Neue US-Leitlinie akutes Koronarsyndrom (ACS)

 

ACC-Kongress 2025 | ACC/AHA-Guidelines: Die US-amerikanischen Leitlinien zum Management des akuten Koronarsyndroms wurden aktualisiert.1 Analog zu der ESC-Leitlinie2 von 2023 wurde die Trennung zwischen STEMI (ST-Hebungs-Infarkt) und NSTEMI (Nicht-ST-Hebungs-Infarkt) aufgehoben, so dass nun eine gemeinsame Leitlinie vorliegt. Hier werden die wichtigsten Neuerungen gegenüber der Vorgängerversion aus dem Jahr 2013 vorgestellt.


Prof. Tommaso Gori (Universitätsmedizin Mainz) kommentiert

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar  

Prof. Tommasso Gori

Rubrikleiter Vaskuläre Herzerkrankungen

 

22.04.2025

 

Bildquelle (Bild oben): David Harmantas / Shutterstock.com

In den USA treten jährlich schätzungsweise 805.000 Herzinfarkte auf, wobei es sich um 605.000 Erstinfarkte und 200.000 Rezidiv-Ereignisse handelt. Dank Reperfusion und evidenzbasierter Sekundärprävention ist die jährliche Todesrate bei koronaren Herzkrankheiten von 2011 bis 2021 um 15 % gesunken. Dennoch bleiben Mortalität und Morbidität auf einem hohen Niveau, das zukünftig weiter reduziert werden soll. Außerdem soll das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede gestärkt werden. Obwohl Brustschmerz nach wie vor das häufigste Symptom des akuten Herzinfarktes darstellt, leiden Frauen häufiger als Männer unter atypischen Begleitsymptomen. Möglicherweise aus diesem Grund erhalten Frauen mit Herzinfarkt gegenüber Männern häufiger keine korrekte Diagnose und auch keine adäquate Therapie. Diese Ungleichheiten zu beseitigen und die Versorgung zu verbessern, gehört zu den zentralen Herausforderungen der Zukunft.


Diese Leitlinie konzentriert sich auf die Akutbehandlung des akuten Koronarsyndroms (ACS), einschließlich instabiler Angina pectoris, NSTEMI und STEMI, die aus einer atherosklerotischen Plaque-Ruptur oder Plaque-Erosion und anschließender Thrombose resultieren. Das Langzeit-Management von Patientinnen und Patienten nach ACS, bei denen eine stabile koronare Erkrankung vermutet wird, sollte über ein Jahr hinaus andauern und wird in der Guideline Chronische Koronarerkrankung (Chronic Coronary Disease, CCD) beschrieben.3

Interventionelle Therapie des ACS

 

Die PCI ist die empfohlene Reperfusionstherapie bei Personen mit STEMI und ischämischen Symptomen und soll innerhalb von 90 Minuten erfolgen (erster Kontakt bis zur Geräte-Aktivierung). Der radiale Zugang ist gegenüber dem femoralen Zugang zu bevorzugen, da dieser mit weniger Todesfällen, Blutungen an der Zugangsstelle, Bedarf an Transfusionen und akuten Nierenschäden verbunden ist (Klasse-1-Empfehlung).


Bei koronaren Mehrgefäßerkrankungen wird die Strategie der vollständigen Revaskularisation sowohl bei Personen mit STEMI als auch NSTEMI empfohlen (Klasse-1-Empfehlung). Die vollständige Revaskularisation der infarktbezogenen Läsionen (Culprit-Läsionen) und weiteren stenosierenden Läsionen (Non-Culprit-Läsionen) kann entweder in einem Schritt oder in mehreren Stufen erfolgen, wobei die Einmal-Komplett-Prozedur präferiert wird. Ausgenommen ist die Notfall-Revaskularisation von Personen mit kardiogenem Schock – hier soll nur die Culprit-Läsion behandelt werden.


Die Verwendung der intravaskulären Bildgebung (IVUS oder OCT) während der PCI wurde in Anbetracht der aktuellen Studienlage mit einer Klasse-1-Empfehlung versehen. Diese Empfehlung gilt für linke Hauptläsionen oder komplexe Läsionen.

Antithrombotische Therapie

 

Die aktuelle Leitlinie betont den Stellenwert der dualen Thrombozytenaggregationshemmer-Therapie (DAPT), bestehend aus ASS und P2Y12-Hemmern. Ticagrelor oder Prasugrel wird gegenüber Clopidogrel nach der PCI bevorzugt empfohlen.


Die Empfehlungen zur DAPT richten sich nach dem Blutungsrisiko. Bei Personen ohne hohem Blutungsrisiko wird eine DAPT über eine Dauer von mindestens 12 Monaten nach der Krankenhaus-Entlassung empfohlen (Klasse-1-Empfehlung).

 

Bei Personen mit hohem Blutungsrisiko kommen verschiedene De-Eskalationsstrategien in Betracht:

 

  • Wechsel auf eine P2Y12-Monotherapie mit Ticagrelor nach 1 Monat nach PCI (Klasse-1-Empfehlung)
  • Bei Bedarf einer Langzeit-Antikoagulation: Absetzen von ACC innerhalb von 1–4 Wochen nach PCI und Fortsetzung der P2Y12-Monotherapie (vorzugsweise mit Clopidogrel) (Klasse-1-Empfehlung)
  • Bei hohem Risiko für GI-Blutungen: Zusätzliche Gabe eines Protonenpumpeninhibitors (Klasse-1-Empfehlung)

Lipidmanagement

 

Die intensive (hochdosierte) Statintherapie wird für alle Personen mit ACS als Prävention gegen erneute schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) empfohlen (Klasse-1-Empfehlung). Die gleichzeitige Ezetimib-Gabe kann in Erwägung gezogen werden. Bei erhöhtem LDL-C-Spiegel trotz maximal verträglicher Statintherapie werden weitere Lipidsenker, wie Ezetimib, Evolocumab, Alirocumab, Inclisiran oder Bempedoinsäure, abhängig vom LDL-C-Spiegel empfohlen:

 

  • LDL-C-Spiegel ≥ 70 mg/dl (1,8 mmol/l): Weitere Lipidsenker sind empfohlen (Klasse-1-Empfehlung)
  • LDL-C-Spiegel 55 bis < 70 mg/dl (1,8 mmol/l): Weitere Lipidsenker sind angemessen (Klasse-IIa-Empfehlung)


Nach der Krankenhaus-Entlassung wird ein engmaschiges Monitoring 4–8 Wochen nach Beginn der lipidsenkenden Therapie empfohlen sowie ggf. eine Dosis-Anpassung. Weiterhin gilt die Empfehlung einer kardialen Rehabilitation.

Kardiogener Schock

 

Bei Personen mit kardiogenem Schock wird zur sofortigen Revaskularisierung geraten (Klasse-1-Empfehlung). Unter Berücksichtigung der positiven Daten der Danger-SHOCK-Studie erhält der Einsatz einer Mikroaxialpumpe (ImpellaCP) eine Klasse-2a-Empfehlung, die besagt, dass die mechanische Kreislaufunterstützung bei ausgewählten Patientinnen und Patienten mit STEMI und schwerem oder refraktärem kardiogenen Schock eingesetzt werden kann, um Todesfälle zu verhindern.

Expertenkommentar

 

Die neuen ACS-Leitlinien beinhalten folgende wichtige Konzepte:

 

  1. Eine vollständige Revaskularisation ist das Ziel. Wie und wann dieses Ziel erreicht wird, liegt jedoch im Ermessen des Operateurs/der Operateurin. Die einzige klare Evidenz – aus einer in Deutschland initiierten Studie – zeigt, dass im Schockzustand die Behandlung auf die verantwortliche Läsion beschränkt werden sollte.
  2. Die Intensität und Dauer der DAPT-Therapie sollte ebenfalls anhand der individuellen Patientencharakteristika gewählt werden. De-Eskalationsstrategien verdienen mittlerweile den Status einer validen Alternative.
  3. Eine konsequente sekundärpräventive Therapie, inkl. aggressiver Lipidsenkung, ist von zentraler Bedeutung.
  4. Eine invasive Diagnostik und Therapie sollte der Standardansatz sein. Es gibt jedoch relative Kontraindikationen für ein routinemäßig invasives Vorgehen beim ACS, darunter der Patientenwille, schwere Nierenerkrankungen, fortgeschrittene Demenz usw.

Zum Autor

Prof. Tommaso Gori

Prof. Tommaso Gori ist als DZHK-W3-Professor für vaskuläre und myokardiale Interaktionen tätig sowie als Leiter des Herzkatheterlabors in der Universitätsmedizin Mainz. Seine Forschungsgebiete umfassen die koronaren Herzerkrankungen, bildgebende Verfahren sowie die kardiovaskuläre Pharmakologie. 

Prof. Tommaso Gori

Referenzen

 

  1. Rao SV et al. 2025 ACC/AHA/ACEP/NAEMSP/SCAI Guideline for the Management of Patients With Acute Coronary Syndromes: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Joint Committee on Clinical Practice Guidelines. Circulation. 2025 Apr;151(13):e771-e862. doi: 10.1161/CIR.0000000000001309. Epub 2025 Feb 27. Erratum in: Circulation. 2025 Apr;151(13):e865. doi: 10.1161/CIR.0000000000001328. PMID: 40014670.
  2. Byrne RA et al. ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J Acute Cardiovasc Care. 2024 Feb 9;13(1):55-161
  3. Virani SS et al. 2023 AHA/ACC/ACCP/ASPC/NLA/PCNA Guideline for the Management of Patients With Chronic Coronary Disease: A Report of the American Heart Association/American College of Cardiology Joint Committee on Clinical Practice Guidelines. Circulation. 2023 Aug 29;148(9):e9-e119. doi: 10.1161/CIR.0000000000001168.

Das könnte Sie auch interessieren

Start der 91. Jahrestagung der DGK

DGK-Jahrestagung 2025 | Eröffnungspressekonferenz: Prof. Landmesser und Prof. Thiele über Schwerpunkte der Tagung und Forderungen an die Politik.

Aus für die IABP?

ACC-Kongress 2025 | Altshock-2: Vorzeitiger Studienabbruch wegen ausbleibendem Nutzen der IABP. Von PD Dr. A. Dietl und Prof. L. Maier.

Basic Science im Interview

Prof. N. Hübner und Prof. J. Backs sprechen über das Konzept und die Ziele des Translational AngioCardioScience (HI-TAC).

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen