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Zentraler Kern der kardiovaskulären, evidenzbasierten Medizin sind Therapien auf Basis von randomisierten, placebo-kontrollierten Studien (RCTs), in denen der mittlere Nutzen einer Studienpopulation im Hinblick auf den untersuchten Endpunkt darstellbar wird. Präzisionsmedizin hingegen versucht, das individuelle Ansprechen eines Individuums auf eine Therapie vorhersagbar zu machen, indem (im Extremfall) „Responder“ von „Non-Respondern“ durch Identifikation bestimmter Eigenschaften oder zusätzlicher diagnostischer Tests unterscheidbar werden.
Low-density-lipoprotein Cholesterin (LDL-C) senkende Therapien mit Statinen sind durch ihren mittleren Nutzen etablierte Eckpfeiler der Prävention atherosklerotischer, kardiovaskulärer Erkrankungen (ASCVD). Gerade angesichts der intensiven Anwendung dieser Therapien und des Nebenwirkungsprofils ist eine Einschätzung des präzisionsmedizinischen Potenzials von Statinen – d.h. die Heterogenität des Statin-Behandlungseffektes – zwar sehr wichtig, bisher aber wissenschaftlich vollkommen unklar.
Ein bereits im diabetologischen Themenfeld [1, 2] von unserer Arbeitsgruppe etabliertes Meta-Regressionsverfahren erlaubt die Abschätzung des präzisionsmedizinischen Potenzials aus den publizierten Daten von RCTs: Großes Potenzial geht mit einer höheren Streuung der klinischen Zielgröße, hier LDL-C, in der Interventionsgruppe einher, ein Ausdruck des Vorhandenseins von (im Extremfall) „Respondern“ und „Non-Respondern“. Ist diese Streuung nicht oder kaum darstellbar, so ist von geringem präzisionsmedizinischem Potenzial auszugehen.
Ziel dieser Studie war es daher, nach Durchführung eines systematischen Reviews von Statin-RCTs, die Methodik der Meta-Regressionsanalyse zur Untersuchung der Heterogenität des Behandlungseffektes auf LDL-C anzuwenden. Sollte sich präzisionsmedizinisches Potenzial ergeben, so sollten in einem zweiten Schritt Eigenschaften von Respondern identifiziert werden, um dieses nutzbar zu machen.
In einem systematischen Review wurden RCTs mit Statintherapie vs. Placebo zur LDL-C-Senkung in Primär- oder Sekundärprävention von ASCVD zunächst identifiziert, dann wurden daraus Charakteristika der Studienpopulationen, der Interventionen, sowie Mittelwerte und Streuungen des LDL-Cholesterins in Verum- vs. Placebo-Armen von zwei unabhängigen Untersuchern extrahiert und double-checks durchgeführt. Eine Meta-Regressionsanalyse der Standardabweichungen in Verum- vs. Placebo-Armen mit Adjustierung für Fallzahl, den mittleren LDL-Cholesterin-Wert und für die Abhängigkeit von Armen innerhalb der Studien wurde zur Abschätzung des präzisionsmedizinischen Potenzials genutzt.
Es wurden 8 RCTs zwischen 1998 und 2007 identifiziert, mit 8 Verum-, 8 Placebo-Armen und insgesamt 52.043 Individuen. Das mediane Alter betrug 62 Jahre, 65 % waren männlich. Das mediane LDL-C betrug 121 ± 27 mg/dL in beiden Gruppen zur Baseline, nach mittlerem Follow-Up von 156 Wochen war LDL-C 76 ± 26 mg/dL (Verum) vs. 122 ± 25 mg/dL (Placebo). Die Meta-Regressionsanalyse inkl. Adjustierung ergab eine um 5 mg/dL (95% Konfidenzintervall -14; 23) höhere Streuung in Verum- vs. Placebogruppen.
In unserer Analyse des präzisionsmedizinischen Potenzials von Statintherapie in Primär- und Sekundärprävention von ASCVD fand sich allenfalls eine geringgradige Heterogenität im Behandlungseffekt, mit großer Unsicherheit des Schätzers (=breiten Konfidenzintervallen). Daraus lässt sich schließen, dass bei LDL-C-senkender Statintherapie eher von einem dominanten mittleren Effekt auszugehen ist und die Unterscheidung in Responder und Non-Responder eine nachrangige Rolle bei geringem individuellem Effekt spielt.
Dieses Ergebnis mag zwar Chancen auf präzisionsmedizinische Ansätze in der Statintherapie deutlich schmälern, bedeutet aber im Gegenzug auch, dass kein Individuum einen Nachteil hat, also schlechter auf die Therapie anspricht: Man kann davon ausgehen, dass der mittlere, aus RCTs bekannte Therapieeffekt individuell erreicht werden kann – und aktuelle leitliniengerechte Therapie damit allen Patient:innen einen Nutzen bringt.
Tabelle 1: Beschreibende Darstellung aller randomisierter, placebo-kontrollierter Studien von lipidsenkender Statintherapie und deren Kennwerten Mittelwert (mean) und Standardabweichung (SD) für die Zielgröße low-density-lipoprotein cholesterol (LDL-C) in Verum- und Placebogruppen, zur Baseline und bei Studienabschluss.