Aortenklappenregister wird Teil des Implantateregisters Deutschland

 

Ein Erfolg für Kardiologie und Herzchirurgie: Am 1. Januar 2025 wird das Deutsche Aortenklappenregister (DAKR/GARY) in das Implantateregister Deutschland (IRD) integriert und die Teilnahme verpflichtend. Was wurde bisher erreicht, und welche Veränderungen stehen bevor? Die GARY-Vorsitzenden, Herzchirurg Prof. Friedhelm Beyersdorf und Kardiologe Prof. Helge Möllmann, blicken auf fast 15 Jahre Aortenklappenregister zurück und geben einen Ausblick.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

17.12.2024

 

Bildquelle (Bild oben): SciePro / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Seit dem Start des Deutschen Aortenklappenregisters (DAKR/GARY) am 1. Juli 2010 sind aus den Daten über 30 Publikationen hervorgegangen. Welche der bisherigen Erkenntnisse halten Sie für besonders wegweisend für die klinische Praxis?


Beyersdorf: Zunächst einmal ist es bemerkenswert, dass über 30 Publikationen aus den Register-Daten entstanden sind – alle in angesehenen, peer-reviewed Fachjournalen wie dem Journal of the American College of Cardiology (JACC), European Heart Journal (EHJ), European Journal of Cardio-Thoracic Surgery (EJCTS), Interdisciplinary CardioVascular and Thoracic Surgery (ICVTS) und Clinical Research in Cardiology (CRIC).


Die Veröffentlichungen decken ein breites Spektrum ab. Angefangen mit einer grundlegenden Beschreibung des Deutschen Aortenklappenregisters in 2012 bis hin zu spezifischen Fragestellungen, wie etwa den Ergebnissen von TAVI-Prozeduren bei Low-Flow-Low-Gradient-Aortenklappenstenosen oder periprozedurale Ergebnisse zu >15.000 TAVI-Klappen oder auch Analysen zur Anästhesie, wie Vollnarkose versus Lokalanästhesie mit Sedierung. Wir sehen also eine große Bandbreite an Erkenntnissen aus verschiedensten Bereichen.


Dabei ist hervorzuheben, dass GARY nicht nur TAVI-Daten enthält, sondern auch chirurgische Eingriffe an der Aortenklappe abbildet, was es so beispielsweise in den USA nicht gibt. Dadurch können direkte Vergleiche zwischen TAVI und chirurgischen Klappenimplantationen gezogen werden. Unter dem Strich hat das Aortenklappenregister mehr erfüllt als das, was man ganz am Anfang dachte, was es erfüllen kann.


Möllmann: GARY bildet auch Patientengruppen ab, die in randomisierten Studien meist ausgeschlossen werden, wie etwa Personen über 90 Jahre. Durch unser Aortenklappenregister konnten hierzu mit als Erste in einer großen Kohorte entsprechende Ergebnisse gezeigt werden. Zudem konnte durch den Einbezug der chirurgischen Eingriffe in GARY frühzeitig analysiert werden, welche Auswirkungen chirurgischer Klappenersatz und Bypass-Operation im Vergleich zu TAVI in Kombination mit PCI bei Personen mit Aortenklappenstenose und koronarer Herzkrankheit (KHK) haben.


Insgesamt haben die Publikationen aus den GARY-Daten einen großen Mehrwert für die klinische Praxis schaffen können und waren oft Vorläufer für weitergehende Studien zu spezifischen Themen.

Freiwillige Teilnahme von fast 100 Kliniken und >180.000 Personen

 

HERZMEDIZIN: Ab dem 1. Januar 2025 wird GARY in das Implantateregister Deutschland (IRD) integriert. Wie kommt es dazu?


Möllmann: Aufgrund des Wunsches seitens der Politik nach besserer Kontrolle von Implantaten, insbesondere bei Brust-, Knie- und Hüftimplantaten, wurde das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vor einiger Zeit beauftragt, ein bundesweites verpflichtendes Implantate-Register zu schaffen. Da es für das BMG ein neues Feld war, ist es sehr gerne auf die langjährige Expertise von GARY zugekommen, um gemeinsam einen Datensatz, der ab 1. Januar für die Betroffenen verpflichtend erfragt wird, zu erarbeiten und eine solide Datengrundlage zu schaffen. Im neuen Jahr werden dann die GARY-Daten in dieses übergreifende Register, das IRD, übergehen.


Beyersdorf: GARY konnte durch die freiwillige Teilnahme von fast 100 Kliniken und die Einwilligung von >180.000 Patientinnen und Patienten eine bedeutende Datenbasis aufbauen. Damit ließ sich das Register gut als Vorlage für das IRD nutzen.

Zur Person

Prof. Friedhelm Beyersdorf

Prof. Friedhelm Beyersdorf ist Herzchirurg und war Präsident der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) (2021–2022) sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) (2009–2011). Seit April 2022 ist er nicht mehr klinisch tätig, aber weiter als Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg angestellt.

Bildquelle: Universitätsklinikum Freiburg

Zur Person

Prof. Helge Möllmann

Prof. Helge Möllmann ist Kardiologe und als Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I / Kardiologie am St. Johannes Hospital Dortmund tätig. Seine Schwerpunkte liegen insbesondere auf der interventionellen Kardiologie.

HERZMEDIZIN: Was ändert sich mit dem Übergang in das IRD für die Kliniken und für die Patientinnen und Patienten?


Beyersdorf: Die größte Änderung ist, dass nun 100 % der Fälle erfasst und ausgewertet werden können, was einen großen Vorteil darstellt. Für die Kliniken, die nicht am Deutschen Aortenklappenregister teilgenommen hatten, bedeutet dies allerdings erhebliche Anpassungen, da sie bislang möglicherweise nicht die Infrastruktur oder das Personal hatten, um die Daten einzupflegen. Jetzt müssen diese Voraussetzungen geschaffen werden.


Möllmann: Es ist ein wichtiger Punkt, dass keine individuelle Einwilligung der Patientinnen und Patienten mehr erforderlich ist. Das Einverständnis wird vorausgesetzt, was die Aufklärung und Dokumentation vereinfacht. Durch die Verpflichtung werden nun auch alle Kliniken einbezogen, was noch verlässlichere Zahlen ermöglicht und die Datenqualität steigert. Was ich allerdings kritisch sehe, ist, dass die Kliniken für die Dateneingabe nicht entlohnt werden, sondern sogar noch bezahlen müssen, auch wenn es nur ein kleiner Betrag ist.

„Wo Reibung ist, entsteht auch Wärme“

 

HERZMEDIZIN: Das Deutsche Aortenklappenregister wurde bislang gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) sowie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) verantwortet. Wie gestaltete sich die bisherige Zusammenarbeit? Gab es auch Reibungspunkte? Und ändern sich die Verantwortlichkeiten durch die Integration in das IRD?


Möllmann:
Natürlich gab es Diskussionen, insbesondere bei der Interpretation der Daten. Aber wo Reibung ist, entsteht auch Wärme. Am Ende des Tages haben die Debatten zu vernünftigen Lösungen geführt und das gemeinsame Engagement hat die Fachgesellschaften auch ein Stück weiter zusammenwachsen lassen, was uns auch für die Zukunft gemeinsam als die richtigen Ansprechpersonen für die herzmedizinischen IRD-Daten qualifiziert.


Beyersdorf: Da kann ich nur zustimmen. Beide Fachgesellschaften haben hier vertrauensvoll zusammengearbeitet und ein Register wie GARY ist auch nur durch solch eine Kooperation möglich, wie sie hervorragend von den Gründern des Registers, Prof. Friedrich W. Mohr (DGTHG) und Prof. Christian W. Hamm (DGK), initiiert worden ist. Auch zukünftig werden wir bei der Interpretation der Daten sicherlich eine entscheidende Rolle spielen, auch wenn die Datenerhebung nun über das IRD erfolgt.


HERZMEDIZIN: Welche langfristigen Vorteile erhoffen Sie sich von der Integration des Aortenklappenregisters in das IRD für die herzmedizinische Gesundheitsversorgung? Gibt es auch Herausforderungen?


Beyersdorf: Die größten Vorteile sind wie erwähnt die vollständige Datenerfassung und das Entfallen einer zeitaufwändigen Aufklärungspflicht. Die medizinischen Erkenntnisse werden allen zugutekommen. Darüber hinaus freuen wir uns, dass durch den Übergang in das IRD die Finanzierung bis auf Weiteres sichergestellt ist. Wichtig ist, dass die Daten nicht nur gesammelt, sondern auch weiterhin wissenschaftlich korrekt analysiert werden, sowohl aus medizinischer Sicht als auch mit Maß, Ziel und Weitsicht hinsichtlich gesundheitspolitischer Maßnahmen.


Eine andere Herausforderung ist der bürokratische Aufwand durch die Dateneingabe. Um diesen zu reduzieren, sollten neue Technologien wie KI oder Automatisierung durch Schnittstellen genutzt werden, um Daten leichter zu übertragen.


Möllmann: Neben den vielen Vorteilen sehe ich aus wissenschaftlicher Sicht allerdings einen großen Nachteil: Es ist im neuen Implantateregister kein strukturiertes Follow-up vorgesehen. Bei GARY wurden regelhaft zumindest bestimmte Patientenkollektive bis zu 5 Jahre nachverfolgt. Zwar können Sozialversicherungsdaten und Ähnliches für gematchte Analysen genutzt werden, aber die Aussagekraft wird dadurch begrenzt.

Ein Wunsch zu Weihnachten

 

HERZMEDIZIN: Es ist bald Weihnachten. Gibt es etwas, was Sie sich hinsichtlich des Registers noch wünschen?


Möllmann: Ich möchte gern einen großen Dank aussprechen: besonders den >180.000 Patientinnen und Patienten, die ihre Daten zur Verfügung gestellt haben, aber auch den Kliniken, dem ärztlichen Personal, der Dokumentationsassistenz, die unermüdlich an der Datenerhebung gearbeitet haben. Auch dem BQS-Institut, das die Daten für uns verwaltet hat. Ohne diesen Einsatz aller Beteiligten hätte man ein so großes Register wie das Deutsche Aortenklappenregister nicht auf die Beine stellen können. Großer Dank gebührt auch den beiden Geschäftsführern des Registers, Herrn Dr. Konstantinos Papoutsis von der DGK und Herrn Dr. Andreas Beckmann von der DGTHG. Die beiden haben das Register auch in schwierigen Zeiten wirtschaftlich auf Kurs gehalten!


Beyersdorf: Wir können da gar nicht genug danken. Unser Dank geht an alle Beteiligten, die dieses Projekt unterstützt haben. Diese Leistung war rein freiwillig, was angesichts der ohnehin hohen Belastung in den Kliniken eine enorme Anerkennung verdient.


Wenn wir noch einen Wunsch frei haben, würden wir uns über regelhafte 5- und 10-Jahres-Follow-ups freuen, aber angesichts der Lage des Bundeshaushalts bleibt es wohl ein Wunsch.


Möllmann: Darüber hinaus wäre auch ich wunschlos glücklich.


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