Polypille nach Infarkt: Einfacher Ansatz, überlegene Wirkung

Bessere Prognose dank einfacherer Therapie: Zum ersten Mal hat eine prospektive Interventionsstudie gezeigt, dass eine Polypille bei Herzinfarktpatienten nicht nur die Adhärenz verbessert, sondern auch kardiovaskuläre Todesfälle reduziert.

Von Dirk Einecke 

 

26.08.2022

Schlechte Compliance kann selbst in der kardialen Sekundärprävention ein Problem sein, welcher Hausarzt in Deutschland wüsste darüber nicht Bescheid? Ein Lösungsansatz wäre eine Polypille, die mehrere Medikamente der Sekundärprävention in einer Tablette pro Tag vereint.

 

Dieser Ansatz werde seit 15 Jahren intensiv untersucht, berichtete Prof. Valentin Fuster, Direktor des National Centers of Cardiovascular Research in Madrid. Zunächst wurde festgestellt, dass schlechte Adhärenz in der kardiovaskulären Medizin global ein massives Problem darstellt. Dann wurden erfolgreich kardiovaskuläre Polypillen entwickelt. In Studien wurde gezeigt, dass solche Polypillen die Adhärenz verbessern und dass eine schlechte Adhärenz nach Herzinfarkt die Prognose verschlechtert.

Europäische Studie mit deutscher Beteiligung

Nun kommt mit SECURE die erste prospektive randomisierte Phase-3-Studie, die einen klinischen Nutzen einer solchen Polypille bei Postinfarktpatienten aufzeigt. Die Ergebnisse der in Europa durchgeführten Untersuchung wurden beim ESC-Kongress 2022 bekanntgegeben und simultan im „New England Journal of Medicine“ publiziert.

Und der Nutzen sei eindrucksvoll, versicherte Fuster beim ESC. Nach im Schnitt dreijähriger Behandlung hatten Patienten der Polypill-Gruppe – im Vergleich zu einem Standardvorgehen gemäß Leitlinien – ein um 24% geringeres Risiko für den primären Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, dringliche Revaskularisierung; 9,5% vs. 12,5%, p=0,02). Der Unterschied zeige sich in allen Subgruppen früh im Studienverlauf und nehme mit der Zeit weiter zu, so Fuster. 

Risikosenkung besonders der „harten“ Endpunkten

Bei ausschließlicher Betrachtung der drei „harten“ Endpunkte ohne Revaskularsierung (erster sekundärer Endpunkt) war der Unterschied deutlicher mit einer relativen Risikoreduktion von 30% (8,2% vs. 11,7%, p=0,005). Der härteste Endpunkt „kardiovaskulärer Tod“ war für den Großteil des Unterschieds verantwortlich (3,9 vs. 5,8%, HR: 0,67). Sicherheitsprobleme gab es mit der Polypille in dieser Studie keine. 

Polypille vereint drei Medikamente

Die Polypille enthielt ASS 100 mg, Ramipril, das in 3-Wochen-Intervallen anfangs von 2,5 mg/d auf 10 mg/d aufdosiert wurde, sowie Atorvastatin 20 oder 40 mg/d. Die meisten Patienten nahmen 40 mg/d.

 

Das Studienkollektiv bestand aus 2.500 Patientinnen und Patienten mit Herzinfarkt-Anamnese innerhalb der letzten sechs Monate, die mindestens einen weiteren Risikofaktor aufwiesen wie Bluthochdruck, Diabetes, leichte bis mäßige Niereninsuffizienz oder einen weiteren Herzinfarkt bzw. Schlaganfall in der Vorgeschichte. Die Patienten waren im Schnitt 76 Jahre alt, 31% waren Frauen.

 

Den Therapieeffekt der Polypille führte Fuster vor allem auf die bessere Therapieadhärenz zurück, die sich in dieser Studie einmal mehr bestätigte. Zwar wiesen die Patienten beider Gruppen keine signifikant unterschiedlichen Blutdruck- oder LDL-Cholesterin-Werte auf. Aber die pleiotropen Effekte der Statine sowie die vaskulären Effekte von ASS und Ramipril ließen sich nicht messen, so Fuster.

 

Einen Wermutstropfen gab es dann doch: Bei der Gesamtsterblichkeit zeigte sich keine Differenz zwischen den Gruppen. Das heißt: Die älteren Patienten aus der Polypill-Gruppe starben – vielleicht etwas später – vermehrt an nicht-kardiovaskulär bedingten Ursachen.

Individualisierte Medizin oder einfache Lösungen?

Grundsätzlich, so Fuster, gehe es in der Herzkreislaufmedizin um die Frage, ob man die Behandlung individualisiert oder sich für möglichst einfache Lösungen entscheidet. Für beides gebe es gute Argumente. Angesichts der Vielzahl von Medikamenten, die Herzpatienten einnehmen müssen, und der daraus resultierenden Compliance-Probleme spricht vieles für einfache Lösungen – so wie die Polypille. Und dieses Prinzip funktioniert nicht nur global, sondern auch in Europa und Deutschland, wie die SECURE-Studienergebnisse zeigen.


Literatur

Castallano JM, et al. Polypill Stratey in Secondary Cardiovascular Prevention. N Engl J Med 2022, doi: 10.1056/NEJMoa2208275

 

Fuster V: A polypill strategy in secondary prevention: results of the SECURE trial, Hotline-Session 1, ESC Congress 2022, 26. bis 29. August in Barcelona

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