Telemedizin und DiGAs: Chancen für die kardiologische Versorgung

 

Ein Vordenker im Spannungsfeld von klassischer Patientenversorgung und digitaler Medizin: Als ausgebildeter Zahnmediziner mit Stationen am Universitätsklinikum Münster hat sich Dr. Paul Hadrossek früh die Frage gestellt, wie Versorgung patientenzentrierter und zugleich effizienter gestaltet werden kann. Diese Vision verfolgt er heute konsequent im Vorstand des Spitzenverbandes Digitale Gesundheitsversorgung. Im Interview spricht er über seinen Weg aus der Klinik in die digitale Gesundheitswelt, die Hürden und Chancen der Digitalisierung – gerade auch in der Kardiologie – sowie über seine Erfahrungen als Gründer telemedizinischer Angebote.

 

 

Von:

PD Dr. Philipp Breitbart

Rubrikleiter Digitale Kardiologie

 

14.08.2025

 

Bildquelle (Bild oben): PopTika / Shutterstock.com

 

HERZMEDIZIN: Wie bringt sich der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung in die gesundheitspolitische Debatte ein – und welche Wirkung konnte er bisher erzielen?


Hadrossek: Das passiert auf vielen verschiedenen Ebenen. Unser Gesundheitssystem und die Entscheidungswege sind ja auch sehr vielschichtig. Unseren ersten großen Impact hatten wir bereits zu Beginn als Verband, da wir direkt der Hauptvertreter für fast alle Unternehmen digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) waren. Der Prozess rund um Zulassungswege, Erstattung, Sicherheitsanforderungen etc. wird seitdem sehr aktiv von uns begleitet. Wir bringen mit den Expertinnen und Experten aus unserem Verband regelmäßig Positionspapiere heraus, kommentieren aktuelle Pläne oder vermitteln in Richtung Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder Bundesgesundheitsministerium (BMG), wenn es generelle Hindernisse gibt. Zudem verhandeln wir die Vergütungen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) oder unterstützen bei der Kosten-Nutzen-Abwägung von Innovationen. Das machen wir mittlerweile auch sehr erfolgreich für die Bereiche Telemedizin, Prävention, Pflege oder auch in der aktuellen Debatte zu KI in der Medizin. Dabei bringen wir uns auch auf europäischer Ebene ein.

 

HERZMEDIZIN: Viele Ärztinnen und Ärzte erleben den Alltag als ineffizient und bürokratisch – trotzdem wagen nur wenige einen „anderen“ Weg. Was rätst du Young Cardiologists, die über den Tellerrand der klassischen Facharztausbildung hinausschauen wollen?

 

Hadrossek: Ich denke, es führt kein Weg daran vorbei, einen Blick über den Tellerrand zu werfen. Medizin wird immer komplexer, nicht nur in der fachlichen Ausrichtung. Auch in der strukturellen Ausgestaltung. Ich weiß, dass gerade bis zum Ende der Facharztausbildung eigentlich wenig Zeit und Energie vorhanden ist, sich um andere Themengebiete zu kümmern. Ich würde aber immer dafür plädieren, sich frühzeitig grundlegend mit den Themen „Kleines-Unternehmer-1x1“ und auch Führung von Teams zu beschäftigen. Dabei sollte man sich selbst fragen, welcher Typ man ist: Will ich selbst langfristig angestellt arbeiten oder kommt Selbständigkeit bzw. Teilhaberschaft für mich in Frage? Egal was davon zutrifft, man wird nicht vermeiden können, in Teams zu arbeiten. Und die Fähigkeiten Teams zu leiten, nehmen auch in der Medizin immer mehr an Bedeutung zu. Gerade bei voranschreitender Digitalisierung.  

Zur Person

Dr. Paul Hadrossek

Dr. Paul Hadrossek ist Zahnmediziner und seit Oktober 2023 Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV). Bevor er 2017 eine Start-up-Plattform in Berlin für den digitalen Gesundheitsbereich gründete, war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Oberarzt am Universitätsklinikum Münster tätig und baute ein zahnmedizinisches Versorgungszentrum auf.

Bisher langsame Digitalisierung und wenige DiGAs

 

HERZMEDIZIN: Digitalisierung scheint in der Medizin langsamer voranzukommen als in anderen Branchen. Woran liegt das deiner Meinung nach?

 

Hadrossek: Ich habe das lange auch nicht wirklich verstanden. Gerade durch den Aufbau eines eigenen digitalen Unternehmens in dem Bereich und die politische Arbeit ist mir aber an vielen Stellen klar geworden: Es geht eigentlich nie um die zwei wichtigsten Faktoren in der Medizin: Patientin/Patient und Ärztin/Arzt. Es geht einfach häufig um Verhandlungspositionen. Die Patientinnen und Patienten stehen bei vielen Entscheidungen gar nicht im Mittelpunkt, auch das Wohl oder die Meinung von Ärztinnen und Ärzten spielen selten eine relevante Rolle.

 

Wir haben das kostspieligste Gesundheitssystem aber bei weitem nicht die beste Lebenserwartung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Stattdessen geht es häufig um Töpfe und Budgets und die Frage, wo man schnell etwas sparen kann, weil man eigentlich zu viel Geld ausgibt. Programme zur Prävention, die auf Dauer Kosten bei der Versorgung senken könnten, werden gar nicht im richtigen Kontext diskutiert und entschieden. Das bleibt an sektoralen Grenzen hängen. Dazu spielen wir immer noch mit „Verdünnerscheinen“ herum und damit, welche Patientinnen und Patienten wir wie lange stationär behalten können oder müssen, um profitabel zu sein. Das ist total kontraproduktiv, aber auch gar nicht so einfach aus dem System zu bekommen. Eigentlich müssten wir Vergütung viel mehr an tatsächlichem Aufwand und Erfolg bemessen. Dann würde auch der Wille, digitaler zu werden, einen ganz anderen Push bekommen.

 

HERZMEDIZIN: Obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Erkrankungen zählen, gibt es bei den digitalen Gesundheitsanwendungen derzeit nur sehr wenige kardiologische Apps. Woran liegt das?

 

Hadrossek: Aktuell sind zwei vorläufig gelistete und eine dauerhaft gelistete DiGA im Verzeichnis und eindeutig dem Themenfeld Herz/Kreislauf zuzuordnen. Die DiGAs, die sich mit Adipositas beschäftigen, könnte man auch noch dazurechnen und es gibt bereits jetzt einige Optionen, die spannend sind und einen Mehrwert im Behandlungsspektrum darstellen.

 

Wir stehen bei DiGAs immer noch am Anfang und dürfen nicht vergessen, dass DiGAs ganz nebenbei dafür sorgen, dass grundsätzliche Fragen bei uns in der Medizin geklärt werden: Wie erfahren Ärztinnen und Ärzte überhaupt von digitalen Therapiemöglichkeiten? Wie werden digitale Lösungen in den Arbeitsalltag integriert? Wie erzähle ich meinen Patientinnen und Patienten davon? Wie entscheide ich, welche Person für eine digitale Therapie geeignet ist? Welche Sicherheitsstandards sind nötig? Welche Sicherheitshürden sind nicht vertretbar und verhindern eine einfache Anwendung durch die Patientinnen und Patienten? Das ist alles ein kontinuierlicher Prozess und es zeigt, wie viele Grundlagenfragen wir klären müssen.

 

Gleichzeitig wird es aber auch einfacher, mit den bisherigen Erfahrungen neue DiGAs in die Versorgung zu bringen. Es muss nicht mehr ganz so viel Pionierarbeit geleistet werden. Daher werden wir in Zukunft weitere Lösungen sehen, bestimmt auch mit Impact für die Kardiologie. 

Tipps für Digital-Interessierte und Gründungserfahrungen

 

HERZMEDIZIN: Was empfiehlst du Young Cardiologists, die sich parallel zur Facharztausbildung im Bereich Digitalisierung engagieren möchten? Gibt es konkrete Weiterbildungsformate oder Netzwerke, die du empfehlen kannst?

 

Hadrossek: Am besten ist es, einfach anzufangen und nicht zu lange darüber nachzudenken. Wenn man sich informieren bzw. orientieren will, z. B. im Bereich KI, einfach mal Sachen ausprobieren, die gar nichts Fachliches sein müssen. Ein bisschen bei ChatGPT prompten. Es gibt dort einen eigenen Academy-Bereich. Mit Bildsoftware herumspielen. Dazu ist unheimlich viel kostenloses Wissen auf YouTube oder in Podcasts jederzeit abrufbar.

 

Über den Verband haben wir z. B. den Podcast „Digitalversorgt mit KI“ gestartet, bei dem Gäste zu Wort kommen, die aktuell KI in der Medizin in Deutschland mitgestalten. Dazu bieten wir verschiedene kostenlose Webinare an. Wer sich parallel zur Facharztausbildung im Bereich Digitalisierung engagieren möchte, dem kann ich auch sehr die Deutsche Gesellschaft für Digitale Medizin empfehlen.

 

HERZMEDIZIN: Du hast 2017 das telemedizinische Start-up kinderheldin mitgegründet. Was war die Idee dahinter – und welche Erfahrungen hast du beim Aufbau gemacht?

 

Hadrossek: Ich habe mich zu der Zeit intensiv mit digitalen Lösungen auseinandergesetzt, für Investoren umfassend Marktrecherche betrieben, nach potentiellen Start-ups gesucht und viele potentielle Investments angeschaut. Telemedizin ist ein Thema, das in anderen europäischen Ländern zu der Zeit schon lange Versorgungslücken geschlossen oder für Entlastung gesorgt hat, siehe Schweiz oder Schweden. Bei uns war Telemedizin noch nicht möglich, da es von ärztlicher Seite noch nicht erlaubt war. Für mich war aber klar, dass es zeitnah möglich sein wird. Und trotzdem wollte ich nicht darauf warten, bis die Regulatorik ausdiskutiert, was möglich ist. Dann ist man als Start-up-Gründer zu spät dran. Mit dem Bereich Schwangerschaft und frühe Elternzeit hatte ich einen Bereich gefunden, wo Menschen mit viel gefährlichem Halbwissen konfrontiert werden. Dabei geht es häufig um Orientierung. Also eigentlich ein perfektes Umfeld, um einfache Probleme telemedizinisch zu lösen und erste Erfahrungen zu sammeln, wie Menschen solche Angebote nutzen. Dazu kam die Tatsache, dass es mit angestellten Hebammen möglich war, so einen Service aufzubauen. Und so sind wir damals gestartet. Meine wichtigsten Erfahrungen waren, dass man einfach nichts im Vorfeld planen kann, wenn man etwas Neues macht. Man lernt nur in der Realität, was funktioniert und wo auch Möglichkeiten entstehen, über die man vorher nicht nachdenkt.

 

Es war auch schnell klar, dass die Selbstzahlerbereitschaft in Deutschland nicht gegeben ist. Der Wert einer medizinischen Leistung für den Versicherten ist nicht greifbar. Deshalb wird für einen schnelleren oder verlässlichen Service kein Geld bezahlt. Wir haben es zum Glück geschafft, relativ schnell Partner auf Versicherungsseite zu finden, die den Service für die Versicherten anbieten wollten und uns dafür vergütet haben. So konnten wir den Service auch stetig weiterentwickeln, konnten Erfahrungen sammeln mit synchroner (Video) und asynchroner (Chat) Telemedizin, bis hin zu einer Plattform mit Live- und On-demand-Videokursen, z. B. zur Geburtsvorbereitung oder als Babynotfallkurs.

Chancen für die Versorgung

 

HERZMEDIZIN: Wo siehst du das größte Potenzial für die Telemedizin – gerade bei chronischen Krankheitsbildern wie in der Kardiologie?

 

Hadrossek: Also das größte Potenzial der Telemedizin liegt in allen Bereichen außerhalb der klassischen Touchpoints in der Versorgung. Es geht nicht darum, ob die Patientinnen und Patienten lieber in die Praxis gehen oder online mit den Ärztinnen und Ärzten reden. Lassen sich mit Telemedizin Personen erreichen, die erst zu spät in die Praxis gehen würden? Kann man mit Telemedizin einfacher/schneller/effizienter versorgen als durch eine Vorstellung in der Praxis? Das sind spannende Fragestellungen bei chronischen Krankheitsbildern.

 

Dazu ist der wichtigste Punkt, dass Telemedizin vor allem asynchron gedacht werden muss, um wirklich riesige Potenziale zu entfalten. Es darf aber nicht sein, dass die Kardiologinnen und Kardiologen ungefiltert Vitalparameter ihrer Patientinnen und Patienten in die Praxis gespült bekommen. Da müssen Systeme die Früherkennung oder Voreinordnung vornehmen. Auch KI darf und muss da natürlich eine Rolle spielen. Und dann kommen wir aber wieder zu der Frage: Womit verdienen die Ärztinnen und Ärzte in Zukunft ihr Geld?

 

HERZMEDIZIN: Welche Rahmenbedingungen müssen sich ändern, damit telemedizinische Versorgung breitflächig und qualitätsgesichert funktioniert?

 

Hadrossek: Ähnlich wie bei DiGAs müssen wir weiter breitflächig Erfahrungen sammeln, um dann sinnvolle Rückschlüsse zu ziehen und Use Cases abzuleiten, die wirkliche Probleme lösen. Im Moment gibt es einfach zu viel Bürokratie und Regulatorik, die häufig eher das Ziel hat, Bestandswahrung zu betreiben als neue Möglichkeiten der Versorgung zu ermöglichen.

 

Wir hatten zum Beispiel lange Zeit eine Reglementierung, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten nur 30 % ihrer Leistung als Videosprechstunde durchführen durften. Im Digitalgesetz wurde von der Regierung verankert, dass diese Grenze wegfällt. Den Auftrag Qualitätsstandards festzulegen, haben Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband dann genutzt, um diese Regelung zu verkomplizieren, indem hier differenziert wird zwischen bekannten Patientinnen und Patienten, die innerhalb der letzten drei Quartale in der Praxis waren und unbekannten Personen, die noch gar nicht oder länger als drei Quartale nicht in der Praxis vorstellig waren. Für diese Patientinnen und Patienten soll weiterhin die 30-%-Hürde gelten. Ich meine, wer soll da noch durchblicken? So kommen wir nicht voran.

 

Wir müssen schnell viele Möglichkeiten und Konzepte zulassen, um viele Innovationen ins System zu bringen und um dann datengetrieben zu entscheiden, was uns weiterbringt und was nicht.

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