ISCHEMIA zeigt: Ischämielast im Stresstest ohne prognostische Bedeutung

Im Gegensatz zur anatomisch-morphologischen Ausprägung der Koronarerkrankung scheint das Ausmaß der Ischämiebelastung ohne Bedeutung für die Prognose von Patienten mit stabiler KHK zu sein, legt eine neue Analyse der ISCHEMIA-Studie nahe.

Von Peter Overbeck 

 

09.04.2020

Die mit ihren Hauptergebnissen erstmals beim AHA-Kongress im November 2019 vorgestellte und jüngst im „New England Journal of Medicine“ publizierte ISCHEMIA-Studie liefert weiter Stoff für Diskussionen. Eine neue ISCHEMIA-Analyse, deren Ergebnis der allgemeinen Erwartung widersprechen dürfte, hat Studienleiter Dr.  David J. Maron von der Stanford University School of Medicine beim digital inszenierten „virtuellen“  Kongress der American College of Cardiology (ACC20/WCC virtual) vorgestellt. Sie hat ergeben, dass

 

  • der anhand  anatomischer Kriterien bewertete Schweregrad der Koronarerkrankung, nicht aber das Ausmaß der Ischämielast im Belastungstest, prädiktiv für klinische Ereignisse in den nächsten vier Jahren war und dass
  • eine  Strategie der invasiven Revaskularisation mittels perkutaner Koronarintervention (PCI) oder Bypass-OP bei Patienten mit stabiler KHK im Vergleich zur alleinigen optimalen medikamentösen Therapie (OMT) keinen prognostischen  Zusatznutzen hatte  – egal, wie ausgeprägt die morphologisch fassbare Schwere der Koronarerkrankung oder wie groß die Ischämiebelastung im Stresstest war.

 

Die ISCHEMIA-Studie sollte endlich Klarheit darüber schaffen, ob eine routinemäßige Revaskularisation per Herzkatheter (oder gegebenenfalls Bypass-OP) bei Patienten mit stabiler KHK über den präventiven Effekt einer OMT hinaus auch kardiovaskuläre Ereignisse wirksam verhindert. Im Vergleich zu einer initial konservativen Strategie mit OMT (und Revaskularisation nur im dringenden Bedarfsfall) konnte ein prognostischer Nutzen der zusätzlichen invasiven Strategie bekanntlich nicht nachgewiesen werden. Allerdings wurden Symptomatik und Lebensqualität der KHK-Patienten dadurch stärker verbessert als durch OMT allein.

Zwar symptomatischer, aber kein prognoseverbessernder Nutzen

Die Ergebnisse der neuen ISCHEMIA-Analyse widersprechen der allgemeinen Erwartung, dass eine Revaskularisation gerade dann von Vorteil sei, wenn die Myokardischämie besonders ausgeprägt ist. Symptomatisch ist sie dann auch wirksam, als prognoseverbessernde Therapie hingegen nicht, zeigt ISCHEMIA. Es habe sich diesbezüglich kein Benefit der invasiven Strategie finden lassen – egal, wie hoch die Ischämielast war, berichtete Maron.

 

Und obwohl der nach anatomischen Kriterien beurteilte Schweregrad der KHK prädiktiv für Mortalität und Morbidität war, sei selbst bei ausgeprägter KHK – so bei koronarer 3-Gefäß-Erkrankung oder bei 2-Gefäß-Erkrankung mit proximaler RIVA- Beteiligung – kein prognostischer Nutzen der invasiven Strategie innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre erkennbar gewesen, so Maron. Primäres Wirksamkeitskriterium der Studie war ein 5-Komponenten-Endpunkt, der die Ereignissen kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Reanimation nach Herzstillstand sowie Klinikeinweisungen wegen instabiler Angina pectoris oder wegen Herzinsuffizienz zusammensetzte.

 

In ihrer aktuellen Analyse wollten Maron und seine Mitautoren den Einfluss von Koronaranatomie und Ischämielast auf die Behandlungsergebnisse bei invasiver versus konservativer Strategie genauer unter die Lupe genommen. Bezüglich der im Stresstest objektivierten Ischämielast nahmen sie eine Unterteilung in schwer (n=2797), moderat (n=1702) oder mild/nicht vorhanden (n=606) vor.

 

Zur Beurteilung des anatomischen Schweregrades der Koronarerkrankung wurde der maximal sechs Scorepunkte  beinhaltende Modified Duke Prognostic Index (MDPI) herangezogen. Von den rund 2.900 Patienten  mit per  Kardio-CT visualisierter  Koronaranatomie wiesen die meisten eine koronare Mehrgefäßerkrankung auf. So hatten 1.261 einen MDPI-Score von 6 (koronare 3-Gefäßerkrankung mit ≥ 70% Obstruktion oder 2-Gefäß-Erkrankung mit ≥ 70% Obstruktion und proximaler RIVA-Beteiligung) und  1.027 einen Score von 5 (2-Gefäß-Erkrankung mit ≥ 70% Obstruktion oder 3-Gefäß-Erkrankung mit ≥ 50% oder RIVA-Stenose mit ≥ 70% Obstruktion).

Nur Koronaranatomie prädiktiv für die Mortalität

In Relation zur Referenzgruppe der Patienten mit keiner oder nur milder Ischämie konnte keine Assoziation zwischen schwereren Ischämien und Mortalität festgestellt werden. Es fand sich eine nur marginale Assoziation von Ischämielast und künftigen Herzinfarkten (p-Wert für den Trend = 0,04).

 

Bezüglich der Koronaranatomie bildeten Patienten mit der am stärksten ausgeprägten Koronarerkrankung (MDPI-Score von 6) die Referenzgruppe. In Relation zur Mortalität in dieser Gruppe war sowohl die Gesamtsterberate als auch die Herzinfarktrate bei Patienten mit morphologisch weniger ausgeprägter KHK jeweils niedriger (p-Wert für den Trend jeweils  < 0,001). Demnach scheint das anatomische Ausmaß an koronarem Plaque-Befall in engerem Bezug zu  künftigen kardiovaskulären Ereignissen zu stehen als Myokardischämien.

 

Unabhängig davon, welcher der drei Ischämiekategorien oder welchem der vier MDPI-Scores die  Patienten zuzuordnen waren, ergab sich für die invasive Revaskularisation im Vergleich zur konservativen Strategie keinen Vorteil bezüglich einer Reduktion des primären Endpunktes, der Gesamtmortalität oder der Herzinfarkte im Studienzeitraum. Darüber, dass  in der ISCHEMIA-Studie selbst in den höchsten Kategorien für Ischämielast und anatomischen Schweregrad der KHK kein Nutzen der invasiven Strategie (PCI bei 74% und Bypass-OP bei 26% der Teilnehmer) gezeigt werden konnte, dürften viele überrascht sein.

Hoffen darauf, die Studiendauer verlängern zu können

Doch noch ist das letzte Wort in dieser Sache womöglich nicht gesprochen. Die Follow-up-Dauer der ISCHEMIA-Studie war mit im Median 3,2 Jahren relativ kurz. Denkbar ist, dass sich in den Ereignisraten auf längere Sicht doch noch ein Vorteil der invasiven Revaskulariation widerspiegeln könnte. 

 

Die ISCHEMIA-Studienautoren bemühen sich deshalb gerade sehr intensiv darum, von den National Institutes of Health (NIH) der USA die nötigen finanziellen Mittel für eine Fortsetzung der Studie über einen längeren Zeitraum gewährt zu bekommen.


Literatur

Maron D.J: Relationships Of Ischemia Severity And Coronary Artery Disease Extent With Clinical Outcomes In The Ischemia Trial. Vorgestellt in der Sitzung „Featured Clinical Research 2” beim digital präsentierten Kongress des American College of Cardiology 2020 (ACC2020/WCC Virtual)

 

Maron D.J et. al.: Initial Invasive or Conservative Strategy for Stable Coronary Disease. N Engl J Med 2020; 382:1395-1407. DOI: 10.1056/NEJMoa1915922

 

Spertus J.A. et al.: Health-Status Outcomes with Invasive or Conservative Care in Coronary Disease. N Engl J Med 2020; 382:1408-1419. DOI: 10.1056/NEJMoa1916370

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