Sozioökonomischer Status beeinflusst Risikofaktoren und Langzeitprognose bei Herzinfarktpatienten

PDF enthält Tabellen und/oder Abbildungen

Hatim Kerniss und Prof. Harm Wienbergen, Bremen

Hintergrund

Frühere Studien haben gezeigt, dass der sozioökonomische Status (SES) einen erheblichen Einfluss auf das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat. Dennoch gibt es bisher nur wenige aktuelle Untersuchungen, die sich mit den langfristigen Auswirkungen von SES auf die Prognose nach einem akuten Herzinfarkt (Myokardinfarkt, MI) im Zeitalter der modernen Herzinfarkttherapie beschäftigen.

 

Ziel

Die Studie hatte zwei Hauptziele:

 

  1. Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozioökonomischem Status und Risikofaktoren bei Patient:innen mit akutem Myokardinfarkt.
  2. Bewertung des Einflusses von SES auf die Langzeitprognose nach Herzinfarkt, insbesondere im Hinblick auf schwerwiegende kardiale und zerebrovaskuläre Ereignisse (MACCE).

Methoden

In die Studie wurden alle Patient:innen eingeschlossen, die zwischen 2015 und 2022 mit einem akuten Myokardinfarkt im Herzzentrum Bremen behandelt wurden. Anhand des Bremer Index zur sozialen Benachteiligung wurden die Patient:innen in vier Gruppen eingeteilt:

 

  • Gruppe 1 (G1): hoher SES
  • Gruppe 2 (G2): mittlerer SES
  • Gruppe 3 (G3): niedriger SES
  • Gruppe 4 (G4): sehr niedriger SES

 

Dieser Index berücksichtigt Faktoren wie Einkommen, Beschäftigung, Wohnverhältnisse, Bildung, politische Beteiligung und Sicherheit.

 

Die Langzeitprognose wurde durch die Analyse der Häufigkeit von MACCE (erneuter Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod) untersucht. Um den Einfluss von SES unabhängig von anderen Faktoren zu bewerten, wurden die Ergebnisse mit Hilfe einer multivariablen Überlebensanalyse angepasst, wobei Alter, Geschlecht, traditionelle Risikofaktoren, Interventionserfolg und Schwere des Infarkts berücksichtigt wurden.

 

Ergebnisse

Insgesamt wurden 2807 Patient:innen in die Studie eingeschlossen. Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen den SES-Gruppen (Tabelle 1):

  • Alter bei Erstinfarkt: Patient:innen aus sozial benachteiligten Stadtteilen waren bei ihrem ersten Herzinfarkt im Durchschnitt 5,5 Jahre jünger als Patient:innen aus Stadtteilen mit hohem SES (G1: 68,8 ± 13,3 Jahre vs. G4: 63,3 ± 12,4 Jahre, p < .001).
  • Risikofaktoren: In den Gruppen mit niedrigerem SES waren Übergewicht (höherer Body-Mass-Index), Diabetes mellitus und Rauchen deutlich häufiger vertreten. HDL-Cholesterinwerte waren in diesen Gruppen signifikant niedriger, während es keine Unterschiede bei den Gesamt- und LDL-Cholesterinwerten gab.
  • Langzeitprognose (MACCE): Die Langzeitanalyse ergab, dass der sozioökonomische Status ein unabhängiger Prädiktor für das Auftreten schwerwiegender kardialer und zerebrovaskulärer Ereignisse war.
    • Die Gruppe mit niedrigem SES hatte ein um 97 % höheres Risiko (HR 1,97, 95 % CI: 1,27-3,05, p = 0,002) für MACCE im Vergleich zur Referenzgruppe mit hohem SES (G1).
    • Die Gruppe mit sehr niedrigem SES hatte sogar ein 2,3-fach höheres Risiko (HR 2,31, 95 % CI: 1,31-4,09, p = 0,004).
    • Für die Gruppe mit mittlerem SES (G2) gab es keinen signifikanten Unterschied zur Referenzgruppe (p = 0,562).

Schlussfolgerung/Fazit

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen deutlich, dass ein niedriger sozioökonomischer Status nicht nur mit einem höheren Risiko für Herzinfarkt in jüngerem Alter, sondern auch mit einer schlechteren Langzeitprognose verbunden ist. Diese Zusammenhänge blieben bestehen, selbst nachdem traditionelle Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes und Übergewicht sowie die Schwere des Infarkts berücksichtigt wurden.

 

Um diese Ungleichheiten zu verringern, sind gezielte Präventions- und Interventionsmaßnahmen notwendig, die speziell auf sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sind.

 

Tabelle 1. Risikofaktorenprofil nach sozioökonomischem Status (SES)

 

Abbildung 1: Kumulative Hazard-Kurven zur Darstellung der adjustierten Ereignisraten nach SES-Gruppen

SES-Gruppe 4: Niedrigster SES-Level. SES-Gruppe 1: Höchster SES-Level.

MACCE: Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall.

Adjustiert für Alter, Geschlecht, traditionelle Risikofaktoren (Rauchen, Diabetes, arterielle Hypertonie, BMI, familiäre Vorbelastung mit koronarer Herzkrankheit), Interventionserfolg (post-interventioneller TIMI-Flow), LVEF, Reanimation, Hämoglobin- und Kreatininwerte.

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