Herausforderungen in der Gerontokardiologie
Eine der größten Herausforderungen bei der Behandlung älterer Patient:innen ist, dass ein fortgeschrittenes Lebensalter bislang oft Ausschlusskriterium für den Einschluss in nahezu alle bedeutsamen kardiologischen Studien war, so dass die wissenschaftliche Evidenz für Therapien – meist an jüngeren Populationen gewonnen – zwangsweise auf ältere Patientengruppen übertragen werden muss. Dies wird dem Anspruch der Herz-Kreislauf-Medizin nach „evidence-based medicine“ (EBM) weder gerecht, noch trägt es der Tatsache Rechnung, dass die Studien-Patientenkohorten und betagte Patientinnen und Patienten differente Patientenkollektive mit unterschiedlichen Therapiezielen darstellen.
Problematisch ist ebenso, dass noch immer bestimmte intensivere oder invasivere Therapieoptionen betagteren Patientinnen und Patienten mit Verweis auf das fortgeschrittene Lebensalter vorenthalten werden. Dies zeigt, dass das Feld der klinischen Kardiologie bei Patientinnen und Patienten über 75 Jahren auch ethische und gesundheitsökonomische Gesichtspunkte tangiert, denen wir uns als Kardiologinnen und Kardiologen künftig stellen müssen.
Invasive kardiale Therapien wie eine koronare Bypass-OP-Prozedur, komplexe interventionelle Therapieverfahren, die primärprophylaktische ICD-Implantation: Für die meisten dieser Therapieverfahren ist es gänzlich unbekannt, ob und in welcher Weise diese auch für ältere Patient:innen geeignet sind. Auch pharmakokinetische Eigenschaften und Sicherheitsprofile unserer angewandten adjunktiven Pharmakotherapie zur Risikofaktorenkontrolle, zur Thromobozytenaggregationshemmung, zur Antikoagulationstherapie, zur Vorhofflimmertherapie, aber auch moderne pharmakologische Therapieoptionen der chronischen Herzinsuffizienztherapie sind größtenteils für ältere Patientinnen und Patienten nicht untersucht.
Um unseren älteren Patient:innen, angesichts der bislang in weiten Bereichen für diese Altersgruppe fehlenden Evidenz, besser gerecht werden zu können, wird es zunehmend unsere Aufgabe sein, individualisierte, an Leitlinien orientierte Entscheidungen zu treffen, welche die spezifische Risikokonstellation, die „Frailty“ und die Komorbiditäten der einzelnen älteren Patient:innen berücksichtigt und neue Versorgungskonzepte für diese Patientengruppen interdisziplinär evaluiert.