Zeitzeugen-Interview: Prof. Hasso Scholz

 

Mit Zeitzeugen-Interviews möchte das Historische Archiv der DGK unter Leitung von Dr. Fokko de Haan, spannende historische Entwicklungen aufzeigen und die Lebenswege bedeutender Persönlichkeiten der Kardiologie nachzeichnen. Der Blick in die Vergangenheit hilft, den heutigen Stand und zukünftige Entwicklungen in der Welt der Kardiologie besser zu verstehen.


Im Juni 2021 sprach Dr. Fokko de Haan mit Prof. Hasso Scholz.

Von:

Dr. Fokko de Haan

Historisches Archiv der DGK

 

28.10.2025

 

Bildquelle (Bild oben): kanetmark / Shutterstock.com

Jugend und Studienzeit

 

de Haan: Prof. Scholz, Sie wurden am 24.08.1937 in Stettin geboren. Ihr Vater war dort als Apotheker tätig. Wie sah das Familienleben aus? Wieso kam es später zu einem Umzug nach Schleswig-Holstein? 

 

Scholz: Mein Vater betrieb in Stettin eine von seinem Vater übernommene Apotheke. Er wurde dann in den letzten Kriegsjahren als Wehrmachtssoldat an die Front beordert. 1943 wurde meine Mutter mit mir und meinen beiden jüngeren Geschwistern aus der Industriestadt Stettin aufs Land in das Gut Nehringen in Vorpommern evakuiert, ehe wir Ende April 1945 als Teil eines Pferdewagentrecks vor den vorrückenden Russen nach Haseldorf in Schleswig-Holstein fliehen mussten. Zum Glück kam mein Vater schon im Sommer 1945 aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück zur Familie, und 1951 konnte er wieder eine eigene Apotheke in Eutin eröffnen. 

 

de Haan: 1956 legten Sie in Eutin das Abitur ab und begannen ein Doppelstudium an verschiedenen Orten. Pharmazie und Humanmedizin; war ein Fachgebiet nicht ausreichend? 

 

Scholz: Da mein Vater 1954 in jungen Jahren an einer Lungenembolie plötzlich gestorben war, verstand es sich fast von selbst, dass ich als Ältester Pharmazie studierte, um möglichst bald die väterliche Apotheke zu übernehmen. Vor Studienbeginn absolvierte ich ein obligatorisches zweijähriges Apothekenpraktikum und schloss mit dem sogenannten Vorexamen ab. Das hatte den Vorteil, dass ich noch als Student und auch später vertretungsweise eine Apotheke leiten konnte, was mir eine finanzielle Unabhängigkeit bescherte.

 

Etwa ab 1960 begann ich, mich parallel zur Pharmazie für die Humanmedizin zu interessieren. Nach dem pharmazeutischen Staatsexamen in Marburg 1961 und den vorklinischen Semestern in Berlin (1963) ging ich für die klinischen Semester nach Mainz – Mainz deshalb, weil meine Frau aus Idar-Oberstein stammt. 

 

Zur Person

Prof. Hasso Scholz

Prof. Hasso Scholz (*24. August 1937 in Stettin) war 1976–1981 Leiter der Abteilung Biochemische Pharmakologie der Medizinischen Hochschule Hannover. An der Universität Hamburg war er 1982–2002 Direktor des Instituts für Experimentelle Pharmakologie, Klinische Pharmakologie und Toxikologie. Von 1991 bis 1992 war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK).

Prof. Hasso Scholz

 

de Haan: Mehr als 10 Jahre (1966–1976) arbeiteten Sie am Pharmakologischen Institut in Mainz bei Prof. G. Kuschinsky – unterbrochen von 2 Forschungssemestern in Bern mit Prof. H. Reuter. Was war mit der Humanmedizin? 

 

Scholz: Nach dem medizinischen Staatsexamen 1966 in Mainz konnte ich im pharmakologischen Institut – wo ich schon als Student seit 1963 meine medizinische Dissertation angefertigt hatte – als wissenschaftlicher Assistent bleiben und habe mich dort 1970 auch habilitiert. Den Facharzt für Pharmakologie gab es damals noch nicht, er wurde erst 1974 eingeführt.

 

1972 erhielt ich nach je 4 Monaten Praktikum in Innerer Medizin und Chirurgie die Approbation als Arzt (Humanmedizin). Diese „Doppelinteressen“ haben mich mein Leben lang begleitet, und ich bin noch heute der Meinung, dass die Pharmakologie nicht nur ein experimentelles Grundlagenfach ist, sondern auch als klinisch orientiertes Querschnittsfach angesehen werden muss, das sich um die Verbesserung einer rationalen und rationellen Arzneitherapie in allen Fächern zu kümmern hat. 

Wissenschaftlicher Fokus in der Pharmakologie

 

de Haan: Wissenschaftlich lag Ihr Schwerpunkt in Mainz und Bern auf der Pharmakologie des Herzens. Was war der Hintergrund? 

 

Scholz: Einer der wissenschaftlichen Schwerpunkte im Mainzer Institut bei Prof. Kuschinsky war seit langem die Pharmakologie des Herzens. So habe ich mich von Anfang an mit dem Wirkungsmechanismus herzwirksamer Pharmaka beschäftigt. Ich hatte das große Glück, in Mainz an der Arbeitsgruppe von Harald Reuter beteiligt zu sein. Er hatte gerade den Calciumeinstrom während des Aktionspotentials und den Ca/Na-Transport am Herzen „erfunden“, mit deren physiologischer Bedeutung und pharmakologischer Beeinflussbarkeit wir uns intensiv befasst haben. 

 

de Haan: Von 1976 bis 1981 waren Sie Abteilungsleiter für Biochemische Pharmakologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, ehe Sie 1982 als Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie ans UKE in Hamburg berufen wurden. Wissenschaftlich erweiterten Sie Ihren Schwerpunkt um die Bedeutung von G-Proteinen, Phosphoinositiden und Alpha-Rezeptoren und auf Grundlagen des chronisch aktivierten Sympathikussystems bei der Herzinsuffizienz. Dies sind noch heute maßgebliche Forschungsschwerpunkte.

 

Scholz: Auch heute noch wird in der Hamburger Pharmakologie neben vielem anderen intensiv über Ursachen, Pathophysiologie und medikamentöse Beeinflussung der Myokardinsuffizienz gearbeitet. Während wir überwiegend an Herz-Muskel-Präparaten geforscht haben, sind es heute Zellkulturen von Myozyten und subzelluläre Strukturen, d. h. die Methoden haben sich verfeinert.

 

Das Ziel ist das gleiche: möglichst einfache und gut definierte Modelle für die Wirkung von Pharmaka und künstlichem Herz-Muskel-Gewebe zu entwickeln. Zum Beispiel Ersatz von narbigem Herz-Muskel-Gewebe. Dabei sind diese Forschungen langwierig, aber ich bin fest davon überzeugt, dass sie erfolgreich sein werden. 

Weitergabe von Wissen in der Lehre

 

de Haan: Ihre ehemaligen Schülerinnen und Schüler in Mainz, Hannover und Hamburg stellen noch heute Ihre besondere Begabung bei der Anleitung und Führung wissenschaftlicher Themen heraus. Waren das Ihre Stärken? 

 

Scholz: Jeder war frei in der Themenwahl. Mein Motto war immer: „nicht meinen, sondern messen“. Objektivität, Kritikfähigkeit und Sorgfalt gehören unbedingt zusammen. Beispielsweise darf ein Versuchsansatz, der nicht zum gewünschten Ziel führt, nicht „unter den Teppich gekehrt“ werden, sondern muss Ausgangspunkt für eine kritische Analyse sein. Unerlässlich waren auch Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft. Alle Türen waren immer offen.

Zweimal wöchentlich hielt ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern organisatorische und wissenschaftliche Besprechungen ab. 

 

de Haan: Grundlagenwissen (z. B. Pharmakologie) und Umsetzung in klinisch-kardiologische Problemlösungen waren immer Ihr Ansporn und Ziel. Fehlt es daran heute oftmals? 

 

Scholz: Ich habe immer versucht, bei den Lehrveranstaltungen möglichst „kliniknah“ zu sein. Beispielsweise fand der Rezeptierkurs immer zusammen mit Klinikerinnen und Klinikern statt. Und ein Highlight bei den Assistentinnen und Assistenten sowie den Studierenden war die „Arzneitherapeutische Konferenz mit Patientenvorstellung“.

 

Die Vernetzung klinisch-kardiologischer Fragestellungen mit pharmakologischem Grundlagenwissen (z. B. beim Vorhofflimmern) kommt heute deswegen oft zu kurz, weil mit dem medizinischen Staatsexamen das Interesse in der Klinik an der Pharmakologie nachlässt bzw. nicht genügend gefordert wird. Dem habe ich immer versucht abzuhelfen – durch Fortbildungsveranstaltungen, durch Mitarbeit bei Lehrbüchern und bei der Analyse des Verordnungsverhaltens.

 

Das ist auch der Grund, weshalb ich gerne Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) bin, weil hier wie sonst nirgends Klinikerinnen und Kliniker mit Grundlagenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zusammenarbeiten. Dass ein Pharmakologe Präsident einer kardiologischen Gesellschaft werden kann, kommt weltweit wahrscheinlich nicht häufig vor. 

Engagement in anderen Ämtern

 

de Haan: Ausdruck Ihrer hohen wissenschaftlichen Reputation, aber auch Ihrer klaren, gut strukturierten Gedanken waren Ihre diversen Mitgliedschaften in vielen nationalen und internationalen Verbänden, und Ihr Rat wurde oft auch von der Politik erbeten. Wurden diese Tätigkeiten von Ihnen geschätzt? 

 

Scholz: Ja, sehr, ich war mehr als 20 Jahre Mitglied in unabhängigen Kommissionen des Bundesgesundheitsamtes wie Transparenzkommission, Positivlistenkommission und Zulassungskommission sowie Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.

Eine besondere Ehre war für mich, zum Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina berufen worden zu sein. 

 

de Haan: In seiner Laudatio zu Ihrem 80. Geburtstag hebt Ihr Nachfolger, Herr Prof. T. Eschenhagen, als besondere Charaktermerkmale hervor: „Hasso Scholz stand immer für klare Urteile, eindeutige Regeln, Verlässlichkeit und Verschwiegenheit“ – und weiter: „ … aber auch lebenslustig, persönlich zugänglich sowie feierfest und genussfähig.“ 

 

Scholz: Diesen doch sehr lobenswerten Charakterzügen kann ich bis heuteuneingeschränkt zustimmen und wünsche mir, dass Sie mir noch lange erhalten bleiben.

Prof. Kübler (li) und Prof. Scholz (re) Prof. Kübler (li) und Prof. Scholz (re)

Persönliches und Privates

 

de Haan: Wie sieht der Alltag eines klinischen Pharmakologen heute aus, über 20 Jahre nach der Pensionierung (01.10.2002)? 

 

Scholz: Aufgrund der raschen Entwicklung auch in einem experimentellen Fach wie der Pharmakologie habe ich mich seitdem kaum noch fachlich mündlich oder schriftlich geäußert.

 

Bis heute sind meine Frau Elke und ich an kulturellen Veranstaltungen, die das überreiche Hamburger Angebot bietet, sehr interessiert, schon immer haben wir gerne private aber auch Kongressreisen unternommen. Bis vor kurzem habe ich Golf gespielt und bin regelmäßig Ski gelaufen, meistens mit meinen Töchtern. Freundschaftliche Verbindungen zu verschiedenen Kardiologen wurden zum Beispiel durch regelmäßige Fahrradtouren gepflegt. 

Pfingsten 2015 am Bodensee. Hinten: Hasso Scholz, Peter Hanrath, Jürgen Schrader, Rönnaug Lang. Mitte: Günther Breithardt, Gerlind Schrader, Helga Seipel, Helmut Klein, Klaus Lang. Vorn: Ludger Seipel, Eva-Marie Hanrath, Lisbeth Breithardt, Maria Grazia Klein, Elke Scholz Pfingsten 2015 am Bodensee. Hinten: Hasso Scholz, Peter Hanrath, Jürgen Schrader, Rönnaug Lang. Mitte: Günther Breithardt, Gerlind Schrader, Helga Seipel, Helmut Klein, Klaus Lang. Vorn: Ludger Seipel, Eva-Marie Hanrath, Lisbeth Breithardt, Maria Grazia Klein, Elke Scholz

 

de Haan: Zusammen mit Ihrer Ehefrau Elke haben Sie 2 Töchter und 5 Enkelkinder. Wie ist Ihr Verhältnis zur Familie? 

 

Scholz: Sehr gut und intensiv. Die Familie war stets meine Heimat und hat mir zu allen Zeiten „den Rücken freigehalten“. Unsere beiden Töchter sind Kinderärztinnen geworden. 

 

de Haan: Können Sie zwei bahnbrechende Ereignisse benennen, die für Ihren Lebensweg prägend waren? 

 

Scholz: Nach dem frühen Tod meines Vaters (mit 51 Jahren) habe ich früh gelernt, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Er fehlte mir als Mentor und als Gesprächspartner. Beispielsweise hätte ich gerne von ihm erfahren, wie er die Kriegserlebnisse aufgenommen hat.

 

Es war mehr oder weniger Zufall, dass ich nach dem Physikum in die Mainzer Pharmakologie gekommen bin. Dort habe ich von Gustav Kuschinsky unbewusst die Prinzipien der Institutsführung gelernt und von Harald Reuter das wissenschaftliche Arbeiten. Wenn man Gutes findet, ohne es gesucht zu haben, spricht man im Englischen von „serendipity“. Ich hatte und habe reichlich davon.

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