Auf dem Weg nach oben: Frauen in der Herzmedizin

Die Herzmedizin ist noch immer ein weitgehend männlich dominiertes Fachgebiet. Was die Gründe dafür sind, welche Faktoren für den beruflichen Erfolg entscheidend sind und wieso alle davon profitieren, wenn Frauen stärker in der Herzmedizin repräsentiert sind, schildern Dr. Nina Wunderlich (Langen), Dr. Nihal Wilde (Koblenz) und Prof. Dr. Georg Nickenig (Bonn).

Von Abbott Medical

 

07.10.2024

 

Bildquelle (Bild oben): istock: Stock-Fotografie

 

 

Geförderter Inhalt

 

 

 

Frauen machen rund die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland aus,1 unter den Medizinstudierenden sind mittlerweile sogar knapp zwei Drittel weiblich.2 Doch das Bild wandelt sich umso stärker, je weiter man auf der Karriereleiter nach oben schaut: 2023 lag der Anteil der Frauen bei der Anerkennung von Facharztbezeichnungen sowohl in der Kardiologie als auch in der Herzchirurgie bei etwa einem Drittel.3 Der Anteil der Frauen in Führungspositionen ist noch deutlich geringer: Von den stationär in leitender Position tätigen Kardiolog:innen waren 2023 nur 13,7 % weiblich, bei den Herzchirurg:innen betrug der Frauenanteil sogar nur 5,7 %.3 „Wenn man sich diese Zahlen ansieht, dann merkt man: Frauen sind vor allem in Leitungspositionen noch deutlich unterrepräsentiert“, fasst Dr. Nina Wunderlich, Sektionsleiterin für Strukturelle Herzerkrankungen an den Asklepios Kliniken Langen, die Situation hierzulande zusammen. „Eine Gleichstellung der Geschlechter haben wir bei uns definitiv noch nicht erreicht. Man muss aber auch sagen, dass es hier in den letzten Jahren insgesamt schon deutliche Fortschritte gegeben hat.“

„Frauen sind körperlich weniger leistungsfähig“: althergebrachte Vorurteile als Hürde

 

Trotz dieser Fortschritte sei es aber weiterhin für viele Frauen in der Herzmedizin schwer, an die Positionen zu kommen, die sie wollen. Die Gründe dafür sind Dr. Wunderlich zufolge vielfältig: „Neben strukturellen Barrieren persistieren auch noch viele Vorurteile, beispielsweise dass Frauen körperlich nicht so leistungsfähig seien wie Männer, und dass das interventionelle oder chirurgische Arbeiten für Frauen daher zu anstrengend sei“, so die Kardiologin. Dass Frauen oft weniger zugetraut wird, könnte Dr. Wunderlich zufolge auch am unterschiedlichen Auftreten liegen: „Männer sind oft sehr gut darin, sich zu präsentieren, und treten sehr selbstsicher auf. Frauen dagegen neigen dazu, sich und die eigenen Leistungen stärker zu hinterfragen, und werden dann als weniger kompetent wahrgenommen.“

Kind = Karriereknick

 

Eine weitere Hürde ist aus Sicht von Dr. Wunderlich die Familienplanung – und das gleich in mehrfacher Hinsicht: „Es gibt da oftmals noch diese Vorstellung von traditionellen Rollenbildern und dass alle Frauen einen Kinderwunsch haben und eine Familie gründen wollen. Gerade bei jüngeren Frauen kann das dazu führen, dass sie bei der langfristigen Personalplanung im Vergleich zu männlichen Kollegen das Nachsehen haben. Und wenn Frauen sich dann tatsächlich dafür entscheiden, Mutter zu werden, hat das in der Regel einen deutlichen Karriereknick zur Folge, denn sie fallen dann für eine gewisse Zeit aus, und nach der Rückkehr aus dem Mutterschutz beziehungsweise der Elternzeit können viele auch nicht direkt wieder in Vollzeit arbeiten, weil es zu wenig wohnortnahe und zeitlich flexible Betreuungsangebote für Kinder und zu wenig Flexibilität bei Arbeits- und Teilzeitmodellen gibt. Das führt dann dazu, dass solche Frauen zum Beispiel in der Facharztausbildungskette von männlichen Kollegen überholt werden.“

Warum alle von mehr Herzmedizinerinnen profitieren

 

Dr. Wunderlich ist es wichtig zu betonen, dass eine stärkere Einbindung von Herzmedizinerinnen nicht nur diesen selbst nützt: „Ich glaube Männer und Frauen bringen je ihre eigenen Skills und Begabungen und Perspektiven ein, und so ein breiteres Skillset kann das ganze Team sehr bereichern und am Ende auch zu einer besseren Versorgung von Patientinnen und Patienten führen.“ Die Studienlage untermauert dieses Argument: Geschlechtergemischte Teams weisen nachweislich eine höhere Produktivität und Innovation auf und gehen mit einer höheren Zufriedenheit der Mitarbeitenden einher. Auch positive Effekte für die Forschungsqualität und die Versorgungsqualität wurden bereits belegt.4

Erfolgsrezept für die Karriere

 

Bei der Frage, wie sich die Geschlechtergerechtigkeit hierzulande verbessern lässt, scheiden sich die Geister. Dr. Wunderlich hält Frauenquoten nicht für den besten Weg, sondern spricht sich dafür aus, dass Frauen das Heft selbst in die Hand nehmen: „Da können wir uns viel von den Männern abgucken, zum Beispiel im Hinblick auf das selbstbewusste Auftreten.“ Ähnliches gilt für die Sichtbarkeit, die Dr. Wunderlich zufolge entscheidend für die Karriere ist: „Forschung ist da ein sehr guter Weg, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen, denn sie bietet die Möglichkeit, die eigenen Ergebnisse in einem größeren Rahmen auf Kongressen zu präsentieren und sich mit Publikationen in Fachjournalen einen Namen zu machen.“ Hier kann es ihr zufolge hilfreich sein, sich eine eigene Nische zu erarbeiten: „Meiner Erfahrung nach fährt man gut damit, sich Kernkompetenzen auf Gebieten anzueignen, die nicht so gängig sind – sich also zur Expertin für ein Spezialgebiet zu etablieren und sich so seinen eigenen Bereich zu schaffen.“

 

Mindestens ebenso wichtig ist aus ihrer Sicht der Aufbau von Netzwerken. „Wir Frauen müssen uns besser vernetzen und austauschen, unsere Erfahrungen teilen und uns gegenseitig unterstützen, so wie Männer das bereits lange tun.“ Auch gibt es Dr. Wunderlich zufolge noch viel zu wenige weibliche Vorbilder, von denen man lernen könne, was möglich ist – und auch, welcher Weg dorthin führt. „Jemanden zu haben, der erfahrener ist und der einem Tipps geben kann, beispielsweise wie man seine erste wissenschaftliche Publikation schreibt, oder der einen dabei beraten kann, was der nächste Karriereschritt sein könnte – solch ein Mentoring kann aus meiner Sicht Frauen sehr dabei helfen, das eigene Potenzial zu verwirklichen und den eigenen Weg zu gehen.“

Fallbeispiel: Mit Engagement und Authentizität zum Erfolg

 

Ihren eigenen Weg gegangen ist auch Dr. Nihal Wilde. Sie ist seit dem 01. Oktober 2024 in leitender Position der Kardiologie am Bundeswehr-Zentralkrankenhaus in Koblenz. Ihr Weg zu dieser Spitzenposition war allerdings nicht leicht; unterstützt wurde sie dabei unter anderem von Prof. Dr. Georg Nickenig, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums Bonn (UKB). Im Rahmen der Kooperation zwischen dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz und der Universitätsklinik Bonn stieß Dr. Wilde als frischgebackene Fachärztin im Sommer 2019 zum Team von Prof. Nickenig, um sich dort sowohl fachlich als auch im Hinblick auf Forschung und wissenschaftliches Arbeiten weiterzuentwickeln. Ein Selbstläufer war die Sache Dr. Wilde zufolge aber nicht: „Am Anfang musste ich natürlich erstmal in Vorleistung treten und mich im Team beweisen. Ich war ja neu am UKB und kam aus einem vergleichsweise kleinen Haus, wo sich alle kannten. Und dann lief ich in Bonn durch die Gänge und niemand kannte mich. Sich dort die notwendige Sichtbarkeit zu erarbeiten und sich durchzusetzen, das war nicht einfach.“

 

Schnell fiel sie aber durch ihr hohes fachliches und menschliches Engagement auf und wurde so zu einem wichtigen und engen Teil des Teams, erklärt Prof. Nickenig: „Durch ihre große Sozialkompetenz hat sie es allen hier sehr leicht gemacht, sie im Team aufzunehmen. Sie ist Teamplayer und war immer bereit zu helfen, ist eingesprungen und war sich für nichts zu schade. All diese Sekundärtugenden, die man ja häufig für spießig hält, waren am Ende tatsächlich spielentscheidend, um voranzukommen.“ Ein wichtiger Punkt für ihn ist dabei die Authentizität: „Ich glaube, dass sie sich nicht aus Kalkül so verhalten hat, sondern weil das natürlich für sie war und es deswegen auch authentisch rübergekommen ist.“ 

Weiterentwicklung von Fach- und Führungskompetenzen

 

So kam es, dass Dr. Wilde während ihres dreijährigen Aufenthalts am UKB ein Teil des Teams wurde. Ihre Weiterentwicklung beschränkte sich aber nicht rein auf fachliche Aspekte, so der Kardiologe. „Natürlich gehört auch dazu, bestimmte kompliziertere Eingriffe mitzuerleben und dann später auch selbst durchführen zu dürfen. Ein anderer, fast noch wichtigerer Teil als die Prozeduren und Techniken ist aber, dass man lernt, wie die Zahnräder in einer Klinik ineinandergreifen müssen. Wenn man Teil dieses Gefüges gewesen ist, dann kann man das später auch in seiner eigenen Einheit anwenden.“ Dr. Wilde bestätigt dies: „Zu beobachten, wie jemand ein Team führt und wie die Mitarbeitenden auf bestimmte Entscheidungen reagieren, das war für mich sehr wertvoll. Und es war sehr nachhaltig, denn ich merke, wie sehr mir das seitdem immer wieder im Alltag geholfen hat und weiterhin hilft in meiner eigenen Rolle als Leitung. In dieser Hinsicht war meine Zeit in Bonn sehr prägend für mich und die dort gesammelten Erfahrungen und Beobachtungen unbezahlbar.“

 

Ein dritter wichtiger Aspekt ist Prof. Nickenig zufolge die Forschung: „Hier in Bonn hat Frau Dr. Wilde sich auch an klinischen Studien beteiligt und Fachartikel publiziert. Das wissenschaftliche Arbeiten erfordert in hohem Maße Kollaboration, denn es ist ja ein Teamunterfangen, bei dem viele Menschen miteinander zusammenarbeiten müssen.“ Als Universitätsklinikum hat Bonn zudem natürlich einen Lehrauftrag, den es zu erfüllen gilt: „Auch hier hat sich Dr. Wilde in einer sehr selbstlosen Art und Weise engagiert und sich in die Ausbildung von Studierenden eingebracht – und tut dies auch heute noch.“

Voraussetzungen für den Erfolg

 

Was also braucht es, um in der Herzmedizin erfolgreich zu sein? Für Dr. Wilde sind zentrale Elemente Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit, Authentizität und der Glaube an sich selbst: „Ich denke, wir Frauen stehen uns manchmal selbst im Weg, wenn wir uns zu große Sorgen darüber machen, wie wir im fachlichen Umfeld wahrgenommen werden. Davon müssen wir uns frei machen und stattdessen selbstbewusster auftreten und durch unsere Leistungen überzeugen.“

 

Auch für Prof. Nickenig sind es vor allem Ausdauer und Leistungsbereitschaft, die zählen – und Freude an der Sache: „Etwas, das man nicht gerne macht, kann man auf Dauer nicht auf einem sehr hohen Niveau machen. Deshalb ist es wichtig, den Bereich zu finden, der einem wirklich Spaß macht und der einen begeistert – die eigene Berufung sozusagen.“

Netzwerk von Frauen für Frauen: „Women in Cardiology“

 

Ein weiterer Baustein in ihrer Karriere war Dr. Wilde zufolge das Networking. So hat sie im Lauf ihrer Karriere zahlreiche Kontakte geknüpft und sich so ein großes individuelles Netzwerk aufgebaut. Ergänzend zu den eigenen persönlichen Kontakten ist sie zudem Teil des „Women in Cardiology“-Netzwerks von Abbott. Das erste Treffen dieses Netzwerks fand vor zwei Jahren in Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) statt und Dr. Wilde war von Anfang an mit dabei. Dort lernte sie auch Dr. Wunderlich kennen, mit der sie seitdem regelmäßig in Kontakt ist und die als Mentorin ihren beruflichen Fortschritt mit Rat und Tat begleitet.

 

„Ich freue mich, wenn ich jüngere Frauen auf ihrem Weg unterstützen kann, sodass sie es etwas leichter haben als ich damals“, so Dr. Wunderlich. „Und da bin ich nicht allein: Bei den „Women in Cardiology“ engagieren sich mittlerweile eine ganze Reihe von erfolgreichen Herzmedizinerinnen, beispielsweise auch aus der interventionellen Kardiologie oder der Kardiochirurgie. Unser Ziel ist es, dass mehr Frauen die Ziele erreichen, die sie erreichen wollen – sei es eine Führungsposition oder ein anderer attraktiver Job.“

Die Erfolgsgeschichte soll weitergehen

 

Wie die meisten großen Erfolgsgeschichten haben auch die „Women in Cardiology“ klein angefangen: „Zum Auftakt vor zwei Jahren in Mannheim waren wir noch zu acht“, erinnert sich Dr. Wunderlich. Seitdem hat sich das Netzwerk durch diverse persönliche Treffen stetig vergrößert – zuletzt im Rahmen der DGK-Herztage 2024 in Hamburg. Natürlich war auch Dr. Wunderlich wieder federführend mit von der Partie. Doch sie hatte sich namhafte Verstärkung mitgebracht: die Herzchirurgin Prof. Dr. Sabine Bleiziffer aus Bad Oeynhausen und den Kardiologen Prof. Dr. Fabian Knebel aus Berlin. Das Trio diskutierte gemeinsam mit vielen Teilnehmerinnen unter anderem über den Mangel an weiblichen Vorbildern in der Herzmedizin und die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Karriere und Familie gerade für Frauen. Des Weiteren tauschte sich die Runde darüber aus, welche Maßnahmen zukünftig helfen könnten, um bestehende Karrierehürden abzubauen und die Geschlechtergerechtigkeit zu verbessern.

 

Die Planung für das kommende Jahr läuft ebenso bereits auf Hochtouren: Neben einem eigenem Industriesymposium bei der DGK-Jahrestagung in Mannheim und einer Podiumsdiskussion im Hauptprogramm der Herztage 2025 ist auch der Aufbau einer technischen Plattform geplant, mit der die Mitglieder sich vernetzen und in Kontakt bleiben können. Die Erfolgsgeschichte der „Women in Cardiology“ hat also gerade erst begonnen.

Dr. Nina Wunderlich Dr. Nina Wunderlich, Sektionsleiterin für Strukturelle Herzerkrankungen Asklepios Kliniken Langen
Dr. med. Nihal G. Wilde, Leitende Position Kardiologie Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz Dr. med. Nihal G. Wilde, Leitende Position Kardiologie Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Univ.-Prof. Dr. med. Georg Nickenig Direktor der Klinik - Medizinische Klinik und Poliklinik II UKB Universitätsklinikum Bonn Univ.-Prof. Dr. med. Georg Nickenig, Direktor der Klinik - Medizinische Klinik und Poliklinik II UKB Universitätsklinikum Bonn

Save the Date: 24. April 2025, 13:00 bis 14:30 Uhr

 

Bei der Jahrestagung der DGK in Mannheim wird das Thema Frauen in der Herzmedizin auf die große Bühne geholt: Unter dem Motto „Frau sein – ein Karrierenachteil in der Herzmedizin?“ sind am Donnerstag, dem 24.04.2025 namhafte Referentinnen und Referenten aus der Kardiologie und Herzchirurgie eingeladen, um über den Status quo zu berichten und Strategien zur stärkeren Einbindung von Frauen – auch in Leitungs- und Führungspositionen – zu diskutieren.

Referenzen

  1. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung nach Nationalität und Geschlecht 2023, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/deutsche-nichtdeutsche-bevoelkerung-nach-geschlecht-deutschland.html
  2. Anzahl der Studierenden im Fach Humanmedizin in Deutschland nach Geschlecht in den Wintersemestern von 2010/2011 bis 2022/2023, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/200758/umfrage/entwicklung-der-anzahl-der-medizinstudenten/
  3. Ärztestatistik 2023 der Bundesärztekammer, https://www.bundesaerztekammer.de/baek/ueber-uns/aerztestatistik/2023
  4. Lerchenmüller C et al. Moving toward gender equity in the cardiology and cardiovascular research workforce in Germany: a report from the German Cardiac Society. Eur Heart J Open. 2023;3(2):oead034.

Hierin enthaltene Informationen sind ausschließlich zur Veröffentlichung in Deutschland bestimmt.

 

Alle Illustrationen sind künstlerische Darstellungen und sollten nicht als technische Zeichnungen oder Fotografien angesehen werden. Archivierung der Daten und Fotoaufnahmen durch Abbott Medical.

 

Abbott Medical
Abbott Medical GmbH | Schanzenfeldstr. 2 | 35578 Wetzlar | Tel: +49 6441 87075-0

 

www.cardiovascular.abbott
© 2024 Abbott. Alle Rechte vorbehalten. 9-GE-5-15579-02 10-2024


Bitte beachten Sie, dass die Verantwortung für die Inhalte der Artikel bei den jeweiligen Förderern liegt.

Jeder Förderer trägt mit seiner finanziellen Zuwendung dazu bei, unsere redaktionelle Arbeit in anderen Bereichen des Portals zu unterstützen. 

Diese Seite teilen