingeleitet werden. Dass eine frühzeitig Rhythmuskontrolle enorm vorteilhaft für die Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern ist, ist wissenschaftlich inzwischen sehr gut belegt (z. B. NEJM oder JAMA Cardiology – EAST-AFNET 4). Die EAST-AFNET 4-Studie zeigt dabei klar auf, dass eine frühzeitige Rhythmuskontrolle das Risiko für kardiovaskulären Tod, Schlaganfall und Krankenhausaufenthalte wegen akuter Herzinsuffizienz oder akutem Koronarsyndrom signifikant senkt (HR: 0,79; 96 %-KI: 0,66-0,94; P = 0,005). Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass Vorhofflimmern – insbesondere das paroxysmale oder asymptomatische – häufig erst spät erkannt wird, auch weil ausgerechnet während des ärztlich durchgeführten EKGs keine Episoden auftreten. Dadurch verzögert sich die Diagnosestellung und wertvolle Zeit geht verloren.
Und auch aus gesundheitspolitischer Sicht ergeben sich Vorteile: Durch Telemedizin und Digitalisierung können Gesundheitsressourcen effizienter genutzt und Kosten langfristig gesenkt werden. So lassen sich durch frühzeitige Interventionen Folgeerkrankungen und Schlaganfälle besser vermeiden, was teure Krankenhausaufenthalte und Akutbehandlungen reduziert. Aktuelle Forschungen zeigen beispielsweise, dass eine frühzeitige rhythmuskontrollierende Behandlung bei Vorhofflimmern zwar mit moderat höheren Kosten verbunden ist, jedoch durch vermiedene klinische Ereignisse und verlängerte Lebensjahre kosteneffektiv ist (vgl. Gottschalk et al., 2023).
Zudem können digitale Angebote auch zur Entlastung überfüllter Notaufnahmen beitragen, indem eine schnellere, niederschwellige Versorgung möglich wird.
Die breite Verfügbarkeit und zunehmende Akzeptanz dieser Geräte innerhalb der Bevölkerung – auch bei älteren Menschen – zeigen allgemeinhin großes Potenzial für eine kontinuierliche und nachhaltige Überwachung, die das Gesundheitssystem spürbar entlasten könnte.
Der technologische Fortschritt bringt allerdings auch erhebliche Herausforderungen mit sich. Die enormen Datenmengen, die durch Wearables generiert werden, stellen medizinisches Fachpersonal vor organisatorische und auch wirtschaftliche Hürden. Viele Praxen und Kliniken verfügen weder über die nötige Zeit noch geeignete Vergütungsstrukturen und organisatorische Ressourcen zur Auswertung. Ein besonders praxisrelevantes Beispiel zeigt sich beim telemedizinischen Monitoring von Schrittmacher und ICD-Patientinnen und Patienten: Aktuell betreibt jeder Hersteller ein eigenes Remote-Portal. Das bedeutet, dass sich Mitarbeitende täglich in jedes einzelne System einloggen müssen. Zudem unterscheidet sich die Benennung und Darstellung der medizinischen Parameter von Hersteller zu Hersteller – ein Umstand, der die Vergleichbarkeit deutlich erschwert und die Effizienz senkt. Interoperable Plattformen, die Daten aus verschiedenen Systemen zusammenführen, könnten hier Abhilfe schaffen: Sie vereinheitlichen Darstellung und Nomenklatur, ermöglichen die einfache Suche nach Namen von Patientinnen und Patienten, unabhängig vom Fabrikat des Implantats, und binden zentrale Informationen wie z. B. Hausarztdaten direkt in das System ein. Dadurch entfallen Parallelsysteme und doppelte Dokumentationen, was Zeit spart und auch die Versorgungsqualität verbessern kann. Der fachliche Austausch auf den DGK Herztagen ist dabei ein zentraler Schritt, um gemeinsam Lösungsansätze zur Bewältigung der wachsenden digitalen Datenflut zu entwickeln und um medizinische Versorgung strukturiert weiterzudenken.
Ein weiterer Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderung liegt im gezielten Einsatz von Künstlicher Intelligenz. KI-Systeme, die etwa EKG-Muster analysieren oder Hinweise auf eine Dekompensation aus der Stimme erkennen, sind hier keine Zukunftsmusik mehr. Erste Anwendungen z. B. im Bereich der Katheterablation zeigen, welches Potenzial in der automatisierten Mustererkennung steckt: Die TAILORED-AF Studie zeigt, dass eine datenbasierte algorithmische Unterstützung dabei helfen kann bei anhaltendem Vorhofflimmern gezielt zu behandeln – mit besseren Ergebnissen als bei der Standardmethode. In der Gruppe mit algorithmisch unterstützter Behandlung waren nach rund 12 Monaten 88 % der Patientinnen und Patienten frei von Vorhofflimmern mit oder ohne Antiarrhythmika – gegenüber 70 % der Kontrollgruppe (p < 0,0001). Obwohl der Unterschied in der Freiheit von allen atrialen Arrhythmien nach einer Prozedur nicht signifikant war, sind die Ergebnisse der algorithmisch gestützten Behandlung dennoch vielversprechend.
Studien wie beispielsweise die Apple Heart Study belegen, dass Wearables heute schon dazu in der Lage sind, potenziell relevante Herzrhythmusstörungen zu erkennen. Einige Geräte und Anwendungen sind inzwischen sogar als Medizinprodukt von der FDA (der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde) zugelassen. Dennoch gilt: Digitale Tools können Ärztinnen und Ärzte im Praxisalltag unterstützen, sie ersetzen jedoch keine fundierte ärztliche Bewertung. Mediziner und Medizinerinnen spielen zudem eine zentrale Rolle dabei, Patientinnen und Patienten bei der Einordnung ihrer Gesundheitsdaten zu unterstützen. Ein gezieltes Patientenmanagement wird damit zu einem unverzichtbaren Bestandteil moderner Versorgung.
Ein besonders bemerkenswertes Beispiel für den Einsatz von KI in der Rhythmologie ist das VOLTA-Mapping bei der Behandlung von Vorhofflimmern. Diese Methode verwendet einen Multi-Elektroden-Katheter zur Erstellung eines 3D-Modells des Vorhofs, das die vielen chaotischen elektrischen Impulse bei Vorhofflimmern visualisiert. Die KI analysiert tausende von EKG-Daten in Echtzeit und identifiziert präzise die Stellen im Vorhof, die einer Ablation bedürfen. Studien wie die randomisierte TAILORED-AF-Studie haben gezeigt, dass das VOLTA-Mapping zu einer geringeren Vorhofflimmer-Rezidivrate führt[3].
[3] Deisenhofer et al. (2024): LB-469805-01 Tailored cardiac ablation procedure for persistent atrial fibrillation guided by artificial intelligence: The Tailored-AF randomized clinical trial, DOI: 10.1016/j.hrthm.2024.04.025
KI und digitale Tools eröffnen große Chancen für die Medizin und Rhythmologie: schnellere Diagnosen, gezielte Therapien und effektivere Prävention. Gleichzeitig erfordern sie strukturelle Anpassungen im Gesundheitswesen sowie die klare Festlegung, dass medizinische Entscheidungen weiterhin von Ärztinnen und Ärzten getroffen werden müssen – nicht von Algorithmen oder kommerziellen Plattformen. Nur unter dieser Prämisse kann das volle Potenzial dieser Entwicklung genutzt werden – zum Wohle vieler Patientinnen und Patienten.
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Prof. Dr. Philipp Sommer, Bad Oeynhausen Tagungspräsident Deutsche Rhythmus Tage
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