Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Ursache für etwa ein Drittel (19,8 Millionen im Jahr 2022) aller Todesfälle weltweit. Das ist ein Anstieg von mehr als 7 Millionen Fällen im Vergleich zu 1990, und bis 2030 ist ein weiterer Anstieg auf voraussichtlich 22,2 Millionen Fälle zu erwarten. Etwa 85% dieser Todesfälle sind auf atherosklerotische Erkrankungen (ASCVD), wie die koronare Herzkrankheit (KHK), Herzinfarkt und Schlaganfall, zurückzuführen. Für diese Erkrankungen gibt es einige modifizierbare Risikofaktoren. Andere Risikofaktoren können hingegen nicht oder noch nicht beeinflusst werden. Dazu gehören neben vielen demografischen Faktoren auch genetische Dispositionen, darunter vorrangig eine familiäre Vorgeschichte für vorzeitige ASCVD, aber auch das Vorhandensein eines erhöhten Lipoprotein(a), Lp(a).
Das Lp(a) ist ein in der Leber gebildetes komplexes LDL-ähnliches Molekül mit zusätzlichen entzündlichen und thrombotischen Eigenschaften, das somit noch atherogener als LDL-Cholesterin ist und ebenso kausale Bedeutung für die Atheroskleroseentstehung hat. Dabei sind ca. 90 % der Lp(a)-Konzentration im Plasma durch die Eltern vererbt; Umwelteinflüsse haben nur einen geringen Einfluss. Somit ist ein erhöhter Lp(a)-Spiegel, der ein Leben lang relativ konstant bleibt, von Geburt an ein Risikofaktor für ASCVD. Ein Drittel der europäischen Bevölkerung weist ein Serum-Lp(a) oberhalb des Grenzwertes von > 30 mg/dl auf und immerhin 20 %, d.h. jeder Fünfte, sogar Werte von > 50 mg/dl. Lebensstilinterventionen wie Sport oder gesunde Ernährung führen zu keiner relevanten Senkung des Lp(a). Auch bisherige Medikamente, wie z.B. Statine, haben keine wesentlichen Auswirkungen auf das Lp(a). Je höher der Lp(a)-Spiegel, umso höher ist das Risiko für ASCVD. So zeigen Koronarangiogramme von Patienten mit erhöhten Lp(a)-Werten eine ausgeprägtere und schwerere Form der KHK mit Mehrgefäß-Beteiligung, komplexeren Plaques, diffusen Läsionen und mehr chronischen Totalverschlüssen. Es gibt außerdem Hinweise dafür, dass ein hoher Lp(a)-Spiegel mit einer beschleunigten Progression von Hochrisiko-Plaques assoziiert ist. Eine konsequente Einstellung der modifizierbaren Risikofaktoren ist bei den Betroffenen essentiell, um ihr hohes Gesamtrisiko entsprechend zu senken. Die Bestimmung des Lp(a)-Spiegels ist also von großer Bedeutung – nicht nur für die Primärprävention, sondern auch für die Sekundärprävention. Ohne Lp(a)-Messung kann das ASCVD-Risiko stark unterschätzt werden.
Die ESC/EAS-Leitlinie zum Management von Dyslipidämien empfiehlt eine Lp(a)-Testung mindestens einmal im Leben. Registerdaten, wie z.B. LipidSnapshot zeigen aber, dass nur bei 3 % der durch Allgemeinmediziner betreuten Patienten mit ASCVD ein Lp(a)-Spiegel dokumentiert ist. Etwas besser sieht es bei den niedergelassenen Kardiologen aus: hier wurde bei 20 % der Patienten das Lp(a) bestimmt. Auch in der weltweit durchgeführten HERITAGE-Studie waren zu Beginn nur 13,9 % der Patienten aus 48 Ländern mit bestätigter ASCVD bereits auf Lp(a) getestet; 28 % hatten Werte über 50 mg/dl. Die Studie zeigt auch, dass ethnische und geschlechterspezifische Unterschiede berücksichtigt werden müssen. So hatten Frauen, Jüngere und vor allem Patienten afrikanischer Herkunft höhere Lp(a)-Werte. Insgesamt zeigen beide Studien eine große Diskrepanz zwischen Leitlinien-Empfehlung und Realität, die nur durch konsequente Aufklärung und Awareness-Steigerung bei den Behandelnden und den potenziell Betroffenen überwunden werden kann. Die irrtümliche Annahme, dass aus einer festgestellten Lp(a)-Erhöhung keine therapeutischen Konsequenzen folgen, weil noch keine zugelassenen Medikamente zur gezielten Senkung des Lp(a) verfügbar sind, ist noch weit verbreitet und muss entkräftet werden. Neue RNA-basierte Therapien senken Lp(a) um 80-95 % und zeigen eine gute Verträglichkeit. Ob die beiden Wirkstoffe Pelarcasen und Olpasiran ASCVD-Ereignisse reduzieren, wird bis 2026 in Endpunktstudien (HORIZON und OCEAN) geklärt. Weitere Lp(a) Synthese Hemmer, wie Lepodisiran und Zerlasiran, werden ebenfalls gegenwärtig untersucht. Mit Muvalaplin könnte in einigen Jahren auch ein oraler Lp(a) Formations-Hemmer auf den Markt kommen. Die Substanz befindet sich derzeit in der Phase-2-Studie KRAKEN.
Bis zur Zulassung dieser Medikamente kann die hohe Mortalität bei ASCVD-Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Lp(a)-Spiegel nur gesenkt werden, wenn die traditionellen Risikofaktoren konsequent therapiert und strikt kontrolliert werden – dafür ist es unabdingbar, die Abschätzung des Lebenszeitrisikos durch eine Lp(a)-Messung zu präzisieren, um die entsprechenden Risikopatienten zu detektieren und möglichst früh zu therapieren. Wird der Lp(a) Spiegel nicht gemessen, könnte das Lebenszeitrisiko für ASCVD Ereignisse erheblich unterschätzt werden. Zur Prävention empfehlen wir eine standardisierte Messung bei allen Erwachsenen mindestens ein Mal im Leben und ein Kaskadenscreening in betroffenen Familien. Lp(a) ist das nächste Ziel im Kampf gegen Herz-Kreislauferkrankungen!