Europäische Multicenter-Studie zur fulminanten Myokarditis

 

Eine der bisher größten retrospektiven Analysen zur fulminanten Myokarditis mit Beteiligung 26 europäischer Zentren wurde kürzlich im European Heart Journal veröffentlicht. Die vom Herzzentrum des Universitätsklinikum Bonn geleitete Studie weist in ihren Ergebnissen auf die prognostische Bedeutung des Alters, des pH, und Ergebnisse der Endomyokardbiopsie hin.1

 

Studienleiter, Prof. Enzo Lüsebrink (Universitätsklinikum Bonn), fasst die Ergebnisse zusammen und Prof. Tienush Rassaf (Universitätsklinikum Essen) kommentiert.

Von:

Prof. Enzo Lüsebrink

Universitätsklinikum Bonn


Expertenkommentar:

Prof. Tienush Rassaf

Universitätsklinikum Essen

 

09.10.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Butusova Elena / Shutterstock.com

Hintergrund und Studiendesign

 

Die fulminante Myokarditis ist eine seltene, aber schwere Verlaufsform der akuten Herzmuskelentzündung, die durch das Vorliegen eines kardiogenen Schocks definiert ist. Trotz der breiten Verfügbarkeit mechanischer Kreislaufunterstützungssysteme ist die Mortalität nach wie vor hoch und belastbare Daten zu prognostisch relevanten Risikofaktoren sind bislang begrenzt. Um die Behandlung und Risikostratifizierung in der klinischen Praxis zu optimieren, wurde eine multizentrische internationale Beobachtungsstudie durchgeführt, an der insgesamt 26 europäische Zentren teilnahmen. Eingeschlossen wurden erwachsene Patientinnen und Patienten, die zwischen 2012 und 2022 mit fulminanter Myokarditis behandelt wurden. Auch Patientinnen und Patienten, die keine Biopsie erhalten hatten, wurden eingeschlossen. Bei verfügbaren Biopsieergebnissen erfolgte eine histopathologische Zuordnung zu lymphozytärer, eosinophiler, nekrotisierender eosinophiler oder Riesenzellmyokarditis. Die Haupt-Endpunkte der Studie waren Krankenhausmortalität, Ein-Jahres-Mortalität, echokardiographische Beurteilung der Ventrikelfunktion und das neurologische Outcome.

Ergebnisse

 

Von den 271 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten mit fulminanter Myokarditis betrug das mittlere Alter 43 Jahre, 58 % waren männlich. Über die Hälfte benötigte eine mechanische Kreislaufunterstützung mittels veno-arterieller extrakorporealer Membranoxygenierung (VA-ECMO), Impella Mikroaxialpumpe oder intra-aortalen Ballon-Pumpe (IABP). Die Krankenhaussterblichkeit lag bei 31 %, die Ein-Jahres-Sterblichkeit bei 34 %. Insgesamt wurden 6 % der Patientinnen und Patienten im Verlauf herztransplantiert.

 

Von den Patientinnen und Patienten, bei denen eine Endomyokardbiopsie durchgeführt wurde, konnten 146 einer klaren histopathologischen Kategorie zugeordnet werden. Die lymphozytäre Myokarditis war die häufigste Form, gefolgt von eosinophiler Myokarditis und der seltenen, aber besonders schwer verlaufenden Riesenzellmyokarditis (GCM) mit knapp 10 %. Die Riesenzellmyokarditis konnte als die prognostisch ungünstigste Variante identifiziert werden: Hier lag die Ein-Jahres-Sterblichkeit bei 54 %, verglichen mit 25 % bei lymphozytärer und 28 % bei eosinophiler Myokarditis.

 

In der multivariaten Analyse konnten höheres Alter, niedriger pH-Wert bei Aufnahme sowie das Vorliegen einer Riesenzellmyokarditis als unabhängige Prädiktoren für eine erhöhte Mortalität identifiziert werden. Bemerkenswert war außerdem die funktionelle Erholung der Überlebenden: Bei Patientinnen und Patienten mit lymphozytärer oder eosinophiler Myokarditis normalisierte sich die linksventrikuläre Ejektionsfraktion innerhalb eines Jahres auf durchschnittlich 55 % oder mehr. Nur die GCM-Gruppe zeigte auch nach einem Jahr eine reduzierte Pumpfunktion mit einer mittleren Ejektionsfraktion von 34 %.


Die Endomyokardbiopsie erwies sich als sicher und klinisch bedeutsam – mit einer Komplikationsrate von lediglich 3 %. Patientinnen und Patienten ohne Biopsie hatten tendenziell eine höhere Sterblichkeit, was die Bedeutung einer histologischen Abklärung unterstreicht.

 

Fazit

 

Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass trotz hoher Krankenhausmortalität die Langzeitprognose von Überlebenden gut ist. Die meisten Überlebenden erreichen eine weitgehende Normalisierung der Pumpfunktion und konnten bei Entlassung als funktionell normal oder wenig eingeschränkt eingestuft werden.

Expertenkommentar

 

Die internationale Kohortenstudie um die Arbeitsgruppe von Prof. Lüsebrink mit 271 Patientinnen und Patienten aus 26 europäischen Zentren markiert einen entscheidenden Wendepunkt in unserem Verständnis der fulminanten Myokarditis. Während bisherige Untersuchungen meist kleinere Serien oder selektive Kohorten mit mechanischer Kreislaufunterstützung umfassten und entsprechend inkonsistente Mortalitätsraten zwischen 8-35 % zeigten, liefert diese Arbeit erstmals robuste Daten zur Risikostratifizierung und Langzeitprognose.

 

Der neuartige Ansatz liegt im pragmatischen Einschluss von Patientinnen und Patienten ohne histopathologischen Nachweis – ein mutiger Schritt, der die klinische Realität widerspiegelt und jahrzehntelange Debatten über die Notwendigkeit einer Endomyokardbiopsie weiter befeuert. Die Identifikation von Alter, pH-Wert und Riesenzellmyokarditis als unabhängige Mortalitätsprädiktoren ermöglicht Kardiologen erstmals eine evidenzbasierte Risikoeinstufung bei Aufnahme und gezielteren Therapieentscheidungen, insbesondere bezüglich mechanischer Kreislaufunterstützung und Immunsuppression.

 

Besonders bemerkenswert ist die Dichotomie zwischen der erschreckend hohen Krankenhausmortalität von 31 % und der exzellenten Langzeitprognose der Überlebenden mit nahezu vollständiger Ventrikelerholung. Diese Erkenntnis wird die Aufklärungs- und Behandlungsstrategie nachhaltig verändern und Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen in der akuten Phase neue Hoffnung geben. Kritisch anzumerken bleibt jedoch, dass zentrale Fragen zur optimalen Immunsuppression bei verschiedenen Subtypen, zum idealen Zeitpunkt therapeutischer Interventionen und zur Behandlungsstrategie bei klinisch vermuteter fulminanter Myokarditis ohne Biopsie-Nachweis noch unbeantwortet sind. Der MYTHS-Trial und zukünftige randomisierte Untersuchungen werden diese Wissenslücken schließen müssen. Dennoch stellt diese Arbeit bereits jetzt einen Meilenstein dar, der die klinische Praxis revolutionieren kann.

Zur Person

Prof. Enzo Lüsebrink

Prof. Enzo Lüsebrink ist Oberarzt für kardiovaskuläre Intensivmedizin und interventionelle Kardiologie am Herzzentrum Bonn. Forschungsschwerpunkte sind u. a. Behandlungsstrategien bei der Hochrisiko-Lungenembolie und kardiologisch-intensivmedizinische Unterstützung der Herzfunktion, insbesondere im kardiogenen Schock.

Zur Person

Prof. Tienush Rassaf

Prof. Tienush Rassaf ist Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Essen und medizinischer Direktor am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Auswirkungen von Krebsbehandlungen auf das Herz. Er ist außerdem Herausgeber der Cardio News.

Prof. Tienush Rassaf

Referenzen

 

Majunke N, Haertel F, Binzenhöfer L, Fischer N, Höpler J, Scherzer M, Hoffmann S, Scherer C, Lanz H, Hering D, Gade N, Roden D, Huseynov A, Akin I, Graf T, Sinning JM, Jung C, Pappalardo F, Camane E, Ērglis A, Schwinger RHG, Crusius L, Mangner N, Sobrino TL, Sabate M, Hoyer D, Tongers J, Verbelen T, Goslar T, Noc M, Amr E, Billig H, De Roeck F, Sturkenboom N, Luedike P, Hullermann C, Schäfer A, Ferreira R, Kriz M, Dettling A, Beer B, Schrage B, Kirschbaum K, Probst L, Leistner DM, Meder B, Hagl C, Zeymer U, Massberg S, Dutzmann J, Möbius-Winkler S, Rassaf T, Combes A, Zimmer S, Nickenig G, Uribarri A, Thiele H, Lüsebrink E. Fulminant myocarditis: outcome predictors in an international cohort study. Eur Heart J. 2025 Sep 10:ehaf671. doi: 10.1093/eurheartj/ehaf671. Epub ahead of print. PMID: 40928499.

 

Das könnte Sie auch interessieren

DGK-Curriculum Onkologische Kardiologie

Das Curriculum „Onkologische Kardiologie“ soll dazu dienen, Kardiologen in Diagnose, Prävention und Therapie kardiovaskulärer Nebenwirkungen von Krebstherapien auszubilden.

Kardiologie von morgen: Interventionen und Pharmakotherapie

DGK Herztage 2025 | Welche neuen Entwicklungen helfen, die Medizin weiter zu personalisieren? Die Young-DGK-Session gab einen Überblick.

ESC-Guidelines inflammatorisches myoperikardiales Syndrom (IMPS)

ESC 2025 | Die neuen ESC-Leitlinien IMPS bringen Myokarditis und Perikarditis zusammen. Kommentiert von Dr. J. W. Gröschel und Prof. J. Schulz-Menger.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen