pAVK: Jüngere mit überraschend höherem Amputationsrisiko

 

In einer großen Registerstudie aus England wurden Krankheitsverläufe von fast 100.000 Personen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) über einen Zeitraum von 5 Jahren nach der Revaskularisation verfolgt. Überraschenderweise waren Amputationen nach Notfall-Eingriffen bei jüngeren Personen häufiger als bei Älteren.

 

Prof. Christos Rammos (Universitätsklinikum Essen) und Prof. Grigorios Korosoglou (GRN Kliniken Weinheim und Eberbach) kommentieren.

Von:

Dr. Heidi Schörken

Redaktion HERZMEDIZIN.de

 

Prof. Christos Rammos

Leiter der Rubrik Angiologie

Universitätsklinikum Essen

 

Prof. Grigorios Korosoglou

Leiter der Rubrik Diagnostik

GRN-Kliniken Weinheim und Eberbach

 

07.08.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Explode / Shutterstock.com

Volkskrankheit pAVK

 

Die Volkskrankheit pAVK gilt weltweit als dritthäufigste Folgeerkrankung der Atherosklerose nach koronarer Herzkrankheit und Schlaganfall.1 Für Deutschland wurde in einer Querschnittsanalyse eine pAVK-Prävalenz von 24 % bei Personen im Alter zwischen 45 und 75 Jahren festgestellt.2 Im Jahr 2018 litten mindestens 2,3 Millionen Menschen in Deutschland unter einer pAVK, wobei aufgrund von Unterdiagnostik - im Gegensatz zur koronaren Herzkrankheit und zu zerebrovaskulären Erkrankungen - eine wesentlich höhere tatsächliche Zahl angenommen wird.3

 

Die endovaskuläre oder offen chirurgische Revaskularisation, die abhängig von der klinischen Symptomatik, Lokalisation und Läsionsausprägung der pAVK erfolgt, gehört zu den häufigsten stationären Eingriffen. In Deutschland werden jährlich mehr als 300.000 dieser Eingriffe vorgenommen, mit steigender Tendenz.4 In den letzten Jahren mehrten sich jedoch die Hinweise darauf, dass die pAVK in Deutschland unterdiagnostiziert und unterversorgt ist, und dass sich viele Amputationen durch eine leitliniengerechte Therapie vermeiden lassen könnten.3-5

 

Auch in der aktuellen Registerstudie aus England ging es um die Frage, wie schwerwiegende Folgen der pAVK verhindert werden können. Dabei wurden Krankheitsverläufe über 5 Jahre nach der Revaskularisation analysiert, um Faktoren zu identifizieren, die mit einem erhöhten Risiko von Amputation und Mortalität verbunden sind.6

 

Revaskularisationen zu 35 % als Notfall-Eingriffe

 

Aus einer Krankenhaus-Datenbank wurden rund 95.000 Personen (50 Jahre oder älter) identifiziert, die sich zwischen 2013 bis 2020 einer Revaskularisation der unteren Gliedmaßen unterzogen hatten. Die Personen waren überwiegend männlich (65,6 %), im Median 72 Jahre alt und hatten zu 40 % Diabetes mellitus.


Zu einem Drittel (35 %) erfolgten die Revaskularisationen als Notfall-Eingriffe. Gegenüber elektiven Eingriffen waren Notfall-Eingriffe verbunden mit: einem höheren Alter (≥ 80 Jahre; 33,0 % vs. 20,1 %; p < 0,001), Gebrechlichkeit (89,4 % vs. 61,9 %; p < 0,001), Diabetes mellitus (51,8 % vs. 32,5%; p < 0,001), Wundheilungsstörungen im pAVK Stadium IV (60,5 % vs. 18,7 %; p < 0,001) sowie mit einem höheren Anteil von Unterschenkelarterienverschlüssen (40,0 % vs. 19,8 %, p < 0,001)

 

Ältere: Höhere Mortalitätsrate

 

Wie zu erwarten, war die Mortalitätsrate über den 5-Jahres-Zeitraum nach der Revaskularisation von älteren Personen (80-84 Jahre) deutlich höher als von jüngeren Personen (50-54 Jahre): 69,9 % vs. 27,4 %. Weiterhin war die Mortalitätsrate aber auch nach Notfall-Eingriffen etwa doppelt so hoch gegenüber elektiven Revaskularisationen: 64 % vs. 33 %.

 

Jüngere: Höhere Amputationsrate


Größere Amputationen wurden in 10 % aller Fälle im Zeitraum über 5 Jahre nach der Revaskularisation durchgeführt. Nach Notfall-Eingriffen war die Amputationsrate wesentlich höher gegenüber elektiven Eingriffen: 19,9 % vs. 5,3 %. Erstaunlicherweise waren jüngere Personen (50-54 Jahre) deutlich häufiger als Ältere (80-84 Jahre) von Amputationen nach Notfall-Eingriffen betroffen: 28,8 % vs. 17,0 %. Dagegen wurden keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen nach elektiven Eingriffen beobachtet. Neben Notfall-Eingriffen und jüngerem Alter wurden weitere Risikofaktoren für Amputationen identifiziert, wie Wundheilungsstörungen, Diabetes mellitus, Gebrechlichkeit und Eingriffe an Unterschenkelarterien.

 

Fazit

 

Die vorliegende Registerstudie zeigte, dass Amputationen nach Notfall-Eingriffen häufig vorkommen. Entgegen den Erwartungen war das Amputationsrisiko bei jüngeren höher als bei älteren Personen nach Notfall-Eingriffen. Möglicherweise bleibt die pAVK bei jüngeren Personen häufiger unerkannt, so dass das Stadium weiter fortgeschritten ist, wenn eine Notfall-Revaskularisation erfolgen muss. Insgesamt weisen die Daten daraufhin, dass die pAVK eine ernstzunehmende Krankheit ist, die frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden muss, um Notfall-Eingriffe und schwerwiegende Folgen zu vermeiden.

 

Expertenkommentar Prof. Christos Rammos

 

Diese wichtige Studie aus England analysiert bei knapp 100.000 Patientinnen und Patienten zentralste klinische Endpunkte bei pAVK, wie die Amputationsrate und die Mortalität.


Im Wesentlichen wird klar, dass es bislang noch lange nicht gelungen ist eine optimale Versorgung von Patientinnen und Patienten mit einer peripheren Verschlusskrankheit zu gewährleisten. Die Studie demonstriert, dass eine sehr große Zahl an nichtelektiven Revaskularisationen erfolgt, welche zudem mit einem schlechteren Outcome assoziiert sind. Ursächlich könnte eine Unterdiagnostizierung oder mangelhafte und nicht leitliniengerechte Sekundärprävention sein, welche auch für andere Länder evident ist. Ferner zeigt die Publikation auf, dass gerade jüngere Patientinnen und Patienten unter 60 Jahren eine besonders gefährdete Population darstellen mit einer überhöhten Amputationsrate.


Nur durch dezidierte und frühzeitige Screenings- und Behandlungsalgorithmen mit Fokus auf eine optimale Primär- und Sekundärprävention kann die Versorgungslücke bei peripherer Verschlusskrankheit geschlossen werden und die Morbidität und Mortalität eingedämmt werden.

 

Prof. Christos Rammos

Prof. Christos Rammos ist als Oberarzt und Leiter für den Bereich diagnostische und interventionelle Angiologie am Universitätsklinikum Essen tätig. Forschungsschwerpunkte sind: Endothelfunktionsstörungen, mikrobiomvermittelte Effekte sowie Interventionsstrategien bei der peripheren Verschlusskrankheit.
Bildquelle: Privat

 

 

Expertenkommentar Prof. Grigorios Korosoglou

 

Atherosklerotische Erkrankungen der unteren Extremität sind die häufigste Ursache für die Schaufensterkrankheit oder für eine chronische, Gliedmaßen-bedrohende Extremitätenischämie (CLTI). Die Revaskularisation (endovaskulär oder chirurgisch) sollte eingesetzt werden, um die Amputation bei Patientinnen und Patienten mit CLTI zu verhindern. Die endovaskuläre Behandlung hat sich in den letzten Jahrzenten für die meisten Patientinnen und Patienten mit pAVK zur Erstlinienstrategie zur Linderung der Symptome und zur Verhinderung einer Amputation entwickelt.7 Die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit pAVK und insbesondere von Patientinnen und Patienten mit CLTI sollte von einem interdisziplinären Ärzte- und Pflegeteam durchgeführt werden.

 

In der vorliegenden Arbeit wird noch einmal klar, dass Patientinnen und Patienten mit pAVK und insbesondere die mit CLTI, bei den eine Notfallrevaskularisation notwendig ist, eine hohe Sterblichkeits- und Amputationsrate aufweisen. Das Amputationsrisiko ist bei jüngeren Patientinnen und Patienten, bei denen eine Notfallrevaskularisation notwendig ist, sogar am höchsten. Die Ursache der erhöhten Amputationsrate bei jüngeren Patientinnen und Patienten kann durch die aktuelle Studie nicht abschließend beantwortet werden. Jüngere Betroffene hatten öfters einen Insulin-pflichtigen Diabetes mellitus, eine fortgeschrittene Niereninsuffizienz und Wundheilungsstörungen - alles Faktoren, die mit einer schnell voranschreitenden pAVK und einer Amputation einhergehen könnten. Darüber hinaus könnten ältere Patientinnen und Patienten mit pAVK öfters konservativ behandelt worden sein, ohne Durchführung einer Revaskularisationsmaßnahme, so dass diese in der vorliegenden Analyse nicht erfasst wurden.

 

Insgesamt wird durch die vorliegende Arbeit klar, dass in der Therapie der pAVK, Standards sowie ein interdisziplinärer Ansatz für die Wahl der optimalen Revaskularisationsstrategie und die optimale medikamentöse Behandlung notwendig sind, um die Prognose solcher schwer kranken Patientinnen und Patienten zu verbessern.

 

Prof. Grigorios Korosoglou

Prof. Grigorios Korosoglou ist als Chefarzt der Abteilung für Kardiologie und Angiologie der GRN-Klinik Weinheim und Eberbach tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte umfassen die Kardiale MRT- und CT-Bildgebung und interventionelle Kardiologie sowie periphere Gefäßeingriffe. 

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  1. Fowkes FG et al. Comparison of global estimates of prevalence and risk factors for peripheral artery disease in 2000 and 2010: a systematic review and analysis. Lancet. 2013;382(9901):1329-40.
  2. Behrendt CA et al. Editor's Choice - Prevalence of Peripheral Arterial Disease, Abdominal Aortic Aneurysm, and Risk Factors in the Hamburg City Health Study: A Cross Sectional Analysis. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2023;65(4):590-598.
  3. Rammos C et al. Peripheral artery disease in Germany (2009-2018): Prevalence, frequency of specialized ambulatory care and use of guideline-recommended therapy - A population-based study. Lancet Reg Health Eur. 2021;5:100113.
  4. Kuchenbecker J et al. The Relationship Between Hospital Procedure Volume and Outcomes After Endovascular or Open Surgical Revascularisation for Peripheral Arterial Disease: An Analysis of Health Insurance Claims Data. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2023;65(3):370-378.
  5. Makowski L et al. Contemporary Treatment and Outcome of Patients with Ischaemic Lower Limb Amputation: A Focus on Sex Differences. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2023;66(4):550-559.
  6. Li Q et al. Illness Trajectories After Revascularization in Patients With Peripheral Artery Disease: A Unified Approach to Understanding the Risk of Major Amputation and Death. Circulation. 2024;150(4):261-271.
  7. Korosoglou G et al. Crossing Algorithm for Infrainguinal Chronic Total Occlusions: An Interdisciplinary Expert Opinion Statement. JACC Cardiovasc Interv. 2023 Feb 13;16(3):317-331.

 

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