Bikuspide Aortenklappe bei Frauen: Wenn weniger Kalk nicht weniger Risiko bedeutet

 

Die bikuspide Aortenklappe (BAV) stellt den häufigsten angeborenen Herzklappenfehler dar und betrifft ungefähr 1–2 % der Bevölkerung. Männer sind mit einem Verhältnis von etwa 3:1 deutlich häufiger betroffen1, jedoch wird zunehmend deutlich, dass Frauen mit BAV keineswegs eine „mildere“ Verlaufsform aufweisen. Vielmehr gibt es wesentliche Unterschiede in der Pathophysiologie, den Gewebeveränderungen und dem Fortschreiten der Erkrankung. Diese geschlechterspezifischen Unterschiede haben direkte Auswirkungen auf die Diagnostik sowie den optimalen Zeitpunkt für therapeutische Eingriffe.

Von:

Prof. Tanja Rudolph

Rubrikleiterin Strukturelle Herzerkrankungen

 

Dr. Nina C. Wunderlich 

Rubrikleiterin Women in Cardiology

 

08.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): PeopleImages.com / Yuri A / Shutterstock.com

Morphologie und Aortopathie

 

Das morphologische Spektrum der BAV ist breitgefächert. Die internationale Konsensusklassifikation differenziert verschiedene Phänotypen, darunter die rechts-links-Fusion, die antero-posteriore Anordnung sowie Varianten mit oder ohne Raphe1. Diese Unterschiede sind nicht nur für die bildgebende Diagnostik, sondern auch für das Risiko von Komplikationen von Bedeutung. Besonders wichtig ist die BAV-assoziierte Aortopathie: Männer zeigen häufiger und früher eine Dilatation der Aorta ascendens, während Frauen hiervon seltener betroffen sind. Dennoch sollten auch Patientinnen regelmäßig auf Aortendilatationen überwacht werden, da das Risiko zwar geringer, aber keineswegs ausgeschlossen ist.

Fibrose statt Kalzium: Geschlechtsspezifische Gewebeveränderungen

 

Ein zentrales Ergebnis aktueller Studien ist, dass Frauen mit BAV weniger Kalziumablagerungen entwickeln, jedoch einen höheren Anteil an fibrotischem Gewebe in den Klappentaschen aufweisen.2 In einer umfangreichen histologischen und CT-basierten Analyse wurde festgestellt, dass Männer, unabhängig vom Alter, stärker verkalkte Klappen zeigten, während Frauen einen erhöhten Kollagengehalt im Gewebe aufwiesen. Besonders auffällig waren die Veränderungen bei jüngeren Frauen (<60 Jahre) mit BAV, die durch eine besonders niedrige Kalziumdichte auffielen, obwohl hämodynamisch bereits eine schwere Aortenstenose vorlag.2 Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Pathophysiologie bei Frauen stärker durch Fibrose geprägt ist, was die Bildgebungsdiagnostik erschwert.

Bildgebung: Diagnostische Stolperfallen bei Frauen

Die Standarddiagnostik der Aortenstenose beruht auf dem kombinierten Einsatz der Echokardiographie (Kontinuitätsgleichung, Gradientenmessungen) und der Bestimmung des Kalziumscores im CT. Doch genau hier zeigen sich bei Frauen mit BAV signifikante Unterschiede:

 

  • Der CT-Kalziumscore ist geschlechtsspezifisch validiert (> 1300 Agatston-Einheiten bei Frauen, > 2000 bei Männern).3 Bei Frauen mit BAV kann jedoch auch ein niedriger Score bereits einer hämodynamisch schweren Stenose entsprechen, sodass eine relevante Gefahr der Unterschätzung des Grades der Aortenstenose besteht.3,4
  • Echokardiographisch werden bei Frauen häufiger diskordante Befunde beobachtet – also eine Klappenöffnungsfläche < 1,0 cm² bei gleichzeitig niedrigeren Gradienten (<40 mmHg).5
  • Neuere Verfahren wie die Kalziumdichte-Indexierung (AVCdCT) versprechen eine genauere Einschätzung. Powers et al. konnten zeigen, dass geschlechtsspezifische Schwellenwerte (334 AU/cm² bei Frauen, 467 AU/cm² bei Männern) eine bessere Vorhersagekraft für die Mortalität besitzen als absolute Kalziumwerte.4

 

Insgesamt wird klar, dass sich die Diagnostik bei Frauen nicht allein auf den Kalziumscore stützen kann, sondern dass sie multimodal erfolgen muss und dass auch die klinische Symptomatik nicht außer Acht gelassen werden darf.

Klinische Konsequenzen für den Therapiezeitpunkt

 

Während Männer durch die zumeist erheblich stärker ausgeprägte Kalzifikation oft eine eindeutige Operationsindikation haben, ist der Verlauf bei Frauen weniger einfach zu beurteilen. Viele Patientinnen entwickeln Symptome oder hämodynamisch relevante Stenosen bei vergleichsweise geringer Kalziumlast.2 Dies hat zwei zentrale Konsequenzen:

 

  1. Gefahr der Verzögerung: Frauen mit BAV werden häufig erst später einer Therapiezugeführt, da sie die etablierten Schwellenwerte in Bildgebung und Kalziumscore oft nicht erreichen, obwohl bereits eine hämodynamisch relevante Stenose vorliegt.
  2. Individuelle Entscheidung: Bei Frauen mit BAV kann die  Orientierung alleinig am Kalziumscore die tatsächliche Schwere der Stenose unterschätzen, da relevante hämodynamische Einschränkungen trotz niedriger Verkalkungswerte bestehen können

Fazit 

 

Die bikuspide Aortenklappe bei Frauen ist keine einfache Spiegelung des männlichen Krankheitsbildes, sondern weist spezifische Unterschiede auf: weniger Kalzifikation, mehr Fibrose sowie eine andere Progressionsdynamik. Diese geschlechtsspezifischen Besonderheiten beeinflussen die Diagnostik und die sich daraus ableitenden  Therapiestrategien erheblich.


Für die Praxis bedeutet dies:

 

  • Bildgebung muss multimodal interpretiert werden.
  • Kalziumwerte sind bei Frauen, besonders bei jüngeren Patientinnen mit BAV, mit Vorsicht zu bewerten.
  • Der Therapiezeitpunkt sollte individuell und unter besonderer Berücksichtigung von Symptomen und hämodynamischen Parametern gewählt werden.


Ein tieferes Verständnis dieser Unterschiede ist nicht nur für die klinische Entscheidungsfindung essenziell, sondern kann langfristig auch neue Ansätze für geschlechtsspezifische Therapien eröffnen.

Tabelle 1: Geschlechterspezifische Unterschiede bei bikuspider Aortenklappe Tabelle 1: Geschlechterspezifische Unterschiede bei bikuspider Aortenklappe

Zur Person

Prof. Tanja Rudolph

Prof. Tanja Rudolph ist als Oberärztin und Leiterin der Interventionellen Kardiologie in der Klinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie/Angiologie des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, in Bad Oeynhausen tätig. Ihre fachlichen Zusatzqualifikationen (DGK) erwarb sie in den Bereichen der Interventionellen Kardiologie und Herzinsuffizienz. 

Zur Autorin

Dr. Nina C. Wunderlich

Dr. Nina C. Wunderlich ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der interventionellen Bildgebung. Ihr Schwerpunkt liegt auf der echokardiographischen Begleitung und Bildgebung bei Kathetereingriffen am Herz. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht und gilt als renommierte Referentin und Meinungsführerin in diesem Bereich.

Prof. Tommaso Gori

Referenzen

 

  1. Michelena HI et al. International Consensus Statement on Nomenclature and Classification of the Congenital Bicuspid Aortic Valve. Radiol Cardiothorac Imaging. 2021.
  2. Voisine M et al. Age, Sex, and Valve Phenotype Differences in Fibro-Calcific Remodeling of Calcified Aortic Valve. J Am Heart Assoc. 2020;9:e015610.
  3. Dong T, Wang TK. Assessing Severity of Aortic Stenosis on CT—Have We Arrived? Circ Cardiovasc Imaging. 2024.
  4. Powers A et al. Aortic Valve Calcification Density Measured by MDCT in the Assessment of Aortic Stenosis Severity. Circ Cardiovasc Imaging. 2024.
  5. Clavel MA et al. Aortic Valve Area Calculation in Aortic Stenosis by CT and Doppler Echocardiography. JACC Cardiovasc Imaging. 2015.

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