Wie das Mikrobiom Atherosklerose fördert

 

Eine spanische Forschungsgruppe um Prof. David Sancho aus Madrid konnte in einer kürzlich in Nature-publizierten umfassenden Arbeit aufklären, wie die Substanz Imidazolpropionat, die das Mikrobiom bei ungesunder Ernährung produziert, zur Entstehung und Progression von Atherosklerose beiträgt.1 Imidazolpropionat könnte zum einen als Biomarker die Unterscheidung zwischen subklinischer und aktiver Atherosklerose verbessern und zum anderen neue therapeutische Targets für die Prävention der Atherosklerose aufzeigen.


Prof. Sabine Steffens (Klinikum der Universität München) kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar: 

Prof. Sabine Steffens

Rubrikleiterin Basic Science

 

 

29.07.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Tatiana Shepeleva / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Herz-Kreislauferkrankungen (CVD) gehören immer noch weltweit zu den Haupttodesursachen, wobei die Atherosklerose eine zentrale Rolle spielt. Trotz medizinischer Fortschritte gibt es weiterhin einen Bedarf für frühzeitige Interventionen bei CVD. Derzeit basiert die kardiovaskuläre Prävention vor allem auf Scores, wobei allerdings Personen mit hohem Risiko erst spät erkannt und behandelt werden. Darüber hinaus werden neue therapeutische Targets für Personen benötigt, die trotz optimaler Therapie weiterhin ein hohes CVD-Risiko aufweisen. Aus vorhergehender Forschung ist bekannt, dass Interaktionen zwischen Mikrobiom und Wirt zur Entstehung und Progression von Atherosklerose beitragen können. Bisher sind allerdings nur wenige Mikrobiom-Metabolite bekannt. 

 

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, Mikrobiom-Metabolite zu identifizieren, die mit frühen Stadien der Atherosklerose assoziiert sind und zur Progression der Gefäßkrankheit beitragen.1

ImP und Atherosklerose bei Mäusen

 

Für das Screening nach Atherosklerose-fördernden Mikrobiom-Metaboliten wurden ApoE-defiziente Mäuse eingesetzt, die zu Atherosklerose neigen. Die Tiere erhielten über 8 Wochen entweder Standardfutter oder eine Hoch-Cholesterin-(HC)-Diät mit und ohne Zugabe von Antibiotika. Wie die anschließende Quantifizierung der Aorten-Plaques zeigte, entwickelten die Tiere unter HC-Diät eine Atherosklerose, die durch Antibiotika gehemmt wurde. Gleichzeitig wurden deutliche Metabolom-Änderungen beobachtet, abhängig von der Zusammensetzung der Mikrobioms. Imidazolpropionat (ImP) wurde als Metabolit des Mikrobioms identifiziert, der eine besonders starken Assoziation zu Atherosklerose aufwies. Hohe ImP-Spiegel gingen mit einer Änderung der mikrobiellen Darm-Ökologie einher, insbesondere mit einer Anreicherung von Escherichia/Shigella und Eubacterium. Allerdings wurden bisher noch keine spezifischen ImP-produzierenden Stämme identifiziert.

ImP und Atherosklerose bei Menschen

 

Zur Untersuchung der Bedeutung von ImP beim Menschen wurden 400 asymptomatische Personen einer spanischen Kohortenstudie (PESA, Progression of Early Subclinical Atherosclerosis) eingeschlossen, wovon 295 Personen eine subklinische Atherosklerose und 105 Personen keine Atherosklerose (Kontroll-Gruppe) aufwiesen. In der Metabolom-Analyse war ImP im Gegensatz zu den verwandten Metaboliten (Histidin und Urocansäure) bei Personen mit Atherosklerose erhöht, jedoch nicht in der Kontrollgruppe. Dieser Zusammenhang wurde in einer anderen Kohorte mit 1.844 Personen bestätigt, darunter 1.315 Personen mit subklinischer Atherosklerose.


Um den Zusammenhang der ImP-Spiegel mit der Ernährung zu beleuchten, wurden die Ernährungsdaten der PESA-Kohorte ausgewertet und durch eine Hauptkomponentenanalyse (Principal Component Analysis, PCA) folgende unterschiedliche Ernährungsmuster identifiziert:


1.    Mediterran: Gemüse, Vollkornprodukte und Fisch
2.    Frühstück1: Getreide, Tee, fettarme Milchprodukte
3.    Frühstück2: Brot, Ei und Kaffee
4.    Westlich: rotes Fleisch, Zucker, Snacks und raffiniertes Getreide 
5.    Soziales Muster: Softdrinks und Spirituosen


Unter den 5 Ernährungsmustern war ImP invers korreliert mit Frühstück1 und mediterraner Ernährung, was mit früheren Daten übereinstimmte.2 Die 16SrDNA-Sequenzierung der Stuhlproben ergab eine direkte Korrelation der ImP-Spiegel mit Veillonella und Acidaminococcus und eine inverse Korrelation zu den Familien Erysipelotrichaceae und Coriobacteriaceae, die bekannterweise bei CVD verändert sind.3


In beiden Patientenkohorten wurde eine direkte Korrelation der ImP-Spiegel mit Nüchternglukose und einem ungünstigen kardiometabolischen Profil festgestellt (hs-CRP, BMI, viszerales Fett, Dyslipidämie, Hypertonie und niedriges HDL-C). Im oberen ImP-Tertil waren zudem Atherosklerose-Outcomes und CAC-Scores erhöht. Nach Adjustierung der Risikofaktoren waren hohe ImP-Werte in beiden Kohorten unabhängig mit Atherosklerose-Outcomes assoziiert.


Personen mit Atherosklerose der PESA-Kohorte wurden in metabolisch aktive (FDG) oder inaktive Atherosklerose klassifiziert (anhand 18F-Fluordesoxyglukose-Aufnahme in Arterien und/oder Knochenmark-Aktivierung), wobei die FDG-Gruppe erhöhte ImP-Spiegel aufwies. Nach Adjustierung an bekannte Risikofaktoren blieb ein signifikanter Zusammenhang zwischen ImP und Atherosklerose-Risiko bestehen. Außerdem wurde für ImP ein additiver Vorhersagewert für aktive Atherosklerose gegenüber LDL-Cholesterin und hs-CRP festgestellt. Daher könnte sich ImP als Biomarker für eine frühe aktive Atherosklerose eignen. 

ImP fördert die Progression von Atherosklerose 

 

Um den Kausalzusammenhang aufzuklären, erhielten Mäuse zusätzlich zum Standardfutter eine ImP-Supplementation über 12 Wochen (LDL-R-defiziente Mäuse) oder über 8 Wochen (ApoE-defiziente Mäuse). In beiden Ansätzen förderte die ImP-Gabe die aortale Plaque-Entwicklung, ohne die Cholesterin- oder Glukose-Spiegel zu verändern. Allerdings stiegen proinflammatorische Monozyten sowie TH1- und TH17-Zellen im Blut an, die mit einem proatherogenen Umfeld in Verbindung stehen.


Die Einzelzell-RNA-Sequenzierungsanalyse (scRNA-seq) der Aorta nach 8-wöchiger ImP-Gabe zeigte eine Zunahme von Fibroblasten, Endothel- und Immunzellen. Durchflusszytometrie und histologischer Analyse bestätigten die Zunahme von T-Zell-Infiltrationen in der Intima-Media-Schicht und von Makrophagen in den Plaques von ImP-behandelten Mäusen gegenüber den Kontrollen. Insgesamt wurde somit der Nachweis erbracht, dass ImP eine proinflammatorische Immunantwort auslöst, die die Progression der Atherosklerose fördert, ohne den Cholesterin-Spiegel zu beeinflussen.

ImP induziert die Zytokin-Produktion

 

Laut GSEA-Analysen aktivierte die ImP-Behandlung inflammatorische Transkriptionswege in Makrophagen, Fibroblasten und Endothelzellen der Aorta. Nachfolgend wurden 4 Makrophagen-, 5 Fibroblasten- und 3 Endothelzell-Cluster identifiziert, die durch ImP weniger Gene des MF1-Clusters (Homöostase) exprimierten, aber mehr Gene, die mit Lipidmetabolismus, Inflammation und Makrophagen-Aktivierung assoziiert waren (MF3-Cluster). 


Außerdem induzierte ImP eine Expansion von aortalen Fibroblasten-Subsets (FB2, FB3, und FB4), die charakteristisch für Immunreaktionen, Entzündungen und extrazelluläre Matrix-Organisation sind, sowie eine Anreicherung des EC1-Subsets, charakteristisch für Endothelzellfunktion, mesenchymale Marker und Proangiogenese. In Einklang dazu aktivierte ImP auch die Zytokin-Produktion von embryonalen Maus-Fibroblasten (MEF) in vitro, was ebenfalls in Verbindung mit Atherogenese steht. Insbesondere in Makrophagen aus dem Knochenmark (BMDM) und MEF führte die ImP-Gabe zu einer raschen Induktion zahlreicher Entzündungs- und Aktivierungswege. 


Laut Phosphoproteomanalyse induzierte ImP zusätzlich einen Anstieg von Phosphopeptiden des mTOR-Signalwegs, der sich durch Zugabe des mTOR-Inhibitors Rapamycin hemmen ließ. In Mäusen mit transplantiertem Knochenmark mit gestörter mTOR-Regulierung (Raptor34-Deletion) wurde keine Atherogenese durch ImP hervorgerufen, was darauf hinweist, dass ImP eine mTOR-abhängige Entzündungsreaktion in myeloischen Zellen aktiviert, die Atherogenese fördert.

ImP aktiviert den Imidazolinrezeptor (I1R)

 

Da ImP einen Imidazolring enthält, ist eine Interaktion mit den ubiquitär exprimierten Imidazolinrezeptoren (I1R und I2R35) wahrscheinlich. Daher wurden Zellen (BMDM und MEF) mit ImP unter Zugabe von spezifischen Inhibitoren inkubiert, wobei der I1R-Antagonist (AGN192403) die durch ImP erhöhte p-S6- und TNF-Expression selektiv hemmte. 


Zusätzlich inhibierte AGN192403 auch die ImP-induzierte Aktivierung des mTOR-Signalwegs. Das Silencing von I1R durch eine spezifische siRNA hemmte ebenfalls die ImP-induzierte p-S6- und TNF-Produktion. Weitere Experimente mit genetisch veränderten Mäusen betätigten übereinstimmend, dass I1R als ImP-Rezeptor fungiert, und dass die ImP-induzierte Atherosklerose bei Abwesenheit des I1R-Rezeptors verhindert wird. 


Bei Mäusen, die ImP und AGN192403 über 8 Wochen erhielten, wurde die Bildung von atherosklerotischen Plaques verhindert, ohne Cholesterin- oder ImP-Spiegel zu beeinflussen. Auch andere ImP-Effekte wurden gehemmt, wie Anstieg von proinflammatorischen Zytokinen, zirkulierenden B- und T-Zellen und Infiltration von Immunzellen in die Aorta.

AGN192403 – ein Wirkstoff gegen Atherosklerose?

 

Im letzten Experiment erhielten Mäuse, die über 8 Wochen mit Standard- oder HC-Diät gefüttert wurden, über die letzten 4 Wochen zusätzlich den I1R-Antagonisten AGN192403. Die Behandlung mit AGN192403 hemmte die Progression der durch HC-Diät induzierten Atherosklerose, ohne ImP- und Cholesterin-Spiegel zu verändern. Interessanterweise reduzierte diese Behandlung auch die Plaquegröße, die Ausdehnung des nekrotischen Kerns und die Caspase-3-Färbung, was auf eine verringerte Plaque-Komplexität hinweist. Weitere Effekte der Behandlung waren die Hemmung von Monozyten, TH1-Immunität, proinflammatorischen Zytokinen sowie p-S6-Expression.

Fazit

 

Zusammenfassend zeigten die umfangreichen Forschungsarbeiten des spanischen Teams aus Madrid, dass die Substanz Imidazolpropionat (ImP) durch das Mikrobiom bei ungesunder Ernährung gebildet wird und zur Progression der Atherosklerose beiträgt. Über die Aktivierung des Rezeptors I1R induziert ImP die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen, die Entzündungsreaktionen auslösen und die Atherogenese fördern. Die pharmakologische Blockade von I1R hemmte die durch ImP ausgelöste Progression der Atherosklerose, unabhängig vom Cholesterin-Spiegel, aber abhängig vom mTOR-Signalweg in Makrophagen.

 

Angesichts der Tatsache, dass Personen mit hohem CVD-Risiko trotz optimaler lipidsenkender Therapie häufig kardiovaskuläre Rezidiv-Ereignisse erleiden, könnte die ImP-I1R-Achse ein neues attraktives Target für die Atherosklerose-Therapie darstellen.

Expertenkommentar

 

Eine von Darmbakterien produzierte Verbindung trägt zur Entstehung von Atherosklerose bei. Diese Erkenntnis könnte neue Wege zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzeigen.

Darmbakterien produzieren ein Molekül, das Arteriosklerose begünstigt

 

Aktuelle Studien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Mikroorganismen im menschlichen Darm und Arteriosklerose hin. Dies wird durch die neueste Veröffentlichung der Forschungsgruppe von Prof. David Sancho in Madrid bestätigt. Das bakterielle Molekül Imidazolpropionat (ImP) wird von Darmbakterien aus der Aminosäure Histidin produziert und kann über den Blutkreislauf entfernte Organe beeinflussen. Zirkulierendes ImP erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, indem es proinflammatorische Signale in Immunzellen stimuliert. Durch molekulare Entschlüsselung der zugrunde liegenden Mechanismen wurde ein Rezeptor in Immunzellen identifiziert, dessen Antagonisierung bei Mäusen zu weniger Arteriosklerose führte. 

ImP als früher Biomarker für subklinische Atherosklerose

 

Ob diese Erkenntnisse direkt in die klinische Anwendung bei Patientinnen und Patienten übertragen werden können, bleibt abzuwarten. Eine unmittelbare klinische Relevanz ergibt sich jedoch aus der Beobachtung, dass erhöhte ImP-Spiegel auch bei Personen mit subklinischer Atherosklerose nachgewiesen wurden. Die Messung der ImP-Spiegel in Kombination mit Standardmarkern (wie Cholesterin und Entzündungsmarkern) ermöglichte eine bessere Unterscheidung zwischen subklinischer und aktiver Atherosklerose als die alleinige Verwendung von Standardmarkern. Dies unterstreicht das Potenzial der ImP-Spiegel als Frühindikator für das Krankheitsrisiko.

Ausblick

 

Zukünftige Studien sollten zunächst klären, ob eine Veränderung des Darmmikrobioms oder der Ernährungsgewohnheiten – und somit der ImP-Spiegel – das kardiovaskuläre Risiko mindern kann. Interessanterweise hatten Personen mit mediterraner Ernährung und Frühstücksgewohnheiten, die Getreide und fettarme Milchprodukte umfassten, niedrige ImP-Spiegel. Dies unterstreicht die Bedeutung einer gesunden Ernährung für die kardiovaskuläre Prävention. Ein weiterer möglicher Ansatz wäre die Verwendung von Inhibitoren, die die Produktion bakterieller Moleküle im Darm gezielt hemmen könnten.

Zur Person

Prof. Sabine Steffens

Prof. Sabine Steffens ist seit 2013 W2-Professorin für Klinische Pathobiochemie am Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten (IPEK) am Klinikum der Universität München (LMU). Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Erforschung von kardiovaskulären Entzündungsprozessen.
Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  1. Mastrangelo A et al. Imidazole propionate is a driver and therapeutic target in atherosclerosis. Nature. 2025 Jul 16. doi: 10.1038/s41586-025-09263-w. Epub ahead of print. PMID: 40670786.
  2. Molinaro A et al. Imidazole propionate is increased in diabetes and associated with dietary patterns and altered microbial ecology. Nat Commun. 2020 Nov 18;11(1):5881
  3. Trøseid M et al. The gut microbiome in coronary artery disease and heart failure: Current knowledge and future directions. EBioMedicine. 2020 Feb;52:102649. 

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