ACC-Rückblick: Neue Studien zur interventionellen Kardiologie

Die interventionelle Kardiologie war beim ACC-Kongress 2023 mit wichtigen „Late-Breaker“-Studien präsent – so etwa mit der ersten randomisierten Studie zum Vergleich des Clip-basierten „Edge-to-Edge“-Verfahrens mit einer konservativen Therapie bei schwerer Trikuspidalinsuffizienz. Auch die 5-Jahres-Ergebnisse der COAPT-Studie zur katheterbasierten Klappenreparatur bei Mitralinsuffizienz sowie die BIOVASC-Studie zum „Timing“ einer kompletten Revaskularisation sorgten für Gesprächsstoff.

Von Peter Overbeck

 

05.04.2023

Das sind die aktuellen Ergebnisse der drei Studien im Überblick.

Trikuspidalinsuffizienz: Erste randomisierte Studie zur Clip-Device-Therapie

Durch eine erfolgreiche katheterinterventionelle Reparatur der Trikuspidalklappe (transkutane „Edge-to-edge“-Reparatur oder TEER) wird die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten mit symptomatischer schwerer Trikuspidalinsuffizienz signifikant verbessert. Das zeigt die als „Late-breaking Trial“ beim ACC-Kongress 2023 präsentierte TRILUMINATE-Pivotal-Studie.


Mit der TRILUMINATE-Pivotal-Studie ist ein wichtiger Schritt in der seit einiger Zeit forciert betriebenen Entwicklung interventioneller Therapieoptionen für oft schwierig zu behandelnde Risikopatientinnen und -patienten mit Trikuspidalinsuffizienz gemacht worden. Schließlich handelt es um die erste prospektive randomisierte Studie, in der die kathetergestützte Klappenrekonstruktion – in diesem Fall mit dem TriClip-System der dritten und vierten Generation – mit einem medikamentösen Therapieregime bei Patientinnen und Patienten mit Trikuspidalinsuffizienz (n = 350) verglichen worden ist.


Möglicherweise sieht nicht jeder seine Erwartungen an die Studie durch das präsentierte 1-Jahres-Ergebnis bereits erfüllt. Zwar erwies sich die interventionelle TEER-Behandlung im Hinblick auf den primären Studienendpunkt (eine Kombination aus Tod oder Trikuspidalklappen-Operation, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder Verbesserung der Lebensqualität, gemessen als Anstieg des Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire (KCCQ) Scores um mindestens 15 Punkte) der konservativen Therapie als signifikant überlegen (Win Ratio: 1,48; 95-%-Konfidenzintervall: 1,06–2,13; p = 0,02). Für die Komponenten dieses Endpunktes galt das jedoch nicht in gleichem Maß.

Als Triebkraft des Erfolgs beim primären Endpunkt stellte sich die signifikante Verbesserung der Lebensqualität der Patientinnen und Patienten durch die kathetergestützte Klappenrekonstruktion mit dem Clip-System heraus. Der Anteil an Patientinnen und Patienten mit einem Anstieg des KCCQ Scores um 15 Punkte oder mehr war mit 49,7 % versus 26,4 % in der TEER-Gruppe etwa doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe.

Damit hat der Unterschied bei der am stärksten subjektiven Einflüssen unterliegenden Endpunktkomponente den Ausschlag für das positive Studienergebnis gegeben. Bezüglich der härteren klinischen Endpunkte Gesamtmortalität, Trikuspidalklappen-Operationen und Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz bestanden dagegen keine signifikanten Unterschiede zwischen TEER und konservativer Therapie. Auch die Ergebnisse beim 6-Minuten-Gehtest unterschieden sich nicht.

Die Klappenfunktion zeigte sich in der Gruppe mit interventioneller Klappenreparatur deutlich verbessert. So betrug der Anteil der Patientinnen und Patienten, bei denen der Schweregrad der Trikuspidalklappeninsuffizienz nach 30 Tagen nur noch als maximal „moderat“ oder geringer eingestuft wurde, bei 87,0 %, im Vergleich zu 4,8 % in der konservativ behandelten Gruppe (p < 0,001). Auch ergab eine Analyse, dass die Verbesserung der Lebensqualität direkt mit der Reduktion der Trikuspidalinsuffizienz korrelierte.

Das TEER-Verfahren erwies sich in der Studie im Übrigen als sehr sicher. Für die TRILUMINATE-Pivotal-Studie ist ein Gesamt-Follow-up von fünf Jahren geplant. Ob die TriClip-Behandlung mit zunehmender Beobachtungsdauer auch zu positiven Veränderungen bei Endpunkten wie Mortalität oder Hospitalisierungen führen wird, bleibt abzuwarten.

Mitralinsuffizienz: Die finalen 5-Jahres-Ergebnisse der COAPT-Studie

Wesentlich größer sind die Erfahrungen in der klinischen Anwendung des TEER-Verfahrens inzwischen bei Patientinnen und Patienten mit Mitralinklappensuffizienz. Unter den katheterinterventionellen Therapien bei Mitralinsuffizienz gibt es für das MitraClip-Verfahren die beste klinische Evidenz.

Dafür liegen bekanntlich mit MITRA-FR und COAPT auch zwei randomisierte kontrollierte Studien zum Vergleich mit einer medikamentösen Therapie vor – die allerdings wegen divergierender Ergebnisse die Diskussion heftig befeuert haben. Im Unterschied zur enttäuschenden MITRA-FR-Studie überraschte die COAPT-Studie mit sehr positiven 2-Jahres-Ergebnissen bezüglich der Reduktion von Mortalität und Klinikeinweisungen. Als Grund für die Divergenz wird gemeinhin die unterschiedliche Patientenselektion angeführt, die in der COAPT-Studie vorwiegend zur Aufnahme von Patientinnen und Patienten mit höherem Schweregrad der sekundären Mitralklappeninsuffizienz, aber einer geringeren linksventrikulären Dilatation geführt hat.

Beim ACC-Kongress 2023 sind nun die 5-Jahres-Ergebnisse der COAPT-Studie vorgestellt worden. So glänzend wie die 2018 präsentierten 2-Jahres-Daten sind die neuen Ergebnisse angesichts hoher Ereignis- und Sterberaten in beiden Behandlungsgruppen nicht mehr. Für einen Vorteil zugunsten der MitraClip-Therapie hat es dennoch gereicht.

Bei jährlichen Hospitalisierungsraten von 33,1 % versus 57,2 % ist auch nach fünf Jahren durch die MitraClip-Therapie signifikant mehr Patientinnen und Patienten ein Klinikaufenthalt wegen Herzinsuffizienz erspart geblieben (Hazard Ratio: 0,53; 95-%-Konfidenzintervall: 0,41–0,68). Bei Mortalitätsraten von 57,3 % versus 67,2  % starben in diese Zeit in der Gruppe mit interventioneller Therapie zudem weniger Patientinnen und Patienten als in der rein medikamentös behandelten Gruppe (HR: 0,72; 95-%-KI: 0,58–0,89). Und auch beim kombinierten Endpunkt aus Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz und Todesfälle jeglicher Ursache fiel das Ergebnis bei 5-Jahres-Raten von 73,6  % versus 91,5  % zugunsten der katheterinterventionellen Therapie aus (HR: 0,53; 95-%-KI: 0,44–0,64). Mit nur vier Device-spezifischen Komplikationen erwies sich das MitraClip-Verfahren als sehr sicher.

Angesichts der hohen Mortalitätsraten räumte COAPT-Studienleiter Prof. Gregg Stone, Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, ein, dass Bedarf an weiteren Therapien zur Verbesserung der zugrundeliegenden linksventrikulären Dysfunktion bei dieser Hochrisikogruppe bestehe.

Kritikische Stimmen wiesen auf Limitierungen hin, durch die die Interpretierbarkeit der Ergebnisse erschwert werde. So war jenseits von zwei Jahren bei vielen der zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Patientinnen und Patienten in der zunächst konservativ behandelten Gruppe das MitraClip-Verfahren zur Anwendung gekommen (Cross-over). Das könnte die Unterschiede zwischen beiden Gruppen minimiert haben.

Auch kam die Frage auf, wie übertragbar die COAPT-Ergebnisse auf die heutige Praxis überhaupt noch sind. Denn inzwischen ist die medikamentöse Therapie bei Herzinsuffizienz durch neue Wirkstoffe wie Sacubitril/Valsartan und SGLT2-Hemmer, die in COAPT nur selten zur Anwendung kamen, in jüngster Zeit weiter verbessert worden. Und auch das in der Studie verwendete Clip-Device der ersten Generation ist inzwischen als technisch verbessertes Device in vierter Generation verfügbar.

Deshalb war auch der Ruf nach einer Neuauflage der COAPT-Studie unter Bedingungen der heutigen Praxis zu hören. Studienleiter Stone zeigte sich von der Notwendigkeit einer solchen Studie nicht überzeugt. Er glaubt, dass durch die effektivere medikamentöse Therapie zwar der Kreis derjenigen Patientinnen und Patienten, die für eine TEER-Behandlung infrage kommen, kleiner werden könnte. Bei denjenigen Patientinnen und Patienten, die eine katheterbasierte Klappenreparatur benötigen, werde diese aber voraussichtlich die gleichen Resultate haben wie in COAPT.

BIOVASC: Neue Evidenz zum „Timing“ bei kompletter Revaskularisation

Dass bei Patientinnen und Patienten mit akutem Koronarsyndrom und Mehrgefäß-KHK eine komplette Revaskularisation unter Einbeziehung auch von nicht infarktbezogenen Koronarstenosen (non-culprit lesions) klinisch vorteilhafter ist als eine alleinige Wiedereröffnung der infarktrelevanten Koronarläsion (culprit lesion), steht inzwischen außer Frage. Unklar ist dagegen noch, wie dabei in der Praxis optimalerweise vorgegangen werden sollte: Sollen alle relevanten Koronarläsionen – also „Culprit“- wie auch „Non-culprit“-Läsionen – gleich bei der Akut-PCI in einem Schritt behandelt werden oder ist es besser, sich bei der Akut-PCI zunächst nur auf die infarktbezogene Koronarläsion zu konzentrieren und für die „Non-culprit“-Läsionen wenig später eine elektive Folge-PCI einzuplanen?

 

In dieser Frage gibt es durch die BIOVASC-Studie, in der beide Strategien einer kompletten Revaskularisation erstmals bei Patientinnen und Patienten mit akutem Koronarsyndrom (40 % STEMI, 52 % NSTEMI) und koronarer Mehrgefäßerkrankung direkt miteinander verglichen wurden, nun neue Evidenz. Nach ihren Ergebnissen war die sofortige Komplett-Revaskularisation im Rahmen der Akut-PCI der zweizeitigen PCI-Strategie in klinischer Hinsicht „nicht unterlegen“.

 

Die 1-Jahres-Rate für den primären Studienendpunkt (Tod, erneuter Herzinfarkt, jegliche ungeplanten zusätzlichen Stenting-Prozeduren sowie zerebrovaskuläre Ereignisse) betrug 7,6 % nach sofortiger kompletter Revaskularisation und 9,4 % nach stufenweiser kompletter Revaskularisation (Hazard Ratio: 0,78; 95-%-Konfidenzintervall: 0,55–1,11).

 

Bei der Mortalität gab es keinen Unterschied zwischen beiden Vorgehensweisen (1,9 % vs. 1,2 %). Nach sofortiger Revaskularisation aller als relevant erachteten Läsionen waren aber weniger Myokardinfarkte (1,9 % vs. 4,5 %) und ungeplante zusätzliche Stenting-Prozeduren (4,2 % vs. 6,7 %) zu verzeichnen als nach in zwei PCI-Sitzungen vorgenommener Revaskularisation. Fast jeder zweite Myokardinfarkt (44 %) in der Gruppe mit stufenweiser Revaskularisation trat dabei im Intervall zwischen beiden PCI-Prozeduren auf. Möglicherweise sei bei der initialen PCI die „culprit lesion“ nicht richtig erkannt und damit zunächst unbehandelt geblieben, so eine von Studienleiter Dr. Roberto Diletti, Erasmus University Medical Center, Rotterdam, angebotene Erklärung für die relativ hohe Infarktrate.


Mögliche Bedenken, dass eine sofortige komplette Revaskularisation mit Risiken für die Patientinnen und Patienten einhergehen könnte, werden durch die BIOVASC-Ergebnisse zweifellos entkräftet. Das bedeutet, dass sich für diese Strategie entschieden werden kann, nicht aber, dass deren Wahl ein „Muss“ ist. Ihre Überlegenheit ist schließlich nicht belegt worden. Je nach besonderer Situation kann es auch weiterhin gute Gründe dafür geben, eine stufenweise Revaskularisation für die bessere Option zu halten.


Literatur

Diletti R. Complete Revascularization Strategies In Patients Presenting With Acute Coronary Syndromes And Multivessel Coronary Disease. Late-breaking Clinical Trials II. ACC-Kongress 2023, 4. – 6. März 2023, New Orleans.


Diletti R. et al. Immediate versus staged complete revascularisation in patients presenting with acute coronary syndrome and multivessel coronary disease (BIOVASC): a prospective, open-label, non-inferiority, randomised trial. Lancet 2023, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)00351-3


Sorajja P. TRILUMINATE Pivotal: A Landmark Randomized Clinical Trial Of Transcatheter Tricuspid Valve Edge-to-Edge Repair For Tricuspid Regurgitation, Late-Breaking Clinical Trials I. ACC-Kongress 2023, 4.–6. März 2023, New Orleans


Sorajja P et al. Transcatheter Repair for Patients with Tricuspid Regurgitation. N Engl J Med. 2023, DOI: 10.1056/NEJMoa2300525


Stone G. 5-Year Follow-Up After Transcatheter Repair of Secondary Mitral Regurgitation – The COAPT Trial. ACC 2023. Late-Breaking Clinical Trials II. 5. März 2023


Stone G et al. Five-Year Follow-up after Transcatheter Repair of Secondary Mitral Regurgitation. N Engl J Med 2023; doi: 10.1056/NEJMoa2300213; 5.3.2023

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