Versorgung von Patient:innen mit Herzinsuffizienz noch nicht optimal: Analyse von Daten gesetzlicher Krankenversicherungen zur Versorgungsrealität in Deutschland (ATLAS HF)

Prof. Dr. Jochen Müller-Ehmsen, Bremen und Prof. Dr. Christian Schneider, Köln

Hintergrund

Herzinsuffizienz (HF) (=Herzschwäche) ist ein weltweit bedeutendes Gesundheitsproblem, das zu erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität und hoher Sterblichkeit führt. Zusätzlich verursacht es hohe Kosten im Gesundheitswesen. Pathophysiologisch führen die körpereigenen Kompensationsmechanismen, aber auch zusätzliche akute Ereignisse wie z.B. Herzinfarkte oder Dekompensationen, zu einer Zunahme der Herzinsuffizienz, in deren Folge eine hohe Rate von Hospitalisierungen und Re-Hospitalisierungen auftreten [1]. Die 5-Jahres-Überlebensrate bei HF liegt nur bei etwa 50 % und ist damit genauso niedrig wie die einiger Krebsarten [2]. Durch die alternde Bevölkerung und verbesserte Behandlungsmöglichkeiten steigt die Prävalenz von HF, was zu noch mehr Krankenhausaufenthalten und einem weiteren Anstieg der Gesundheitskosten führt. Inzwischen stehen zahlreiche Therapieoptionen für Patient:innen mit eingeschränkter Herzfunktion zur Verfügung, durch die sowohl die Sterblichkeit als auch die Zahl der Krankenhausaufenthalte reduziert werden können.  Diese werden in den regelmäßig aktualisierten Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie zusammengefasst [3,4]. Jedoch stellt sich die Frage, wie verlässlich diese immer umfangreicher und komplexer werdenden Therapieoptionen in der tatsächlichen Patientenversorgung zur Anwendung kommen.

 

Ziel

Die ATLAS-HF-Daten haben das Ziel, ein tieferes Verständnis der Herzinsuffizienzbelastung und -versorgung in Deutschland zu erlangen. Es sollen aktuelle und umfassende epidemiologische sowie versorgungsbezogene Daten ermittelt werden, die unverzichtbar sind für politische Entscheidungsträger und Gesundheitsfachkräfte, um effektive Gesundheitsstrategien zu entwickeln und um fundierte Entscheidungen über das Krankheitsmanagement und die Ressourcenverteilung zu treffen, zur Verbesserung der Patientenversorgung sowie deren Lebensqualität.

 

Methoden

ATLAS-HF wurde unter Verwendung einer repräsentativen deutschen Datenbank durchgeführt, um die epidemiologischen Merkmale von HF-Patient:innen zu untersuchen. Die retrospektive, longitudinale Analyse nutzte anonymisierte Daten von ca. 4,5 Millionen bei deutschen gesetzlichen Krankenkassen (GKV) Versicherten zwischen dem 1. Januar 2018 und dem 31. Dezember 2022. Der Datensatz ist repräsentativ für Alter, Geschlecht und Morbidität und ermöglicht eine generalisierbare Aussage über die gesamte GKV-Bevölkerung [5]. Epidemiologische Merkmale beinhalteten Prävalenz, Gesamtmortalität und Begleiterkrankungen. Patient:innen mit HF wurden anhand der krankheitsdefinierenden ICD-10-Codes (I50.01, I50.1, I50.5, I11.0, I13.0, I13.2) identifiziert, einschließlich HF-Patient:innen mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF), leicht reduzierter Ejektionsfraktion (HFmrEF) und erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF). Die Datenbank erlaubte jedoch keine Unterscheidung zwischen diesen Phänotypen. Die Medikamente wurden basierend auf den Anatomischen Therapeutic Chemical (ATC) Codes analysiert mit Schwerpunkt auf die vier bei HFrEF lebensverlängernden Substanzgruppen.

 

Ergebnisse

Im Jahr 2018 lag die jährliche Prävalenz von HF bei 5,0 %, mit einer Hospitalisierungsrate für HF von 9,1 %. Im Jahr 2022 waren diese Werte ähnlichen Bereich (Prävalenz 4,8 %, HF-Hospitalisierungsrate 9,4 %). Die Gesamtmortalität in der HF-Kohorte stieg von 9,7 % (2018) auf 10,7 % (2022). Gleichzeitig erhöhten sich die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben pro HF-Patient:in von 12.477 € (2018) auf 14.530 € (2022). Trotz der Krankheitsschwere, der damit verbundenen Gesundheitskosten und vorhandener evidenzbasierter Behandlungsoptionen erhielten im Jahr 2022 nur 20,1 % der HF-Patient:innen einen Mineralocorticoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA) und nur 17,2 % einen Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitor (SGLT2i), mit einer deutlichen Abnahme von SGLT2i bei älteren Menschen (nur 9,9 % der Patient:innen über 85 Jahre). Nur 7,0 % der Patient:innen bekamen eine für die HFrEF leitliniengerechte „Vier-Säulen“-Therapie, bestehend aus SGLT2i, Betablocker (BB), MRA und Renin-Angiotensin-System-Inhibitoren (RAASi), obwohl bei etwa der Hälfte der HF-Patient:innengruppe eine reduzierte Ejektionsfraktion erwartet wird [6].  [Diese Analyse endete 2022, bevor die Leitlinienempfehlungen für SGLT2i bei HFmrEF und HFpEF veröffentlicht wurden.] Zu den häufigsten Begleiterkrankungen von HF-Patient:innen im Jahr 2022 gehörten Bluthochdruck (93,2 %), Dyslipidämie (65,2 %), Typ-2-Diabetes mellitus (41,6 %), Vorhofflimmern und -flattern (39,5 %) sowie chronische Nierenerkrankung (38,9 %).

 

Schlussfolgerung/Fazit

Diese Analyse bietet einen Überblick über die Epidemiologie und die Versorgung der Herzinsuffizienz in Deutschland. Sie zeigt eine erwartbar hohe Prävalenz von HF und damit verbunden eine hohe Hospitalisierungsrate, aber sie zeigt auch eine unzureichende Umsetzung der leitliniengerechten medikamentösen Therapie.  Um dies zu verbessern, müssen unter anderem effektive Managementprogramme für HF intensiviert werden, die von internationalen Leitlinien stark empfohlen werden.

 

Referenzen

 

  1. Gheorghiade M, et al. (2013):  Rehospitalization for heart failure: problems and perspectives.  J Am Coll Cardiol. 61(4): 391-403. doi: 10.1016/j.jacc.2012.09.038.
  2. Jones NR, et al. (2019):  Survival of patients with chronic heart failure in the community: a systematic review and meta-analysis.  Eur J Heart Fail. 21(11): 1306-1325. doi: 10.1002/ejhf.1594.
  3. McDonagh TA, et al. (2021):  2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure, Eur Heart J, 42, 3599-3726, doi: 10.1093/eurheartj/ehab368
  4. McDonagh TA, et al. (2023): Focused Update of the 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic HF.  Eur Heart J, 44, 3627-3639, doi: 10.1093/eurheartj/ehad195
  5. Ständer S, et al. (2020):  Epidemiology of Prurigo Nodularis compared w/ Psoriasis in Germany: A Claims Database Analysis.  Acta Derm Venereol., 100(18):5903, doi: 10.2340/00015555-3655
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