Taser: Kardiovaskuläre Risiken durch Distanz-Elektroimpulsgeräte?

 

Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG), auch als „Taser“ oder Elektroschockpistolen bezeichnet, gewinnen auch bei der Polizei in Deutschland an Bedeutung. Sie dienen der Deeskalation und physischen Kontrolle durch Abgabe hochfrequenter Stromimpulse, die eine neuromuskuläre Lähmung bewirken. Dabei stehen sie jedoch auch im Fokus medizinischer Diskussionen – u. a. im Hinblick auf kardiovaskuläre Risiken. Ein aktueller Review, der in der Fachzeitschrift „Herzschrittmachertherapie + Elektrophysiologie“ veröffentlicht wurde, gibt einen Überblick.1

 

Review-Autorin Dr. Jana Ackmann und Review-Autor Prof. Daniel Steven von der Uniklinik Köln geben ein Update und kommentieren.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar:
Dr. Jana Ackmann

Uniklinik Köln

 

Prof. Daniel Steven

Uniklinik Köln

 

30.07.2025

 

Bildquelle (Bild oben): FotoDax / Shutterstock.com

Wirkprinzip und technische Grundlagen

 

DEIG wirken über elektrische Impulse, die sowohl über abgefeuerte Sonden im Distanzmodus als auch durch direktes Aufsetzen auf die Haut im Kontaktmodus übertragen werden können. Der Kontaktmodus führt zu einer lokalen Schmerzreaktion. Systemische Effekte gelten aufgrund der geringen Eindringtiefe der elektrischen Felder als unwahrscheinlich. Dokumentiert wurden lokale Hautrötungen und teils auch Verbrennungen.


Im Distanzmodus erzeugen moderne Geräte bei erfolgreicher Sondenpositionierung je nach Modell eine effektive Stromstärke von 1,2–1,5 mA und eine maximale Spannung von 840–2.600 V, die den Körper erreichen. Die Impulse werden je Auslösung für 5 s abgegeben und können durch Halten des Abzugs verlängert oder manuell über den Sicherungsschalter abgebrochen werden. Es werden vorwiegend Aα-Motoneurone stimuliert, was zu einer temporären motorischen Blockade führt. In einer großen Analyse unter Praxisbedingungen war der Einsatz in rund 2 von 3 Einsätzen effektiv. 

Distanzmodus: Medizinische Risiken im Überblick

Mechanische Folgen und Sturzverletzungen

Lokale Hautverletzungen, oberflächliche Verbrennungen und Schürfwunden sind regelmäßig zu beobachten. Bei unkontrollierten Stürzen infolge neuromuskulärer Lähmung können jedoch auch schwere Kopfverletzungen auftreten. Das Risiko eines tödlichen DEIG-induzierten Sturzes wird auf etwa 5,3 Fälle pro 1 Mio. Einsätze geschätzt.

Kardiale Effekte

In Studien mit Schweinemodellen (ohne CIED) konnte bei herznaher Sondenposition (Abstand zum Herzen 6,2–100 mm) und abhängig von der Eindringtiefe teils Kammerflimmern ausgelöst werden. Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den Menschen ist jedoch umstritten. Zu den Hauptlimitationen der Studien zählen laut Review das häufig geringere Körpergewicht der verwendeten Schweine mit kürzerem Sondenabstand zum Herzen, abweichende elektrophysiologische Eigenschaften des Schweineherzens und unrealistische experimentelle Bedingungen. In mehreren Humanstudien mit Freiwilligen konnten bislang keine malignen Arrhythmien nachgewiesen werden.


Todesfälle durch DEIG-Einsatz, die nicht sturzbedingt sind, sind retrospektiv schwer zu bewerten, da häufig weitere Einflussfaktoren wie z. B. Drogeneinfluss vorliegen. In einer Analyse von 118 Todesfällen (Kollaps innerhalb von 15 min nach DEIG-Einsatz) ließ sich gemäß der Forschenden 1 Fall einer möglichen DEIG-induzierten Herzrhythmusstörung zuordnen. In einer anderen Studie mit 2 Todesfällen bei rund 1.200 DEIG-Einsätzen konnte kein Zusammenhang mit Arrhythmien festgestellt werden. Im Review wird daher von einem geringen kardialen Todesrisiko ausgegangen.

Device-Interaktionen

Prinzipiell kann ein DEIG-Einsatz bei Personen mit aktiven kardialen Implantaten (CIED) zu Tachykardien und zu einer Detektion durch den Schrittmacher oder implantierbaren Defibrillator (ICD) führen. In der Regel bleibt dies bei kurzer Exposition ohne Konsequenz, wie auch aus Einzelfall- und Fallserienberichten hervorgeht. Elektromagnetische Interferenzen (EMI) zwischen DEIG und Devices sind möglich und können atriales oder ventrikuläres Oversensing verursachen. In Abhängigkeit von der Geräteprogrammierung kann dies gegebenenfalls zu inadäquaten ICD-Schockentladungen führen. Bei der Programmierung eines ICDs sollte grundsätzlich darauf geachtet werden, dass inadäquate Schocks so gut wie möglich vermieden werden. Insgesamt wird das zusätzliche Risiko für Personen mit CIED bei kurzem DEIG-Einsatz als gering eingeschätzt.

Muskuläre Effekte

Es gibt Einzelfallberichte über Rhabdomyolyse nach DEIG-Einsatz, bei denen allerdings stets auch andere Faktoren wie Intoxikation oder starke körperliche Belastung als Ursache in Betracht kommen. Studien mit Probanden zeigten bei längerer Anwendung nur milde laborchemische Veränderungen (CK, Laktat, pH-Wert) ohne klinische Relevanz. Kurzzeitige Atembeeinträchtigungen oder Apnoephasen wurden vereinzelt während der DEIG-Exposition beobachtet, führten aufgrund der kurzen Impulsdauer aber zu keiner relevanten Hypoxie.

Zusammenfassung

 

Im Review werden abschließend die wichtigsten Aspekte folgendermaßen aufgeführt:

 

  • Relevante Verletzungen können durch Sonden und Stürze hervorgerufen werden.
  • Eine schnelle myokardiale Stimulation mit Auslösung maligner Arrhythmien ist möglich, das Risiko ist in der Praxis aber sehr gering.
  • Elektromagnetische Interferenz mit Devices ist möglich, hat bei kurzer DEIG-Anwendung aber meist keine klinische Konsequenz.
  • Effekte auf die Atemmuskulatur sind nicht auszuschließen, würden aber nur bei prolongiertem Einsatz zu relevanter Hypoxie führen.
  • Zu Risikogruppen, die großzügig medizinisch vorgestellt werden sollten, gehören psychisch erkrankte und intoxikierte Personen, die auch überproportional häufig von DEIG-Einsätzen betroffen sind, sowie Schwangere, Kinder und Personen mit CIED. Die Datenlage bezüglich des Risikos für diese Gruppen ist noch gering, und große randomisierte, kontrollierte Studien können aus ethischen Gründen nicht ohne Weiteres durchgeführt werden.
  • Eine medizinische Überwachung ist bei beschwerdefreien Personen ohne Begleiterkrankungen nicht routinemäßig notwendig.

Update und Kommentar der Review-Autoren 

 

Der zunehmende Einsatz von Distanzelektroimpulsgeräten (DEIG) im polizeilichen Kontext wirft berechtigte Fragen zu potenziellen gesundheitlichen Risiken auf, insbesondere hinsichtlich kardialer Effekte und möglicher Gefährdung vulnerabler Gruppen. 

Ergänzende Studien zum Thema

Kleine Studien an gesunden Probanden beobachteten bisher keine akuten kardialen Komplikationen, vor allem keine Auslösung von Arrhythmien.2 Neben diesen existieren auch retrospektive Analysen realer Einsätze.3,4 Hierbei erschweren Begleitfaktoren wie Substanzintoxikationen, körperlicher Stress oder psychiatrische Ausnahmezustände die Bewertung. Insgesamt scheinen schwere Folgen aber selten aufzutreten. Prospektive Studien bei Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten wären wissenschaftlich wünschenswert, sind aus ethischen Gründen jedoch kaum durchführbar.

Untersuchung von Risikogruppen auch ohne Symptome

Insbesondere bei Trägerinnen und Trägern kardialer Implantate (CIED) ist eine postexpositionelle Device-Abfrage auch bei Beschwerdefreiheit empfehlenswert. Fallberichte zeigten, dass Oversensing und inadäquate Therapien bei prolongiertem oder wiederholtem DEIG-Einsatz prinzipiell möglich sind.5,6 Die Schwelle für eine diagnostische Kontrolle sollte bei diesen Patientengruppen niedrig sein.

Kardiale Diagnostik nach DEIG-Einsatz

Bei Symptomen wie Palpitationen, Synkopen oder Brustschmerzen sollte eine Basisdiagnostik mit 12-Kanal-EKG, ggf. Troponin und Echokardiographie erfolgen. Das gleiche gilt bei Personen mit bekannter struktureller Herzerkrankung, da Effekte von DEIG in dieser Hochrisikogruppe kaum untersucht sind. Gesunde, asymptomatische Personen benötigen in der Regel keine kardiologische Abklärung.

DEIG im Vergleich zu ausgewiesenen Kontaktelektroschockern 

Kontaktelektroschocker wirken lokal nach Aufsetzen auf die Haut und erzeugen vorwiegend Schmerzreize, während DEIG im Distanzmodus eine neuromuskuläre Lähmung durch hochfrequente Impulse über abgefeuerte Sonden auslösen. In Bezug auf CIED zeigte eine aktuelle Studie zu Kontaktelektroschockern im Modell regelhafte Interferenzen.Hierbei muss allerdings auch das Design des Modells bedacht werden: Die Kontaktelektroschocker sind in unmittelbarer Nähe (auf dem CIED-Device) an einer Thoraxhälfte eines Schweins benutzt worden, was allein aufgrund der Nähe von CIED und Elektroschocker Interferenzen erwarten lässt. Im Gegensatz hierzu wurde eine Interferenz bei DEIG-Einsatz im Distanzmodus im Schweinemodell nicht regelhaft beobachtet. Allerdings existieren einzelne Fallberichte über Oversensing nach DEIG-Anwendung beim Menschen und über eine inadäquate ICD-Schockabgabe nach wiederholtem DEIG-Einsatz.5,6 Somit sind inadäquate Schockabgaben oder Synkopen infolge einer Device-Inhibition prinzipiell möglich, wären aber nur bei verlängerter oder wiederholter Exposition zu erwarten.

 

Der entscheidende Unterschied zwischen Kontaktelektroschocker und DEIG liegt auch im Einsatzkontext: DEIG werden ausschließlich von geschultem Personal unter definierten Bedingungen und nach professioneller Einschätzung einer Gefährdungslage angewandt, was das Risiko begrenzt und die Nachverfolgbarkeit ermöglicht. Dieses steht im Gegensatz zu möglicherweise unkontrolliert eingesetzten, frei erhältlichen Kontaktelektroschockern. Deren Einsatz ist generell nicht mit dem der DEIG-Anwendung zu vergleichen. 

Bessere Datenqualität durch enge Zusammenarbeit

Ein strukturiertes Register zur medizinischen Erfassung von DEIG-Einsätzen wäre ein erster Schritt, um Forschungslücken zukünftig zu schließen. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Polizei, Notaufnahmen und kardiologischen Fachabteilungen könnte helfen, Datenqualität und Versorgungsstandard gemeinsam zu verbessern.

DEIG: Kardiologische Bewertung

Die kurzzeitige Anwendung von DEIG durch geschultes Personal führt nach aktuellem Kenntnisstand nur selten zu kardial relevanten Ereignissen. Bei Risikopersonen, beispielsweise bei Trägern kardialer Implantate, strukturellen Herzerkrankungen oder Intoxikationen, bestehen jedoch Unsicherheiten. In diesen Fällen kann eine ärztliche Vorstellung erforderlich sein. Da im polizeilichen Einsatzkontext oft keine risikoärmeren Alternativen zur Verfügung stehen, kann der gezielte Gebrauch von DEIG in bestimmten Situationen gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist ein verantwortungsvoller Umgang, eine kardiologisch sensibilisierte Schulung des Personals, sowie eine strukturierte Erfassung und Auswertung aller Einsätze, insbesondere im Hinblick auf potenzielle kardiovaskuläre Komplikationen.

Zur Person

Dr. Jana Ackmann

Dr. Jana Ackmann ist Assistenzärztin an der Klinik III für Innere Medizin für allgemeine und interventionelle Kardiologie, Elektrophysiologie, Angiologie, Pneumologie und internistische Intensivmedizin der Uniklinik Köln. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt u. a. auf der Elektrophysiologie.

Zur Person

Prof. Daniel Steven

Prof. Daniel Steven ist Leiter der Elektrophysiologie am Herzzentrum der Uniklinik Köln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u. a. auf spezieller Rhythmologie, invasiver Elektrophysiologie und aktiven Herzrhythmusimplantaten. Zudem ist er bei der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie Past-Sprecher der Arbeitsgruppe Elektrophysiologie und Rhythmologie (AGEP).

Referenzen

  1. Ackmann J, Steven D. Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG) [Conducted energy weapons (CEW)]. Herzschrittmacherther Elektrophysiol. 2024;35(4):312-317. doi:10.1007/s00399-024-01049-3
  2. Vilke G, Chan T, Bozeman WP, Childers R. Emergency Department Evaluation After Conducted Energy Weapon Use: Review of the Literature for the Clinician. J Emerg Med 2019;57:740–6.
  3. Bozeman WP, Teacher E, Winslow JE. Transcardiac conducted electrical weapon (TASER) probe deployments: incidence and outcomes. J Emerg Med 2012;43:970–5.
  4. Swerdlow CD, Fishbein MC, Chaman L, Lakkireddy DR, Tchou P. Presenting rhythm in sudden deaths temporally proximate to discharge of TASER conducted electrical weapons. Acad Emerg Med Off J Soc Acad Emerg Med 2009;16:726–39.
  5. Barbhaiya CR, Moskowitz C, Duraiswami H, Jankelson L, Knotts RJ, Bernstein S, et al. Inappropriate ICD Shock as a Result of TASER Discharge. JACC Case Rep 2020;2:1166–9.
  6. Vanga SR, Bommana S, Kroll MW, Swerdlow C, Lakkireddy D. TASER conducted electrical weapons and implanted pacemakers and defibrillators. Annu Int Conf IEEE Eng Med Biol Soc IEEE Eng Med Biol Soc Annu Int Conf 2009;2009:3199–204.
  7. Wegner FK, Breuer L, Wolfes J, Korthals D, Ellermann C, Martinovic M, et al. Effects of handheld electro-shockers on cardiac implantable electronic devices. Heart Rhythm 2025;22:1337–44.

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