Vergleich der ESC-Leitlinien von 2019 und 2024 für die Ermittlung der Prätestwahrscheinlichkeit einer koronaren Herzerkrankung in einer deutschen prospektiven Kohorte - Die ECAD II-Studie

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Viktoria Backmann und PD Dr. Iryna Dykun, Essen

Hintergrund

Stabile pektanginöse Beschwerden bei Patient:innen ohne bekannte obstruktive koronare Herzerkrankung (KHK) führen zu Millionen ambulanter Arztbesuche und Tests weltweit1,2. Dabei ist die Prävalenz der obstruktiven KHK aufgrund von Fortschritten der Prävention bei nordamerikanischen und westeuropäischen Populationen abnehmend und liegt bei unter 10 %3,4, sodass ein Großteil der Tests normale Ergebnisse ergibt. Daher empfiehlt die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) die Evaluation der Prä-Test-Wahrscheinlichkeit (PTP), um die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Durchführung oder dem Verzicht auf diagnostische Tests bei Patient:innen mit Verdacht auf koronare Herzerkrankung zu verbessern5. Die Berechnung der PTP wurde mehrfach überarbeitet, um eine Überschätzung der Wahrscheinlichkeit zu verringern. Die neue ESC-Leitlinie von 2024 empfiehlt ein risikofaktorgewichtetes klinisches Wahrscheinlichkeitsmodell zur Verbesserung der Vorhersage.

 

Ziel

Mit dem vorliegenden Projekt sollte untersucht werden, ob das neue, in der ESC-Leitlinie von 2024 empfohlene Modell, dem in der ESC-Leitlinie von 2019 empfohlenen Modell in Bezug auf die Vorhersage der obstruktiven koronaren Herzerkrankung überlegen ist.

 

Methoden

Die vorliegende Studie basiert auf dem prospektiven ECAD II-Register für konsekutive Patient:innen, die zwischen 2021 und 2024 in das Westdeutsche Herz- und Gefäßzentrum aufgenommen wurden. In die Analyse wurden Patient:innen mit stabilen Symptomen einbezogen, bei denen eine Koronarangiographie durchgeführt wurde und bei denen die notwendigen Informationen für die Berechnung der in den oben genannten Leitlinien empfohlenen Risikomodelle vorlagen. Die kardiovaskulären Risikofaktoren, sowie die Symptome der Patient:innen wurden vor der Koronarangiographie eingeschätzt. Als obstruktive koronare Herzerkrankung wurde die Notwendigkeit einer Revaskularisierung nach dem Ermessen des interventionellen Kardiologen definiert. Die PTP wurde anhand der Scores aus den Leitlinien von 2019 und 2024 berechnet und mit dem Ergebnis der Koronarangiographie verglichen. Dabei wurden die Maße für die diagnostische Genauigkeit berechnet.

 

Ergebnisse

Bei 3829 Patient:innen (Durchschnittsalter 68,9 ± 13,3 Jahre, 65 % männlich) lagen sowohl klinische Informationen als auch Koronarangiographie-Untersuchungen vor. 559 (14,6 %) hatten eine obstruktive KHK. Diese Patient:innen waren älter (70,3 vs. 68,6 Jahre, p<0,001), häufiger männlich (75,1 % vs. 63,3 %, p<0,001), hatten einen höheren BMI (27,9 vs. 27,3 kg/m², p<0,001), häufiger Bluthochdruck (76,7 % vs. 71,9 %, p=0,02) und häufiger eine Dyslipidämie (66,9 % vs. 57,4 %, p<0,001). Das Modell von 2024 ordnete mehr Fälle ohne KHK der Gruppe mit sehr niedriger PTP (Cut-off 5 % PTP, echte Negative 493 Fälle vs. 257 Fälle) und zur Gruppe mit niedriger PTP (Cut-off 15 % PTP, echte Negative 1480 vs. 1015 Fälle) zu als das Modell von 2019 (Tabelle 1). Die Korrelation zwischen beiden Modellen war hoch (r=0,865, p<0,0001). Die Gesamtfläche unter der Receiver-Operating-Characteristics-Kurve war jedoch insgesamt nur moderat und nahm mit dem Modell von 2024 nicht signifikant zu (ROC: 0,627 [0,601; 0,654] vs. 0,617 [0,589; 0,644] für das Modell 2024 bzw. 2019, p=0,11).

 

Schlussfolgerung/Fazit

In unserer prospektiven, großen Kohorte von konsekutiven Patient:innen, die sich einer Koronarangiographie unterzogen, wurden bei der Bewertung der PTP mithilfe eines risikofaktorgewichteten klinischen Wahrscheinlichkeitsmodells gemäß den ESC-Leitlinien von 2024 mehr Patient:innen in Gruppen mit geringerer Wahrscheinlichkeit eingestuft, was zu einer Herabstufung im Vergleich zum modifizierten Modell von Diamond und Forrester führte, das in den ESC Leitlinien von 2019 empfohlen wurde. Beide Modelle bieten jedoch nur eine mäßige Vorhersage für das Vorhandensein einer obstruktiven KHK, ohne eine signifikante Verbesserung zwischen den Empfehlungen von 2019 und 2024. Unsere Ergebnisse bestätigen die Notwendigkeit von bildgebenden Tests vor Durchführung einer konventionellen Koronarangiographie.

 

 

Tabelle 1: Prä-Test-Wahrscheinlichkeit für die obstruktive koronare Herzerkrankung gemäß der ESC-Leitlinien von 2019 und 2024

 

Referenzen

  1. Douglas, P.S., Hoffmann, U., Patel, M.R., Mark, D.B., Al-Khalidi, H.R., Cavanaugh, B., Cole, J., Dolor, R.J., Fordyce, C.B., Huang, M., et al. (2015). Outcomes of anatomical versus functional testing for coronary artery disease. N Engl J Med 372, 1291-1300. 10.1056/NEJMoa1415516.
  2. Hoorweg, B.B., Willemsen, R.T., Cleef, L.E., Boogaerts, T., Buntinx, F., Glatz, J.F., and Dinant, G.J. (2017). Frequency of chest pain in primary care, diagnostic tests performed and final diagnoses. Heart 103, 1727-1732. 10.1136/heartjnl-2016-310905.
  3. Lloyd-Jones, D., Adams, R.J., Brown, T.M., Carnethon, M., Dai, S., De Simone, G., Ferguson, T.B., Ford, E., Furie, K., Gillespie, C., et al. (2010). Heart disease and stroke statistics--2010 update: a report from the American Heart Association. Circulation 121, e46-e215. 10.1161/circulationaha.109.192667.
  4. Prevalence of coronary heart disease--United States, 2006-2010.  (2011). MMWR Morb Mortal Wkly Rep 60, 1377-1381.
  5. Vrints, C., Andreotti, F., Koskinas, K.C., Rossello, X., Adamo, M., Ainslie, J., Banning, A.P., Budaj, A., Buechel, R.R., Chiariello, G.A., et al. (2024). 2024 ESC Guidelines for the management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J. 10.1093/eurheartj/ehae177.
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