Baustellen beim AOP-Vertrag und Checklisten für den Arzt-Vorbehalt


Hybrid-DRG, Kontextfaktoren, Arzt-Vorbehalt – der aktuelle AOP-Vertrag wirft im klinischen Alltag einige Fragen auf. Für das stationäre Erbringen von Leistungen, die im Katalog der ambulanten Operationen aufgeführt sind, bietet die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) mit neuen Checklisten nun eine wichtige Entscheidungs- und Argumentationshilfe. Prof. Christoph Stellbrink, Universitätsklinikum OWL, war federführend beteiligt.

Von Martin Nölke

 

20.06.2023

HERZMEDIZIN: Herr Professor Stellbrink, seit dem 1.1.2023 gilt der neue Vertrag zum ambulanten Operieren, der AOP-Vertrag. Neben neuen ambulant zu erbringenden Leistungen soll auch die Abrechnung sogenannter „Hybrid-DRG“ ermöglicht werden. Wo bestehen aktuell noch wesentliche Unklarheiten?

 

Stellbrink: Leider gibt es noch wenig Klarheit zu den Hybrid-DRG nach § 115f SGB V. Die Partner der Selbstverwaltung – DKG, GKV-SV und KBV – sollten sich bis Ende März 2023 einigen, welche Leistungen, die im Jahr 2023 neu in den AOP-Katalog aufgenommen wurden, in die Liste der Hybrid-DRG gehen sollen. Schon das ist nicht gelungen, so dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in die Ersatzvornahme gehen will. Bisher gibt es aber auch dazu noch keine Beschlüsse.

Auch ist immer noch nicht klar, wie die Vergütung der Hybrid-DRG aussehen soll. Zu hoffen ist, dass diese oberhalb der Vergütung laut des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) liegen wird. Es ist auch davon auszugehen, dass schon im Jahr 2024 weitere Leistungen in den AOP-Katalog aufgenommen werden. Erste Verhandlungen dazu beginnen schon demnächst. Umso wichtiger ist es, jetzt endlich Klarheit zu bekommen, welche Leistungen denn bisher in die Hybrid-DRG gehen sollen und wie dies vergütet wird.

 

HERZMEDIZIN: In einem Positionspapier hat die DGK bereits Stellung genommen, welcher Voraussetzungen es aus fachlicher Sicht für die ambulante Erbringung kardiologischer Leistungen bedarf. Ergänzend bietet die DGK nun eine Hilfestellung zum Umgang mit den sogenannten Kontextfaktoren aus dem AOP-Vertrag. Wie sieht diese Hilfestellung aus und welche Rolle spielt der „Arzt-Vorbehalt“ dabei?

 

Stellbrink: Die mit dem neuen AOP-Vertrag publizierten "Kontextfaktoren" sollen die bisherigen G-AEP-Kriterien (German Appropriateness Evaluation Protocol) ersetzen. Die Kontextfaktoren sind nicht hinreichend genau zur Identifizierung solcher Hochrisikopatienten und -patientinnen geeignet, die z. B. zu viele Ko-Morbiditäten aufweisen, um einen Eingriff, der ansonsten ambulant durchzuführen ist, dennoch stationär abrechnen zu können. Eine direkte Einflussnahme der DGK als Fachgesellschaft auf die Kontextfaktoren war im bisherigen Verfahren nicht möglich.

Allerdings ist im § 2 des AOP-Vertrags der sogenannte "Arzt-Vorbehalt" enthalten, d. h. die behandelnde Person, die den Eingriff durchführt, muss sich vergewissern, dass Art und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands der zu behandelnden Person die ambulante Durchführung erlauben. Die Ärztin oder der Arzt muss außerdem prüfen, ob die betroffene Person nach dem Eingriff im häuslichen Umfeld angemessen versorgt ist. Genau zu diesen Fragestellungen hat die DGK vor einigen Jahren im Konsens mit dem Medizinischen Dienst (MD) Kriterien entwickelt, die nun aktualisiert den Mitgliedern als "Checklisten" zur Verfügung gestellt werden.

 

"Es ist schon sehr enttäuschend, dass der Gedanke des 'Shared Decision-Making' im aktuellen AOP-Vertrag keine Rolle spielt."

Prof. Christoph Stellbrink, Universitätsklinikum OWL

Bett im Krankenhaus Ambulant oder doch stationär? Neue Checklisten des DGK helfen bei Entscheidung und Argumentation zu Leistungen des AOP-Vertrags. (Symbolbild) Bildquelle: preecha2531 / Shutterstock.com

 

HERZMEDIZIN: Was ist im Umgang mit den Checklisten zu beachten?

 

Stellbrink: Die Checklisten haben Empfehlungscharakter, sind also nicht rechtsverbindlich. Auch werden sie nicht alle Streitfälle abdecken können. Aber immerhin wurden diese Kriterien ganz überwiegend mit dem MD bereits konsentiert, der ja die Fallprüfungen vornehmen wird. Darauf kann man sich dann im Dialog mit dem MD berufen.

 

HERZMEDIZIN: Wo besteht aus Ihrer Sicht noch Diskussions- bzw. Nachholbedarf?

 

Stellbrink: Die eigentlichen Kontextfaktoren brauchen dringend eine Überarbeitung. Kontextfaktoren sind eigentlich auch Fach-spezifisch. So dürften bei viszeralchirurgischen Eingriffen andere Ko-Morbiditäten eine Rolle spielen als eben in der Kardiologie. Das, was bisher im neuen AOP-Vertrag steht, ist bei Weitem nicht ausreichend und in dieser Form praktisch unbrauchbar.

Nicht zuletzt dient das gesamte Gesundheitssystem den Patientinnen und Patienten. Da ist es schon sehr enttäuschend, dass der Gedanke des "Shared Decision-Making", der in den angloamerikanischen Gesundheitssystemen gebräuchlich ist, im aktuellen AOP-Vertrag keine Rolle spielt. Denn natürlich sollten auch die Patientinnen und Patienten mitentscheiden dürfen, ob sie eine ambulante oder stationäre Behandlung wünschen.


Aktuelle Checklisten für die stationäre Leistungserbringung bei AOP-Leistungen

Unabhängig von den Kontextfaktoren aus dem AOP-Vertrag können Ärztinnen und Ärzte eine Leistung des AOP-Katalogs stationär erbringen, wenn eine ambulante Durchführung nicht vertretbar erscheint. Für diesen "Arzt-Vorbehalt" bietet der DGK aktuelle (nicht rechtsverbindliche) Checklisten als Argumentationshilfe an. Hier sind die Tabellen zum Herunterladen:

 

Tabelle 1: Allgemeine Begründung für stationäre Leistungserbringung nach § 2 Absatz 2 bei Leistungen des AOP-Vertrags gem. § 115b Absatz 1 SGB V vom 21.12.2022

 

Tabelle 2: Prozedur-bezogene Begründung (koronar) für stationäre Leistungserbringung nach § 2 Absatz 2 bei Leistungen des AOP-Vertrags gem. § 115b Absatz 1 SGB V vom 21.12.2022

 

Tabelle 3: Prozedur-bezogene Begründung (Herzschrittmacher/ICD) für stationäre Leistungserbringung nach § 2 Absatz 2 bei Leistungen des AOP-Vertrags gem. § 115b Absatz 1 SGB V vom 21.12.2022

Hintergrund-Infos

Der Arzt-Vorbehalt im AOP-Vertrag

Der Arzt-Vorbehalt ist im AOP-Vertrag gemäß § 2 Absatz 2 folgendermaßen definiert:

 

"Aus dem als Anlage 1 des Vertrages beigefügten 'Katalog ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen' kann nicht die Verpflichtung hergeleitet werden, dass die dort aufgeführten Eingriffe ausschließlich ambulant zu erbringen sind. Der Arzt ist verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Art und Schwere der beabsichtigten Leistung unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Patienten die ambulante Durchführung nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erlauben. Zugleich muss sich der verantwortliche Arzt vergewissern und dafür Sorge tragen, dass der Patient nach Entlassung aus der unmittelbaren Betreuung des behandelnden Arztes auch im häuslichen Bereich sowohl ärztlich als gegebenenfalls auch pflegerisch angemessen versorgt wird. Die Entscheidung ist zu dokumentieren."

 

Quelle: Vertrag nach § 115b Absatz 1 SGB V – Ambulantes Operieren, sonstige stationsersetzende Eingriffe und stationsersetzende Behandlungen im Krankenhaus – (AOP-Vertrag) zwischen dem GKV-Spitzenverband, Berlin,  und der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V., Berlin, sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Berlin. https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/ 2_Themen/2.2_Finanzierung_und_Leistungskataloge/2.2.4._Ambulante_Verguetung/2.2.4.2._Ambulantes_Operieren_115b_SGB_V/Neuer_AOP-Vertrag_zum_01.01.2023.pdf

AOP-Vertrag, AOP-Katalog und AOP-Kontextfaktoren

Seit dem 1.1.2023 ist der neue Vertrag zum ambulanten Operieren (AOP-Vertrag) in Kraft getreten. Der AOP-Vertrag wurde vereinbart zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Nach der dreimonatigen Übergangsfrist sind die dort getroffenen Vereinbarungen inzwischen prinzipiell verbindlich umzusetzen. Es wurden ca. 200 neue Leistungen in den Katalog ambulant zu erbringender Leistungen aufgenommen und es ist die Leistungsabrechnung sogenannter „Hybrid-DRG“ vorgesehen.

 

Hier finden Sie den AOP-Vertrag mit dem Katalog Ambulanter Operationen (AOP-Katalog) sowie die Tabelle mit den AOP-Kontextfaktoren.

DGK-Positionspapier vom 03.03.2023

Dieses Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) nimmt Bezug zum aktuellen AOP-Vertrag und spricht Empfehlungen für die strukturellen, prozeduralen und personellen Voraussetzungen für eine ambulante Erbringung kardiologischer Leistungen aus fachlicher Sicht aus. Dabei wird unter anderem auf die Bedeutung der Kontextfaktoren und des "Shared Decision-Makings" eingegangen.

 

Stellbrink C, Weber MA, Frankenstein L, et al (2023). Strukturelle, prozedurale und personelle Voraussetzungen für eine ambulante bzw. stationäre Erbringung kardiologischer Leistungen – Ein Positionspapier der DGK

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