Warum Übergewicht der Herzgesundheit schadet

Wer über viele Jahre mit einem Übergewicht lebt, schadet damit der Herzgesundheit. Es drohen Bluthochdruck und Diabetes, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen oder gar ein Herzinfarkt. Warum das Übergewicht ein Risikofaktor für die Gesundheit ist und wie Betroffene ihre Herzgesundheit verbessern können.

Von Sven Stein

 

10.08.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock / AnnaStills

Übergewicht kann dramatische Folgen für das Herz haben – es ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für Erkrankungen wie Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen, koronare Herzkrankheit und schlimmstenfalls einen Herzinfarkt. In Deutschland ist laut einer Studie mehr als die Hälfte (53,5 Prozent) aller Erwachsenen übergewichtig, knapp jeder Fünfte (19 Prozent) hat sogar starkes Übergewicht (Adipositas). „Viele Menschen wissen gar nicht, was sie ihrem Körper mit Übergewicht antun“, sagt Prof. Martin Halle, Ärztlicher Direktor an der Medizinischen Universitätsklinik Klinikum rechts der Isar an der Technischen Universität München. Denn Übergewicht bedeutet nicht nur, dass ein Mensch dick ist. Es wirkt sich direkt auf die Funktion und die Leistungsfähigkeit des Herzens aus und ist indirekt verantwortlich für Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes.

Ab wann spricht man von Übergewicht oder Adipositas?

Um das Körpergewicht beurteilen zu können, wird der sogenannte Body-Mass-Index (BMI) berechnet. „Die Menschen sind unterschiedlich groß, daher wird durch die Berechnung des BMI das Gewicht auf die Körpergröße bezogen“, erklärt Prof. Halle. Die Formel für den BMI lautet: Kilogramm pro Meter zum Quadrat. Beispiel: 85 Kilogramm geteilt durch 1,80 Meter multipliziert mit 1,80 Meter: 85/(1,80x1,80). Das Ergebnis ist der BMI, hier etwa 26,23. „Bei einem BMI von über 25 spricht man von Übergewicht, bei 27,5 liegt deutliches Übergewicht vor. Bei einem BMI über 30 sprechen wir von einer Adipositas“, erklärt Prof Halle. „Bei 1,82 Meter Körpergröße und einem Gewicht von 100 Kilogramm wäre man also im Adipositas-Bereich – und das ist gar nicht so selten.“ Allerdings kann der BMI nicht das Verhältnis von Fett und Muskelmasse im Körper herausfinden. Dazu muss man zum Beispiel zusätzlich den Bauchumfang messen. Der Bauchumfang – gemessen etwa auf Höhe des Bauchnabels – sollte bei Frauen unter 80 Zentimetern liegen, bei Männern unter 94 Zentimetern.

Warum ist das Fett ein Risiko für die Herzgesundheit?

„Das Fett sorgt nicht nur für einen dicken Bauch, sondern es ist auch ein aktives Gewebe“, warnt Prof. Halle. „Das Fettgewebe schüttet Entzündungsbotenstoffe ins Blut aus, die zu Veränderungen an den Gefäßen und am Herzen führen, vor allem durch eine Art Entzündungsreaktion.“ Sie macht das Herz und auch die Blutgefäße steifer.

 

Die verheerende Wirkung des Fettgewebes macht ein Vergleich deutlich: „Wenn man krank ist, etwa mit Halsschmerzen, hat man etwas erhöhte Entzündungswerte. Das dauert drei oder vier Tage“, sagt Prof. Halle. „Beim Übergewicht wirken die erhöhten Werte jeden Tag, rund um die Uhr. Es sind nur minimal erhöhte Entzündungsbotenstoffe, aber sie sorgen permanent dafür, dass sich Herz und Gefäße verändern.“ Und je mehr Übergewicht vorhanden ist, umso eher macht es Herz und Gefäße steifer, weil die Entzündungsbotenstoffe ausgeschüttet werden. „Das Fettgewebe liegt nicht nur am Bauch. Auch die Leber ist verfettet, die Bauchspeicheldrüse oder das Herz – jedes Organ ist verfettet“, erklärt Prof. Halle. „Allein das Fett, das um das Herz herumliegt, gibt kontinuierlich Entzündungsstoffe direkt auf den Herzmuskel und die Herzkranzgefäße ab, wodurch der Effekt noch mal deutlich verstärkt wird.“

Prof. Martin Halle Univ.-Prof. Dr. Martin Halle ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Sportmedizin und Ärztlicher Direktor an der Medizinischen Universitätsklinik Klinikum rechts der Isar an der Technischen Universität München; Kardiovaskulärer Präventivmediziner DGPR

Warum wird das Herz durch Entzündungsstoffe aus dem Fettgewebe steifer?

Die permanent aufs Herz einwirkenden Entzündungsstoffe aus dem Fettgewebe haben einen Effekt, als würde man immer wieder an der gleichen Stelle eine leichte Verletzung erleiden: es bildet sich eine Narbe. „Durch die kontinuierlichen Entzündungsfaktoren am Herzen vernarbt es und wird dadurch steifer“, sagt Prof. Halle. „Die Vernarbung geschieht nicht nur an einer Stelle, sondern in allen Bereichen des Herzens: in den Herzkammern und in den Vorhöfen.“ Und nicht nur das Herz vernarbt. Es versteifen auch die Blutgefäße, sodass sie sich weder richtig weiten noch schmaler werden können. „Dadurch können sie das Blut nicht mehr gut transportieren“, sagt der Kardiologe.

Was passiert, wenn das Herz immer steifer wird?

„Das Herz ist eine Saug-Druck-Pumpe, die das Blut zunächst ansaugt und dann in die Hauptschlagader drückt“, erklärt Prof. Halle. „Durch die Versteifung funktioniert das Ansaugen nicht mehr richtig. Dafür müsste das Herz elastisch sein.“ Auch die Pumpfunktion des Herzens ist durch die Versteifung eingeschränkt, es entsteht eine Herzschwäche. Wegen der ebenfalls versteiften Gefäße muss das Blut zudem gegen einen größeren Widerstand durch den Körper gepumpt werden, es entwickelt sich Bluthochdruck. „Weil das Blut weniger im Körper zirkuliert, kann es in der Lunge auch nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen. Dadurch leiden die übergewichtigen Menschen an Luftnot, wenn sie zum Beispiel eine Treppe steigen“, sagt Prof. Halle. Bis sich das Herz und die Blutgefäße derart verändert haben, dass eine Herzmuskelschwäche auftritt, kann es 15 Jahre dauern, erklärt der Herzmediziner. „Vergehen dann noch einmal zehn Jahre, drohen wegen des Übergewichts auch Herzrhythmusstörungen.“

Warum drohen wegen des Übergewichts auch Herzrhythmusstörungen?

Wenn das Herz zunehmend vernarbt, kann auch sein elektrisches System betroffen sein. Das Herz erzeugt selbst elektrische Impulse, die sich über spezielle Leiterbahnen ausbreiten und den Takt für den Herzschlag vorgeben. Wenn dieses System gestört ist, kommt es zu Herzrhythmusstörungen. „Bei Menschen mit Übergewicht ist das typischerweise das Vorhofflimmern“, sagt Prof. Halle. Die Betroffenen sind meistens zwischen 40 und 60 Jahren alt. Bei ihnen steigt die Gefahr eines Schlaganfalls oder einer Herzklappenerkrankung.

Wirken die Entzündungsstoffe aus dem Fettgewebe auch auf andere Bereiche des Körpers?

„Die Entzündungsstoffe blockieren zum Beispiel die Insulinrezeptoren der Zellen“, sagt Prof. Halle. „Sie legen sich an die Rezeptoren und haften daran wie Klebstoff.“ Die Rezeptoren sorgen eigentlich dafür, dass die Zellen den Zucker aus dem Blut aufnehmen, als Energie für den Körper. Doch durch die Entzündungsstoffe wird das verhindert und der Zuckerspiegel im Blut steigt. Es entwickelt sich ein Diabetes. „Durch den hohen Zuckerspiegel im Blut werden die Innenschichten der Blutgefäße angegriffen“, sagt der Kardiologe. „Wenn die Innenschicht der Gefäße porös wird, kann sich an diesen Stellen Cholesterin ablagern.“ Die Folge können Cholesterinansammlungen in den Herzgefäßen sein, die zu einer Verengung der Herzkranzarterien führen – der sogenannten koronaren Herzkrankheit. „Die führt im schlimmsten Fall zum Herzinfarkt“, sagt Prof. Halle.

 

Wie können Menschen mit Übergewicht dieser Entwicklung entgegenwirken?

Wer übergewichtig ist, aber gleichzeitig sportlich aktiv, kann die negativen Auswirkungen des Fettgewebes nahezu komplett ausgleichen. „Der Gegenspieler der Fettzelle ist die Muskelzelle“, sagt Prof. Halle. „Wer trotz Übergewicht jeden Tag 30 Minuten körperlich aktiv ist und dabei auch ein bisschen ins Schwitzen kommt, aktiviert die Muskelzellen.“ Die geben dann Botenstoffe ab, die den Stoffwechsel ankurbeln. „Dadurch wird der Diabetes reduziert, die Gefäße und der Herzmuskel werden elastischer“ erklärt der Herz-Experte. Allerdings: Wenn Herzmuskelgewebe einmal vernarbt ist, lässt sich das nicht mehr rückgängig machen. Das gilt ebenso für verkalkte Gefäße. „Wer schon viele Jahre übergewichtig ist und erst mit 50 Jahren mit dem Sport beginnt, hat die Herzproblematik möglicherweise schon“, so Prof. Halle.

 

Wie lässt sich herausfinden, ob Sport erfolgreich die negativen Folgen des Übergewichts ausgleicht?

Bei der Hausärztin oder dem Hausarzt kann man die Entzündungswerte im Blut bestimmen lassen. „Dabei handelt es sich um das sogenannte hochsensitive C-reaktive Protein, kurz hs-CRP“, erklärt Prof. Halle. „Ist der Wert nicht erhöht, wirkt die sportliche Aktivität.“ Weitere Hinweise können Blutzuckerwerte und bestimmte Blutfette, die sogenannten Triglyceride, liefern. „Sind die Fettwerte zu hoch, bedeutet das, dass der Stoffwechsel für die Fette nicht aktiv ist. Und erhöhte Zuckerwerte zeigen, dass der Zuckerstoffwechsel nicht arbeitet“, erläutert der Herz-Spezialist. „Sind die Werte der Triglyzeride und des Zuckers normal, hat der Übergewichtige kein Risiko für eine Herzerkrankung.“

 

Wieviel sollten Betroffene abnehmen, um herzgesünder zu leben?

Schon eine Gewichtsabnahme um fünf Prozent hat einen positiven Effekt. „Wenn man 100 Kilogramm wiegt, sind das nur fünf Kilo. Es ist nicht wahnsinnig viel, was man verändern muss“, sagt Prof. Halle. Pro Monat sollten etwa ein bis zwei Kilogramm abgenommen werden. „Das lässt sich erreichen, indem man die Kalorien reduziert, die man zu sich nimmt“, erklärt der Herzmediziner. Meist wird eine Kalorienzufuhr von 1.200 bis 1.500 Kilokalorien pro Tag empfohlen, außerdem eine ausgewogene, herzgesunde Ernährung. Empfohlen wird dabei viel Gemüse und Hülsenfrüchte, ergänzt um Proteine aus Fisch oder magerem Fleisch. „Zusätzlicher Sport verbessert den Stoffwechsel, aktiviert die Muskulatur und damit den natürlichen Gegenspieler der Fettzelle“, so Prof. Halle. Außerdem sind Sport und Bewegung ein wichtiger Schritt, die eigene Lebensweise zu verändern. „Alleine durch Verzicht beim Essen verändert sich das Körpergefühl nicht, aber durch regelmäßigen Sport und Bewegung lässt sich innerhalb von vier Wochen ein Sprung der Leistungsfähigkeit erreichen“, erklärt der Experte. „Dann spüren die Menschen, dass sie besser belastbar sind und werden motiviert, die veränderte Lebensweise beizubehalten.“ Denn wer mit einer Diät radikal abnimmt, aber nicht dauerhaft die Ernährungsgewohnheiten ändert, riskiert, anschließend wieder zuzunehmen – der sogenannte Jojo-Effekt.

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