50-Jähriger mit wiederholtem Brustschmerz – keine Stenose, sondern?

Dass Betablocker nach Herzinfarkt von klinischem Nutzen sind, haben Studien Ein 50-jähriger Patient wird wegen Brustschmerz und Ohnmachtsanfällen vorstellig. Eine ausgeprägte Stenose können die Kardiologen in der Koronarangiografie allerdings nicht feststellen. Stattdessen finden sie einen auffälligen Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum des Mannes.

Von Veronika Schlimpert

 

27.01.2023

Nicht immer steckt hinter einer Angina-Symptomatik eine koronare Herzerkrankung im klassischen Sinne. Gar nicht so selten können entsprechende Beschwerden auch durch bestimmte Lebensstilfaktoren ausgelöst werden, wie an dem folgenden Fallbericht, über den Dr. Caifeng Fan und Kollegen im JAMA Internal Medicine berichten, deutlich wird.

 

Ein 50-jähriger Patient wird zunächst in der gastrointestinalen Abteilung der Zhengzhou Universitätsklinik vorstellig, weil er unter Oberbauchbeschwerden, Schwindel und Ohnmachtsanfällen leidet. Entsprechende Brustbeschwerden habe er schon seit zwei Jahren, berichtet der Mann. Auffällig an seiner Anamnese ist der seit 20 Jahren bestehende übermäßige Alkoholkonsum (im Schnitt 250 Gramm pro Woche). Wie der Patient weiter ausführt, treten die Beschwerden für gewöhnlich einige Stunden (6–20 Stunden) nach dem Alkoholkonsum auf. In Ohnmacht fällt er nur, wenn er sehr viel getrunken hat.

Auffällige ST-Streckenhebungen, aber keine Stenose

Das initiale EKG zeigt einen hochgradigen AV-Block und Extrasystolen. Außerdem lassen sich in den Ableitungen II, III und aVF ST-Streckenhebungen (4–6 mm) nachweisen, in V2 und V6 sind ST-Streckensenkungen feststellbar. Zusätzlich sind ausgeprägte ST-Streckenhebungen (4–15 mm) in II, III, aVF, V2 bis V6 erkennbar. Der Patient befindet sich ansonsten im Sinusrhythmus, mit Ausnahme kurzer Episoden von ventrikulären Tachykardien (VT).

 

Aufgrund des auffälligen EKG-Befundes wird der Mann sofort in die kardiologische Abteilung verlegt. Dort wird eine Koronarangiografie vorgenommen. Allerdings können die zuständigen Kardiologen um Fan keine ausgeprägten Verengungen feststellen. In der LAD und RCA finden sich nur 10%ige Stenosen. Im linken Hauptstamm und in der RCX sind keinerlei Engstellen feststellbar. Die Troponin- und Kaliumwerte bei Klinikaufnahme waren ebenfalls unauffällig.

Alkohol als wahrscheinliche Ursache

Fan und sein Team gehen deshalb davon aus, dass der Mann an einer sog. Prinzmetal-Angina leidet. Dabei handelt es sich um eine Variante der Angina, die mit transienten ST-Streckenhebungen einhergeht, die aber nicht durch eine Stenose, sondern durch Spasmen in den Koronararterien ausgelöst wird. Im Gegensatz zur klassischen Angina, die oft unter Anstrengung auftrete, entstehe eine Prinzmetal-Angina meist in Ruhe und könnte durch Kälte, Kaffee, emotionaler Unruhe, Alkohol oder anderer Faktoren verursacht werden, erläutern die Kardiologen die Zusammenhänge. Nicht selten findet sich Alkohol als Auslöser. So hatten in einer Studie von Takizawa et al. 26,8% der Patienten mit einer Variant-Angina im Vorfeld Alkohol konsumiert.

 

Zwar sind die Mechanismen, wie Alkohol eine solche Form der Angina auslöst, noch nicht vollständig geklärt, wie die Autoren erläutern. Vieles spricht aber dafür, dass Alkohol durch eine vaskuläre endotheliale Dysfunktion Koronarspasmen triggert. Einen solchen Mechanismus vermuten die Kardiologen auch bei ihrem 50-jährigen Patienten. Durch das langjährige Rauchen und den andauernden Alkoholkonsum könne er eine endotheliale Dysfunktion entwickelt haben. Fan und Kollegen könnten sich zudem vorstellen, dass die hohe Prävalenz einer Aldehyd-Dehydrogenase 2-Defizienz in der ostasiatischen Bevölkerung diese für das Auftreten von Alkohol-induzierten Vasospasmen prädestiniert.

Alkoholverzicht ist die wichtigste Maßnahme

Nach der Diagnosestellung wird der Patient mit dem Kalziumantagonisten Diltiazem behandelt, worunter seine Beschwerden nachlassen. Außerdem wird bei dem Mann eine Behandlung mit Atorvastatin, Aspirin und Clopidogrel begonnen. Besonders relevant für die weitere Prognose ist, dass der Patient den Alkoholkonsum einstellt. Das macht er auch, ebenso hört er das Rauchen auf. Während der zweijährigen Nachsorge hat der Mann keine weiteren Angina-Beschwerden mehr.

 

Fazit für die Praxis

  • Wenn Angina-Beschwerden innerhalb von 24 Stunden nach Alkoholkonsum auftreten, sollte man an eine Prinzmetal-Angina denken.

  • Die dadurch ausgelösten Vasospasmen können mehrere Koronarien betreffen, und mit entsprechenden EKG-Veränderungen und Rhythmusstörungen einhergehen (die Ärzte gehen davon aus, dass bei ihrem Patienten ein Spasmus in der RCA den AV-Block und die transienten ST-Streckenhebungen in den inferioren Ableitungen ausgelöst hat, die beteiligten LAD-Arterien könnten die umfassenden ST-Streckenhebungen in den anterioren und inferioren Ableitungen sowie die VT-Episoden verantworten).

  • Die zentrale Behandlung im Falle einer Alkohol-induzierten Prinzmetal-Angina ist das Einstellen des Alkoholkonsums. Wenn wie in diesem Falle durch die Prinzmetal-Angina schwerwiegendere kardiovaskuläre Komplikationen entstanden sind, z.B. VT oder ein vollständiger AV-Block, kann über den Beginn einer antiischämischen Behandlung und eine Therapie gegen Koronarspasmen (Kalziumantagonisten) nachgedacht werden. 

  • Die meisten Patienten mit entsprechenden Angina-Beschwerden haben eine gute Prognose, wenn die Maßnahmen (Alkoholentzug) umgesetzt werden.

Literatur

Fan C et al. Recurrent Angina After Alcohol Consumption. JAMA Intern Med. 2023. doi:10.1001/jamainternmed.2022.5411

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