Viel besser als ihr Ruf: Statine senken das LDL-Cholesterin

Ein erhöhter LDL-Cholesterinspiegel im Blut kann die Ursache für Herzinfarkt oder Schlaganfall sein. Statine, also Medikamente, die das LDL-Cholesterin senken, werden trotzdem immer wieder scharf kritisiert. Dabei werden Studien und wissenschaftliche Fakten ignoriert.

Von Sven Stein

 

27.03.2023

 

Bildquelle (Bild oben): iStock / rogerashford

Was sind Statine?

Statine sind Medikamente, die das LDL-Cholesterin (Low Density Lipoprotein-Cholesterin) im Blut absenken. Das LDL-Cholesterin zirkuliert in den Blutgefäßen. Es ist ein sogenanntes Lipoprotein, welches aus dem Blut in die Gefäße übergehen kann. Das führt womöglich zu einer Atherosklerose, also einer Einlagerung von Lipoproteinen (Fetten) in den Arterien. Damit steigt die Gefahr, einen Herzinfarkt zu erleiden. „Man weiß heute sehr klar, dass das LDL-Cholesterin ein kausaler Faktor in der Entstehung und Progression der koronaren Herzkrankheit darstellt“, sagt Prof. Ulf Landmesser, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin des Deutschen Herzzentrums der Charité.

Was bewirken Statine im Körper?

Die Statine wirken in der Leber und hemmen dort ein Enzym (sogenannte HMG-CoA-Reduktase), das Cholesterin herstellt. Die Leber produziert also weniger Cholesterin. Gleichzeitig benötigt sie jedoch für einige ihrer Aufgaben, etwa die Produktion von Vitamin D und Gallensäuren, selbst Cholesterin. Wenn weniger Cholesterin erzeugt wird, erhöht die Leber daher ihre Rezeptoren für das LDL-Cholesterin und fängt mehr des bereits vorhandenen LDL-Cholesterins aus dem Blut ab. „Am Ende zirkuliert weniger LDL-Cholesterin im Blut, so dass sich auch weniger in der Gefäßwand ablagern oder zu Schädigungen im Gefäß führen kann“, erklärt Prof. Landmesser.

Wann bekommen Patientinnen oder Patienten Statine verschrieben?

Menschen mit einer atherosklerotischen Gefäßerkrankung wird in aller Regel eine Statin-Therapie empfohlen. „Die Statin-Therapie ist wahrscheinlich die bestuntersuchte medikamentöse Therapie, die wir überhaupt in der Medizin haben“, sagt Prof. Landmesser. Es gibt zahlreiche Studien, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entweder ein Statin oder ein Scheinmedikament (Placebo) erhielten. „In all diesen Studien hat man immer wieder gesehen, dass das Herz-Kreislauf-Risiko durch die Statine gesenkt wird“, so Prof. Landmesser. „Das hat ganz offensichtlich damit zu tun, dass das LDL-Cholesterin kausal an diesem Prozess beteiligt ist.“

Wieso sprechen manche Skeptiker von einer „Cholesterin-Lüge“?

In einem pseudowissenschaftlichen Buch aus dem Jahr 2002 über eine angebliche „Cholesterin-Lüge“ wurden verschiedene kritische Thesen zur Statin-Therapie aufgestellt. Obwohl diese Aussagen schnell als wissenschaftlich falsch entlarvt wurden, griffen Presseberichte und Fernsehbeiträge sie später auf. Eine der zentralen Behauptungen basiert auf der Tatsache, dass Cholesterin für den Menschen lebenswichtig ist, weil es beispielsweise für den Zellaufbau benötigt wird. Deshalb, so die Skeptiker, sei eine Cholesterinsenkung nicht nur unnötig, es drohten durch Statine sogar gesundheitliche Schäden.

 

Diese Kritik basiert jedoch auf einer enormen Vereinfachung und einem falschen Verständnis, das den Kern der Fakten ausblendet: Der Begriff Cholesterin wird hier pauschal gleichgesetzt mit den einzelnen Bausteinen des LDL-Cholesterins, den Lipoproteinen. Nur auf diese Lipoproteine im Blut zielen die Statine. „Schon der Name ‚Cholesterin-Lüge‘ zeigt das Problem, denn es geht nicht um das Cholesterin selbst, sondern eben um Partikel des LDL-Cholesterins“, erklärt Prof. Landmesser das Missverständnis. „Die Therapie mit Statinen soll diese LDL-Partikel reduzieren, die sich in den Gefäßen ablagern. Cholesterin hat der Körper weiterhin sehr viel in allen Zellen, wo es auch benötigt wird.“

Welche Behauptungen kursieren über Statine – und was sind die Fakten?

Neben dem grundlegenden Missverständnis der Statin-Skeptiker, in dem sie Cholesterin mit den Lipoproteinen des LDL-Cholesterins gleichsetzen, gibt es einige weitere Behauptungen, die regelmäßig gegen Statine ins Feld geführt werden. Einige der häufigsten Kritikpunkte und die Fakten:

Die Kein-Zusammenhang-Behauptung

Behauptung: Zwischen dem LDL-Cholesterinspiegel in einer Bevölkerung und der Häufigkeit von Herzinfarkten in dem Land gebe es keinen Zusammenhang.

 

Fakt ist: Mehrere Studien haben belegt, dass ein hoher LDL-Cholesterinspiegel das Risiko einer Herz-Kreislauferkrankung wie Herzinfarkt steigert. In Deutschland haben die Menschen einen der höchsten LDL-Cholesterinspiegel weltweit.

Die Taschen-voll-Behauptung

Behauptung: Die Pharmaindustrie habe Cholesterin nur zum Problem erklärt, um mehr Medikamente zu verkaufen.

 

Fakt ist: Die überwiegende Mehrheit der Statine ist nicht mehr durch ein Patent geschützt. Das bedeutet, dass viele Pharmahersteller preiswert produzierte Nachahmerpräparate (Generika) verkaufen – und die kosten wenige Cent pro Tablette.

Statine sind heute überwiegend Generika. Statine werden heute überwiegend als günstige Generika verkauft. Bildquelle: iStock / towfiqu ahamed

Die Anderes-ist-gefährlicher-Behauptung

Behauptung: Faktoren wie Rauchen, Übergewicht und mangelnde Bewegung sind viel gefährlicher für die Herzgesundheit als ein hoher LDL-Cholesterinspiegel.

 

Fakt ist: Natürlich tragen auch diese Faktoren zu einem höheren Risiko für Herzkrankheiten bei. Wer seinen Lebensstil entsprechend ändert, kann den LDL-Cholesterinspiegel um 5 bis 10 Prozent senken. Bei Menschen mit hohem LDL-Cholesterin reichen diese Maßnahmen aber nicht. Sie benötigen zusätzlich Statine, um das Herzinfarkt- und Sterberisiko erheblich zu reduzieren.

Die Krebs-und-Alzheimer-Behauptung

Behauptung: Statine seien verantwortlich für gehäufte Erkrankungen an Krebs oder Alzheimer.

 

Fakt ist: Dass Statine Krebs auslösen, lässt sich nicht wissenschaftlich belegen. Mehrere Studien zeigten, dass das Risiko einer Krebserkrankung nicht steigt. Es gibt sogar Hinweise, dass Statine den Krebs hemmen könnten. Auch die Gefahr einer Alzheimer-Erkrankung konnte in einer Studie nicht nachgewiesen werden. Im Laufe von sechs Jahren war kein Unterschied in der Gedächtnisleistung von Patientinnen und Patienten mit Statinen und jenen ohne das Medikament feststellbar.

Die Diabetes-Behauptung

Behauptung: Statine lösen Typ-2-Diabetes als schwere Nebenwirkung aus.

 

Fakt ist: Statine können den Blutzucker sehr gering erhöhen. Wenn der Blutzuckerlangzeitwert (HbA1c-Wert) durch das Statin minimal um 0,1 oder 0,2 Prozent steigt, kann der definierte Grenzwert für eine Diabetes-Erkrankung (HbA1c-Wert von 6,5 %) überschritten werden. Doch dafür müsste bei einer Patientin oder einem Patienten bereits eine erhebliche Vorstufe der Diabetes, eine sogenannte Prädiabetes (HbA1c-Wert von 5,7 bis 6,4 %), vorliegen. Dass der Grenzwert durch das Statin tatsächlich überschritten wird, passiert nur bei etwa 1 Prozent der Betroffenen mit Prädiabetes. „Diese ganz geringe Glukoseerhöhung steht aber in keinem Verhältnis zu der sehr relevanten Reduktion des Herz-Kreislauf-Risikos“, sagt Prof. Landmesser.

Prof. Ulf Landmesser Prof. Dr. med. Ulf Landmesser, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin, Deutsches Herzzentrum der Charité, Berlin. Bildquelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin

Wie gefährlich sind die Falschinformationen über Statine?

Viele Patientinnen und Patienten sind durch Berichte in den Medien über angeblich schwerwiegende Nebenwirkungen verunsichert. Personen, bei denen dank der Statin-Therapie eine Herz-Kreislauf-Erkrankung erfolgreich verhindert wurde, kommen dagegen nicht in den Berichten vor. Dadurch entsteht eine verzerrte Wahrnehmung über die Risiken und den Nutzen der Behandlung mit Statinen. In der Folge setzen manche Betroffene ihre Statine eigenmächtig ab. Welche gefährlichen Auswirkungen die negative Berichterstattung über Statine haben kann, untersuchte eine dänische Studie an 674.000 Personen. Sie konnte zeigen, dass sich durch negative Presseberichte der Anteil der Therapie-Abbrecher im Jahr 2010 gegenüber dem Jahr 1995 verdreifacht hatte. Das Absetzen des Statins führte bei diesen Menschen zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte und Tod durch kardiovaskuläre Erkrankungen.

Welche Nebenwirkungen haben Statine tatsächlich?

Häufig wird berichtet, dass Menschen mit einer Statin-Behandlung über Muskelschmerzen klagen. In Studien, bei denen die Probandinnen und Probanden entweder ein Statin oder ein Placebo erhielten, waren jedoch häufig beim Auftreten von Muskelschmerzen keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Studien-Gruppen festzustellen. „Wenn jedoch im Alltag manche Patientinnen oder Patienten unter der Therapie Muskelschmerzen entwickeln, wird typischerweise das Präparat gewechselt oder wir können alternative Präparate verwenden“, erklärt Prof. Landmesser.

Welches Risiko besteht, wenn Statine eigenmächtig abgesetzt werden?

Wenn eine Behandlung mit Statinen eigenmächtig beendet wird, steigt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Wer meint, Nebenwirkungen durch Statine an sich zu beobachten, sollte daher zunächst mit seiner Ärztin oder seinem Arzt sprechen. „Dann muss man eruieren, ob es einen Zusammenhang mit dem Statin gibt oder nicht“, sagt Prof. Landmesser. „Und wenn man denkt, es hängt damit zusammen, kann man überlegen, auf ein anderes Präparat zu wechseln.“

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