Neue gemeinsame ESC-Leitlinie PAAD

 

ESC-Kongress 2024 | ESC-Guidelines: Erstmalig wurden die beiden Leitlinien periphere arterielle Verschlusskrankheiten (pAVK) und Aortenerkrankungen zu einer neuen gemeinsamen Leitlinie „Periphere arterielle und Aortenerkrankungen (PAAD)“ zusammengefasst. Sprecherin Lucia Mazzolai (Lausanne, Schweiz) gab einen Überblick über die Updates zum Management der pAVK und Jose Fernando Rodriguez Palomares (Barcelona, Spanien) stellte die neuen Empfehlungen zu Aortenerkrankungen vor.


Prof. Christos Rammos und Prof. Hans-Joachim Schäfers kommentieren.

Von:

Dr. Heidi Schörken

Redaktion HERZMEDIZIN.de

 

Prof. Christos Rammos

Leiter der Rubrik Angiologie

Universitätsklinikum Essen

 

Prof. Hans-Joachim Schäfers

Westpfalz-Klinikum

 

19.09.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Explode / Shutterstock.com

Neue gemeinsame ESC-Leitlinie PAAD

 

Die neue ESC-Guideline PAAD (Peripheral Arterial and Aortic Diseases) aktualisiert und vereinigt die Leitlinien für periphere arterielle Verschlusskrankheiten (pAVK) aus dem Jahr 2017 und für Aortenerkrankungen aus dem Jahr 2014 mit der Begründung, dass Aorta und periphere Arterien sind integrale Bestandteile desselben Arteriensystems sind.1,2


„Beide Erkrankungen weisen ähnliche Risikofaktoren auf und beeinflussen sich gegenseitig. Die neue gemeinsame ESC-Leitlinie PAAD bietet einheitliche und standardisierte Empfehlungen, die eine kohärente und koordinierte Behandlung der verschiedenen Gefäßerkrankungen ermöglichen, um die Behandlungsergebnisse insgesamt zu verbessern“. Lucia Mazzolai (Lausanne, Schweiz)

 

pAVK: Neue Empfehlungen

 

Die periphere arterielle Verschlusskrankheiten (pAVK) ist weltweit verbreitet und betrifft 113 Millionen Menschen im Alter von über 40 Jahren. Die globale Prävalenz liegt bei 1,5 % und nimmt mit dem Alter zu (15-20 % der über 70-Jährigen und 20-30 % der über 80-Jährigen sind betroffen). Darüber hinaus ist die Prävalenz bei Frauen höher als bei Männern. Da die Erkrankung häufig asymptomatisch verläuft, bleibt die pAVK in vielen Fällen unerkannt. Insbesondere viele Frauen mit pAVK werden nicht diagnostiziert und behandelt.3

Screening, Diagnose und Klassifizierung

Personen mit pAVK-Risikofaktoren (Rauchen, Diabetes mellitus, höheres Alter) sollen regelmäßig auf pAVK gescreent werden. Die Messung des Knöchel-Arm-Index (ABI) wird als initialer Diagnose-Test empfohlen. Als Diagnose-Kriterium für die pAVK dient ein ABI-Wert ≤ 0,9. Zur Bestätigung der Diagnose wird die Duplexsonographie als erstes bildgebendes Verfahren empfohlen. Frauen mit pAVK sind häufiger asymptomatisch oder weisen atypische Symptome auf, daher ist das pAVK-Screening insbesondere bei Frauen essenziell.
Die pAVK wird nach den klinischen Charakteristika in 3 Kategorien unterteilt: asymptomatisch, symptomatisch und chronische Gliedmaßen-bedrohende Ischämie. Das Management der pAVK unterscheidet sich weiterhin, je nachdem ob assoziierte Wunden vorliegen oder nicht.

Multimodale Therapie

Personen mit pAVK haben ein 4-5-fach erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse gegenüber der Normalbevölkerung. Ziele des pAVK-Managements umfassen die Risikoreduktion für schwerwiegende Gefäßereignisse und für Erkrankungen der unteren Extremitäten (akute oder chronische Ischämie, Amputation und Revaskularisation) als auch die Verbesserung der Lebensqualität. Zur Erreichung der Ziele soll eine multimodale Therapie bestehend aus Pharmakotherapie, Bewegung und Lebensstil-Maßnahmen erfolgen.

Neue Empfehlungen für die antithrombotische Therapie

Bei einer symptomatischen pAVK wird eine Antiplättchen-Monotherapie mit ASS (75-160 mg od) oder Clopidogrel (75 mg od) empfohlen. Bei Personen mit pAVK und hohem Ischämie-Risiko, aber geringem Blutungsrisiko soll die Kombination aus Rivaroxaban (2,5 mg bid) und ASS (100 mg od) eingesetzt werden. Neu ist, dass die Rivaroxaban-ASS-Kombination auch nach der Revaskularisation bei geringem Blutungsrisiko empfohlen wird, aber bei hohem Blutungsrisiko die DAPT (duale Thrombozytenaggregationshemmung).

Neue Empfehlungen zur lipidsenkenden Therapie und Bewegung

Bei Patientinnen und Patienten mit arteriosklerotischer pAVK wird ein LDL-C-Ziel von < 1,4 mmol/l (55 mg/dl) und eine Senkung des LDL-C-Wertes um > 50 % gegenüber dem Ausgangswert empfohlen. Diese Reduktionen sollten so schnell und so aggressiv wie möglich erreicht werden.
Die Empfehlungen zu Lebensstilmaßnahmen nehmen den gleichen Stellenwert ein wie die pharmakologische Therapie. Insbesondere das körperliche Training gehört zur First-Line-Therapie der pAVK unabhängig von Revaskularisationen. Das Gehen wird als First-Line-Maßnahme empfohlen. Alternative Übungen umfassen Krafttraining, Arm-Kurbeltraining und Radfahren. Die Übungen sollen mindestens 3 x pro Woche, mit einer 30-minütigen Dauer über 12 Wochen durchgeführt werden.

Regelmäßige Nachbetreuung

Da es sich bei der pAVK um eine chronische Krankheit handelt, sind lebenslange regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen notwendig. Mindestens einmal jährlich sollten folgende Parameter erfasst werden: klinischer und funktioneller Status, Adhärenz zur Medikation, Symptome, Risikofaktoren und ggf. Duplexsonografie.

 

Expertenkommentar von Prof. Christos Rammos

Die aktuellen Leitlinien stellen eine Evolution der zuletzt publizierten Empfehlung von 2017 dar. Neben dem Screening wird eindrücklich auf das erhöhte kardiovaskuläre Risiko der Patientengruppe mit pAVK eingegangen: Patientinnen und Patienten mit pAVK haben ein 4-5 fach erhöhtes Risiko für kardiale Ereignisse (MACE), zerebrovaskuläre Events und auch Extremitäten-Ereignisse (MALE).

 

Als wesentliche Kernpunkte werden die konservative Therapie und die Pharmakotherapie herausgearbeitet, wobei das Gehtraining eine herausragende Rolle einnimmt und in seiner Modalität und dem Benefit für die Patientinnen und Patienten beschrieben wird. Während - basierend auf aktuellen Studiendaten - die antithrombotische Therapie Eingang in die Leitlinien gefunden hat, wird für die Lipidsenkung der ATP-Citrat-Lyase-Inhibitor nur bei Statinintoleranz empfohlen. Dies hat jedoch bei den zeitgleich publizierten Leitlinien für das chronische Koronarsyndrom zwecks Erreichung der Zielwerte bei maximal tolerierter Statin-Dosis Eingang gefunden und wird auch von einigen Zentren bei pAVK genutzt.4,5

 

Die Empfehlung zur regelmäßigen Nachkontrolle der pAVK-Patientinnen und -Patienten kann nur unterstrichen werden, da bei dieser Patientengruppe, auch in Deutschland,  eine deutliche Unterversorgung evident ist.6 Ob zukünftig dezidierte Programme wie DMP oder ähnliches zu einer Verbesserung der Versorgung führen, muss noch evaluiert werden.

 

Aortenerkrankungen: Neue Empfehlungen

 

Die Gesamtprävalenz von Aortenerkrankungen einschließlich Aneurysmen und Dissektionen wird in der Allgemeinbevölkerung auf etwa 1 bis 3 % geschätzt, mit einer Prävalenz von bis zu 10 % in älteren Altersgruppen. Im Jahr 2019 gab es weltweit 172.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Aortenaneurysmen mit steigender Tendenz.

Nomenklatur und Bildgebung

Die Diagnose und Bewertung von Aortenaneurysman hängen von standardisierten Messungen ab und Therapie-Entscheidungen basieren vor allem auf dem Aorten-Durchmesser. Daher enthält die aktualisierte Leitlinie die Nomenklatur der Aorten-Segmente. Die transthorakale Echokardiographie ist die Firstline-Bildgebung, aber auch CT (Computertomographie) und kardiale MRT (Magnetresonanztomographie) können als bildgebende Verfahren genutzt werden abhängig von der Verfügbarkeit und den Erfahrungen der jeweiligen Zentren.

Risikofaktoren und OP-Empfehlungen

Neben dem Aorten-Durchmesser gibt es weitere Risikofaktoren für Aortenerkrankungen, wie u. a. Körpergröße, Alter, unkontrollierte Hypertonie und eine Aortenlänge > 11 cm. Aufgrund der größenabhängigen Normwerte für die verschiedenen Segmente der Aorta sollten Index-Methoden und Nomogramme genutzt werden. Bei einem Aneurysma der Aorta ascendens und dem Vorliegen bestimmter Risikofaktoren wird eine OP schon bei einem maximalen Durchmesser ≥ 50 mm empfohlen. Weiterhin wird ein klappenerhaltender Aortenwurzelersatz in erfahrenen Zentren empfohlen. Bei Vorliegen bestimmter genetisch definierter Bindegewebserkrankungen, anderer Risikofaktoren und einem Aneurysma der Aorta ascendens sollte eine OP bei einem Durchmesser ≥ 45 mm in Betracht gezogen werden.

Engmaschige Nachbetreuung

Nach der offenen Behandlung eines abdominalen Aortenaneurysmas wird die erste Nachuntersuchung innerhalb eines Jahres postoperativ und danach alle 5 Jahre empfohlen. Nach einer endovaskulären Reparatur der Aorta wird die erste Nachuntersuchung mittels CT nach einem Monat und eine Duplexsonographie nach 12 Monaten und anschließend einmal jährlich empfohlen. Bei Personen mit einer bikuspidalen Aortenklappen-assoziierten Aortopathie sollten bei einem Aorten-Durchmesser > 40 mm serielle Echokardiogramme nach einem Jahr und danach alle 2-3 Jahre erfolgen.

Genetische Aortenerkrankungen

Bei einem Verdacht auf eine genetische Aortenerkrankung sollen Gentests in spezialisierten Zentren durchgeführt werden, die auch Verwandte ersten Grades einschließen sollen. Familienanamnese, Alter unter 60 Jahren und das Fehlen von kardiovaskulären Risikofaktoren gehören zu den Verdachtskriterien für genetische Aortenerkrankungen. Bei Personen mit einer hereditären thorakalen Aortenerkrankung wird eine Untersuchung der gesamten Aorta und anderer Gefäßregionen empfohlen. Genanalysen ermöglichen personalisierte und patientenzentrierte Strategien, die unterschiedliche Schwellenwerte für den Aortendurchmesser als Basis für chirurgische Entscheidungen umfassen sowie individuelle Protokolle für das Monitoring.

Expertenkommentar von Prof. Hans-Joachim Schäfers

Die neuen Leitlinien gehen sehr detailliert auf das breite Spektrum der Erkrankungen ein, die zur Ausbildung von Aortenaneurysmen führen. Das Ziel der Leitlinien ist und bleibt es, eine operative Behandlung zu veranlassen, bevor die zum Teil lebensbedrohlichen Szenarien der akuten Aortensyndrome eintreten.


Wichtig ist es im Auge zu behalten, dass neben den länger bekannten Bindegewebserkrankungen eine Reihe von genetischen Mutationen identifiziert wurden, die von einer eher frühzeitigen prophylaktischen Operation profitieren. Bei grenzwertigen Aortendimensionen sollte somit frühzeitig genug eine genetische Charakterisierung erfolgen, um eine ausreichend sichere und individuelle Entscheidung treffen zu können. Diese weitergehende Diagnostik sollte dann auch konsequenterweise bei Verwandten ersten Grades erfolgen.


In den letzten Jahren hat sich weiterhin herausgestellt, dass das perioperative Risiko und das Langzeitergebnis (vor allem bei klappenerhaltendem Ersatz der Aorta ascendens) günstiger in Kliniken sind, die über eine spezifische Erfahrung in diesem Bereich verfügen. Dies hat in den amerikanischen Leitlinien bereits dazu geführt, dass die Größenkriterien für eine Operation in Spezialzentren niedriger angesetzt werden, als es für die Allgemeinheit gilt. Eine solche Fokussierung auf spezialisierte Zentren erscheint auch für die Zukunft als sinnvoll.

 

Prof. Christos Rammos

Prof. Christos Rammos ist als Oberarzt und Leiter für den Bereich diagnostische und interventionelle Angiologie am Universitätsklinikum Essen tätig. Forschungsschwerpunkte sind: Endothelfunktionsstörungen, mikrobiomvermittelte Effekte sowie Interventionsstrategien bei der peripheren Verschlusskrankheit.
Bildquelle: Privat

Prof. Hans-Joachim Schäfers

Prof. Hans-Joachim Schäfers ist als Senior Consultant am Westpfalz Klinikum in Kaiserslautern tätig. Bis Ende 2023 leitete er die Klinik für Thorax- und Herz-Gefäßchirurgie an der Universität des Saarlandes in Homburg. Er ist bekannt für seine Arbeiten auf den Gebieten der Aortenklappenrekonstruktion, Aortenchirurgie sowie pulmonalen Endarteriektomie.
Bildquelle: Westpfalz-Klinikum

 

 


Referenzen

 

  1. Mazzolai L & Rodriguez Palomares JF. ESC Guidelines for the Management of Peripheral Arterial and Aortic Diseases, 2024 ESC Guidelines overview, ESC2024, London
  2. Mazzolai L et al. 2024 ESC Guidelines for the management of peripheral arterial and aortic diseases. Eur Heart J. 2024 Aug 30:ehae179. doi: 10.1093/eurheartj/ehae179. Epub ahead of print. PMID: 39210722
  3. Messiha D et al. Gender Differences in Outpatient Peripheral Artery Disease Management in Germany: A Population Based Study 2009-2018. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2022;63(5):714-20.
  4. Vrints C et al. 2024 ESC Guidelines for the management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J. 2024.
  5. Pinsdorf D et al. Differences in treatment strategies for LDL-cholesterol reduction in a university lipid clinic vs. standard care apart from the use of PCSK9 inhibitors. J Clin Lipidol. 2023;17(4):504-11.
  6. Rammos C et al. Peripheral artery disease in Germany (2009-2018): Prevalence, frequency of specialized ambulatory care and use of guideline-recommended therapy - A population-based study. Lancet Reg Health Eur. 2021;5:100113.

 

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