HERZMEDIZIN: Gibt es diese Möglichkeit zurzeit nicht?
Baldus: Diese Kriterien, die dazu führen, dass Betroffene stationär bleiben, sind sehr strikt und diese weichen Kriterien für solche im weitesten Sinne sozialen Indikationen sind nicht wirklich etabliert. Das ist etwas, was Aufgabe der Fachgesellschaft sein wird, da nachzuschärfen.
HERZMEDIZIN: Gibt es aus Ihrer Sicht Leistungen, die zunehmend ambulant erbracht werden, obwohl das aus medizinischen oder auch strukturellen Gründen problematisch ist?
Baldus: Strukturelle Gründe gibt es sicher eine Reihe. Universitätskliniken sind auf ambulantes Operieren in der Regel nicht so spezialisiert wie kleinere Häuser oder insbesondere auch große Praxen. Aber das würde ich jetzt nicht gelten lassen, denn es ist unsere Aufgabe, damit umzugehen und Lösungen mit der Zeit zu finden. Aber die Zeit muss man uns geben. Das geht nicht von jetzt auf gleich, so wie in der Vergangenheit.
Auf der anderen Seite gibt es Leistungen, für die man als Versicherungsnehmerin und -nehmer auch in Zukunft erwarten sollte, dass man dafür im Krankenhaus bleiben darf. Also Eingriffe bei strukturellen Herzerkrankungen beispielsweise. Die US-Amerikaner zeigen zwar, dass es möglich ist, Personen am Tag der Prozedur zu entlassen, aber ich bin nicht sicher, ob das ein guter Weg ist. Ich glaube, hier muss man einfach dem Sicherheitsbedürfnis der Patientinnen und Patienten nachkommen dürfen, um Betroffene bei solchen komplexeren Eingriffen auch stationär zu behalten.
HERZMEDIZIN: Die AOP- und Hybrid-DRG-Kataloge werden jährlich aktualisiert. Finden Sie, dass wissenschaftliche Evidenz und Umsetzbarkeit dabei immer ausreichend berücksichtigt werden?
Baldus: Mit der wissenschaftlichen Evidenz ist das natürlich so eine Sache. Wir haben keine klaren Signale, dass beispielsweise die Durchführung einer ambulanten Koronarintervention, wenn sie technisch nicht kompliziert ist, wirklich ein Problem darstellt. Daher müssen wir uns dem irgendwo auch beugen. Da wir uns alle einig sind, dass die Kosten des Gesundheitssystems in der gegenwärtigen Situation ein Problem sind, müssen wir diesen Weg mitgehen.
Das ist auch die Strategie der Verantwortlichen aus der Fachgesellschaft, die im Gespräch mit der Politik sind, dass man auf der einen Seite sagt, wir bewegen uns in Richtung Ambulantisierung und ambulantes Operieren, aber es gibt auch Bereiche, für die wir das nicht möglich machen können, weil es dann einfach wirklich kritisch wird. Wenn Sie allerdings nach ganz harter wissenschaftlicher Evidenz fragen, dann werden Sie dazu nicht viel finden.
HERZMEDIZIN: Sie haben gerade gesagt, es muss Aufgabe der Fachgesellschaft sein, diese weicheren Kriterien zu erarbeiten, also dass man auch individualisierte Entscheidungen treffen darf. Was bedeutet das konkret?
Baldus: Es gibt ein Positionspapier aus dem Jahr 2023 genau zu dieser Frage der Ambulantisierung. Die Maxime dieser Position, die Herr Stellbrink federführend für die Fachgesellschaft erarbeitet hat, war, dass es auf der einen Seite die ärztliche Entscheidung geben muss und auf der anderen Seite den Patientenwillen, der in die Entscheidung, ob jemand ambulant oder stationär geführt wird, mit eingehen muss. Die ärztliche und die individualisierte Entscheidung, die die Patientin oder der Patient wünscht, muss weiterhin in diesem System möglich bleiben.