Statine: Diese Falschinformationen kursieren in sozialen Medien

Das Bild, das von Statinen in der Öffentlichkeit häufig gezeichnet wird, ist laut Experten schief. Das könnte auch an irreführenden Beiträgen in den sozialen Medien liegen, so eine aktuelle Studie. Welche Diskussionen in den sozialen Medien entdeckt wurden und was Patientinnen und Patienten über die Cholesterinsenker wissen sollten.

Von Silja Klassen

 

27.07.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock / FG Trade

Statine gehören weltweit zu den am meisten verordneten Medikamenten bei zu hohen Cholesterinwerten. Sie gelten als eine immens wichtige Errungenschaft für die Herzgesundheit. Gleichzeitig aber stoßen Statine bei vielen Patientinnen und Patienten auf große Skepsis. Das liegt vor allem an Irrtümern und Falschinformationen, die über Cholesterin und die Statine verbreitet werden.

 

Ein Forschungsteam der Universität Stanford (US-Bundesstaat Kalifornien) hat jetzt für eine Studie mehr als 10.000 Diskussionen in sozialen Medien mit Bezug zu Statinen analysiert. Die Untersuchung, die mithilfe einer künstlichen Intelligenz zur Analyse großer Datenmengen durchgeführt wurde, zeigt, welche fehlerhaften Information in den Beiträgen kursierten. Die Falschinformationen könnten zu einer verzerrten Wahrnehmung von Effekten der Wirkstoffklasse führen, schreiben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie. In den Diskussionen, die zwischen dem 1. Januar 2009 und dem 12. Juli 2022 auf der Internet-Plattform Reddit veröffentlicht worden waren, fanden sich zum einen bekannte Begründungen, warum Menschen eine ablehnende Haltung gegenüber Statinen haben. Es fanden sich aber auch neue Debatten, etwa über angebliche Zusammenhänge zwischen Statinen und ketogener Ernährung. Lesen Sie hier Irrtümer, die häufig in den sozialen Medien gefunden wurden – und welche Fakten stimmen:

Ernährung beeinflusst Cholesterin nur wenig

Irrtum: Ein erhöhter LDL-Cholesterin-Wert lässt sich genauso gut durch Lebensstilveränderungen wie Verzicht auf Tabakkonsum, mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung senken wie durch Statine.

 

Fakt ist: Eine ausgewogene Ernährung mit frischen Zutaten gehört zu einem gesunden Lebensstil, der Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen kann und für Mediziner als unverzichtbar gilt. Auch ausreichend Bewegung von möglichst 150 Minuten in der Woche, genügend Entspannung und der Verzicht aufs Rauchen tragen zur Herzgesundheit bei. Die Effekte der Ernährung auf den Cholesterinspiegel werden aber oft überschätzt. So führt zum Beispiel selbst eine vollständige und dauerhafte Umstellung auf rein vegetarische oder vegane Diät durchschnittlich nur zu einer Senkung des LDL-Cholesterins um etwa zehn Prozent. Bei stark erhöhten Cholesterinspiegeln kann eine Diät nicht die Einnahme von Medikamenten ersetzen.

 

Hintergrund: Die Aufnahme von LDL-Cholesterin wird hauptsächlich durch die Leber reguliert. Bei Personen mit hohen LDL-Werten liegen oft genetische Veränderungen zugrunde. Daher sind ihre hohen Werten erblich bedingt und nicht auf ungesunde Ernährung zurückzuführen. Obwohl viele Menschen einen guten Cholesterinspiegel erreichen können, indem sie sich gesund ernähren und ausreichend körperlich betätigen, benötigen manche Menschen auch Medikamente, also Statine, um ihren Cholesterinspiegel zu senken. In den Leitlinien wird darauf hingewiesen, dass zusätzlich zu den Statinen weitere Medikamente erforderlich sein können, um den Cholesterinspiegel zu kontrollieren.

 

Zur Personengruppe, die möglicherweise Statine oder andere Arzneimittel zur Kontrolle des Cholesterinspiegels benötigt, gehören:

  • Menschen mit erblicher Veranlagung (überwiegend durch familiäre Hypercholesterinämie), was bereits in jungen Jahren zu einem sehr hohen LDL-Cholesterinspiegel führt, oder
  • Menschen mit sehr hohem LDL-Cholesterin. Unbehandelt verschlechtern sich die Cholesterinwerte weiter. Dadurch steigt das Risiko für Herzkrankheiten, Herzinfarkt und Schlaganfall in jungen Jahren stark an.

Ketogene Ernährung beeinflusst Cholesterin nicht positiv

Irrtum: Laut der Analyse des Stanford-Forschungsteams gehen manche Nutzer sozialer Medien davon aus, dass eine ketogene Ernährung durchweg positive Folgen haben müsse – schließlich nehme man damit ab. Dass durch die ketogene Diät auch das LDL-Cholesterin leicht anstieg, wurde daher als positive Wirkung interpretiert.

 

Fakt ist: Die ketogene Ernährung kann für einen leichten Anstieg des LDL-Cholesterins verantwortlich sein. Ein hoher LDL-Cholesterinspiegel ist jedoch nachweislich ein Risikofaktor für Herzerkrankungen und keineswegs positiv zu beurteilen. Laut aktueller Datenlage führt die ketogene Ernährung zu einem erhöhten Risiko von Herz-Beschwerden wie blockierte Arterien und kann zudem Herzinfarkte nach sich ziehen.

Nahrungsergänzungsmittel ersetzen keine Statine

Irrtum: Nahrungsergänzungsmittel senken genauso effektiv die Cholesterinwerte wie Statine.

 

Fakt ist: Als Alternative zu Statinen greifen viele Menschen zu rezeptfreien Nahrungsergänzungsmitteln wie Pflanzenstanolen und -sterolen (auch Phytosterole genannt), rotem Reis, Niacin (ein B-Vitamin) oder zu Fischölen mit Omega-3-Fettsäuren. Doch es gibt keine ausreichenden Belege für positive Gesundheitseffekte. Weiterhin muss bei Nahrungsergänzungsmitteln im Unterschied zu Arzneimitteln der Inhalt nur zu 50 Prozent aus dem gewünschten Wirkstoff bestehen. Es wird nicht kontrolliert, was sonst noch Bestandteil des Mittels ist. Also sind Reinheit und Sicherheit aufgrund fehlender Qualitätskontrollen unter Umständen nicht gegeben. Beispiel: In rotem Schimmelreis, einer Fermentation aus Schimmelpilzen und normalem Reis, ist die Substanz Monacolin-K enthalten, die chemisch mit dem Statin Lovastatin identisch ist. Doch anders als das geprüfte Medikament, das eine kalkulierbare Dosis-Wirkungs-Beziehung hat, können bei Nahrungsergänzungsmitteln mit Monacolin der Effekt und die Nebenwirkungen nur schwer abgeschätzt werden. Insgesamt reicht die Wirkung in der Regel nicht aus, um eine medizinisch sinnvolle LDL-Cholesterinsenkung zu erreichen.

Nebenwirkungen von Statinen sind selten

Irrtum: Die Nebenwirkungen von Statinen stehen nicht im richtigen Verhältnis zum Nutzen.

 

Fakt ist: Die häufigste Nebenwirkung, die von Statin-Nutzern berichtet wird, sind Muskelschmerzen (Myalgie), die allerdings bei weniger als einem Prozent der Patienten und Patientinnen auftreten. Zudem können sie meist bereits durch einen Wechsel zu einem anderen Statin-Produkt gelindert werden. Laut der European Society of Cardiology (ESC), zu der auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) gehört, sind Behauptungen über schwerere Nebenwirkungen, einschließlich Typ-2-Diabetes, Alzheimer und Krebs nicht bewiesen oder falsch interpretiert. So können Statine zwar den Blutzuckerspiegel leicht erhöhen. Aber um wegen eines Statins einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, müsste die Patientin oder der Patient bereits deutlich erhöhte Zuckerwerte (Prädiabetes) haben. Dass die Statine den Blutzucker über die Grenze zum Diabetes steigen lassen, tritt nur bei etwa einem Prozent der Patienten mit Prädiabetes auf. Laut Studien gibt es auch keinen Zusammenhang zwischen Statin-Einnahme und einem Rückgang der Gedächtnis- oder Denkfähigkeit. Wer Gedächtnisprobleme während einer Behandlung mit Statinen hat, so die Empfehlung, sollte mit der Einnahme nicht aufhören, sondern zunächst mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin sprechen. Möglicherweise liegen andere Faktoren für den Gedächtnisverlust vor.

Vorurteile gegenüber der Pharmaindustrie

Irrtum: Statine wirken nicht lebensverlängernd – es verdient vor allem die Pharmaindustrie am Verkauf.

 

Fakt ist: Klinische Studien weisen nach, dass eine Behandlung mit Statinen, die das LDL-Cholesterin senken, das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und für die Notwendigkeit einer Stent-Implantation oder einer Bypass-Operation eindeutig verringern. Wie stark die positive Wirkung einer Statintherapie sein kann, hängt vom individuellen kardiovaskulären Risiko des Patienten oder der Patientin ab. Je höher der Cholesterinspiegel ist, desto größer der Vorteil einer Statintherapie. Es geht bei einer ärztlichen Empfehlung für eine medikamentöse Behandlung nicht um Gewinnmaximierung der Pharma-Industrie, zumal der Patentschutz für die Mehrheit der Statinpräparate abgelaufen ist. Das bedeutet, dass viele Pharmahersteller preiswert produzierte Präparate mit identischen Wirkstoffen (Generika) verkaufen können.

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