Hessen macht es vor: Reanimations-Unterricht an Schulen

 

Als erstes Bundesland in Deutschland führt Hessen einen verpflichtenden Unterricht zur Laien-Reanimation ein. Das ist ein wichtiger Baustein, um die niedrige Laien-Reanimationsquote von nur rund 51 % in Deutschland zu verbessern. Eine Steigerung der Quote könnte rund 10.000 Menschenleben pro Jahr zusätzlich retten, so die DGK. Prof. Thomas Voigtländer, Vorstand der Deutschen Herzstiftung, spricht über Bedeutung, Herausforderungen und bereichsübergreifende Perspektiven dieser Initiative.

Von:

Martin Nölke & Romy Martínez

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

22.11.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Black Duck Style / Shutterstock.com

Im Schuljahr 2023/2024 nahmen 30 hessische Schulen an einer Pilotphase zum Wiederbelebungsunterricht teil. In diesem Schuljahr folgen 180 weitere Schulen. Im Laufe der nächsten 3 Jahre sollen alle weiterführenden Schulen in Hessen den Reanimations-Unterricht in Klasse 7 durchführen.

 

HERZMEDIZIN: Hessen ist nun bundesweit Vorreiter für einen verpflichtenden Reanimations-Unterricht, auch durch das Engagement der Deutschen Herzstiftung. Ein toller Erfolg!


Voigtländer: Wir sind allen Beteiligten sehr dankbar, dass diese Initiative gelungen ist. Bereits seit 2014 wird auf Länderebene beabsichtigt, Reanimationsunterricht in die Schulen zu integrieren. Doch es hatte bisher an einem pragmatischen, gut umsetzbaren Ansatz gefehlt. Dank der Zusammenarbeit mit der hessischen Landesregierung und der Björn Steiger Stiftung konnte dies nun Wirklichkeit werden. Es ist ein entscheidender Schritt, um die niedrigen Reanimationsraten durch Laien-Ersthelferinnen und -Ersthelfer in Deutschland nachhaltig zu verbessern.


HERZMEDIZIN: Warum hat sich die Umsetzung eines bundesweiten Reanimationsunterrichtes bisher als so schwierig erwiesen?


Voigtländer: Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine der zentralen Herausforderungen war es, ein Konzept zu entwickeln, das flächendeckend, kosteneffizient und dennoch qualitativ hochwertig umgesetzt werden kann. Ein glücklicher Umstand war dabei, dass die neue hessische Landesregierung dieses Thema ohnehin in ihren Koalitionsvertrag einbringen wollte. Gemeinsam mit der Björn Steiger Stiftung haben wir von der Deutschen Herzstiftung dann ein Konzept zur fachlichen und logistischen Unterstützung bei der Umsetzung aufgestellt. Die Schulungsinhalte wurden auf die Methode „Prüfen – Rufen – Drücken“ komprimiert. Laien als Ersthelfende sollen sich auf die in den ersten Minuten entscheidende Herzdruckmassage konzentrieren. Die Beatmung fällt als Anforderung weg. Diese Vereinfachung senkt für viele Menschen die Hemmschwelle, überhaupt tätig zu werden.

  • Die Gehirnzellen erleiden nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand bereits nach nur 3 bis 5 Minuten ohne Blutfluss irreparable Schäden.
  • Bis der Rettungsdienst eintrifft, vergehen im Durchschnitt 8 Minuten oder länger.
  • Die Überlebenswahrscheinlichkeit sinkt pro Minute ohne Wiederbelebungsmaßnahmen um 10 %.
  • In Deutschland führen nur bei rund der Hälfte der mehr als 70.000 jährlichen Fälle eines Herzstillstands außerhalb eines Krankenhauses ersthelfende Laien eine Wiederbelebung durch.
  • Während die Laien-Reanimationsquote in Deutschland bei ca. 51 % liegt, erreichen beispielsweise die Niederlande eine Quote von ca. 70 %, Schweden von über 80 %.
  • Wenn Laien im Ernstfall sofort mit einer Herzdruckmassage beginnen würden, könnten nach Schätzungen jedes Jahr in Deutschland 10.000 Leben gerettet werden.

 

Referenzen:

  • Bildungsportal Wiederbelebung. URL: https://wiederbelebung-in-schulen.de/home
  • Bundesgesundheitsministerium. URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Flyer_Poster_etc/Faktenblatt_Laienreanimation_BMG-BZgA.pdf

HERZMEDIZIN: Wie werden die Schulen konkret unterstützt?


Voigtländer: Die Schulen können eine zentrale Lernplattform nutzen. Module mit Lehrvideos vermitteln den Lehrkräften in etwa einer Stunde die notwendigen Grundlagen, um die Inhalte im Unterricht umzusetzen: vom biologischen Hintergrund über die Vorbereitung der Reanimationspuppen bis zur praktischen Übung von „Prüfen – Rufen – Drücken“. Didaktisch aufbereitete Schulungsmaterialien inklusive Anleitungen, können die Lehrerinnen und Lehrer direkt im Unterricht einsetzen. Die Björn Steiger Stiftung stellt zudem in Hessen Reanimationspuppen für die praktische Übung zur Verfügung. Uns war es wichtig, das Konzept für das Land möglichst kostenneutral zu gestalten.


Über dieses Basisangebot hinaus bieten die Björn Steiger Stiftung, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser Hilfsdienst den Schulen die Möglichkeit, Präsenzschulungen durchzuführen, die auch den Einsatz von automatisierten externen Defibrillatoren (AEDs) vermitteln.

Zur Person

Prof. Thomas Voigtländer

Prof. Thomas Voigtländer ist Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhauses und Mitglied im Cardioangiologischen Centrum Bethanien (CCB) in Frankfurt a. M. Zu seinen Schwerpunkten zählen u. a. die interventionelle Kardiologie und die nichtinvasive Bildgebung. Seit 2021 ist er Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, dem Vorstand gehört er seit mehr als 10 Jahren an.

HERZMEDIZIN: Warum wurde die 7. Klasse für den Reanimationsunterricht gewählt?


Voigtländer: Wir hatten intensive Diskussionen dazu, auch mit dem Kultusministerium in Hessen. Vor Ort an den Schulen haben wir gesehen, dass das Alter der Schülerinnen und Schüler in der siebten Klasse genau richtig ist: Sie sind alt genug, um die Verantwortung und Methodik zu verstehen und bringen Neugier und Motivation für das Thema mit.


HERZMEDIZIN: Gibt es bereits Interesse aus anderen Bundesländern oder auf Bundesebene?


Voigtländer: Wir haben in der Tat schon Anfragen aus anderen Bundesländern erhalten, weil der pragmatische Ansatz gut ankommt. Aus Bundessicht ist es auch ein Anliegen, aber Schulunterricht ist Ländersache und der Weg geht hier sinnvollerweise über die Kultusministerien der Länder, um es dann für alle Schulen eines Landes zu regeln. Die Lernplattform mit den Unterrichtsmaterialien steht ohnehin zur Verfügung. Klärungsbedarf besteht vor allem bei der Bereitstellung der Reanimationspuppen, was aus meiner Sicht aber ein lösbares Problem darstellt. Für Hessen übernimmt das die Björn Steiger Stiftung; in anderen Ländern müssen entsprechende Partner gefunden werden.


Der Charme an dem Konzept insgesamt ist, dass es flächendeckend und standardisiert leicht umgesetzt werden kann. Das kann auch noch weitergedacht werden für Betriebe, Sportverbände usw. Da lässt sich viel Gutes bewirken, ohne die Welt komplett neu erfinden zu müssen.

 

„Die Reanimation ist eine echte Herzensangelegenheit von mir. Jede Person kann sie erlernen und es kann so vielen Menschen geholfen werden.“

Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung


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