Geschlechterunterschiede von kardiovaskulären Erkrankungen

 

ESC Congress 2025 | Kohorten-Analyse: In einer Analyse von gepoolten, bevölkerungsbasierten Kohorten wurden Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der Inzidenz und dem Risiko für sekundäre kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet. Dr. Amelie Ohlrogge (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) stellte die Daten vor.1

 

Die Referentin, Dr. Amelie Ohlrogge (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf), berichtet und Prof. Birgit Aßmus (Universitätsklinikum Gießen) kommentiert.

Von:

Dr. Amelie Ohlrogge

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

 

Expertenkommentar:

Prof. Birgit Aßmus

Rubrikleiterin Herzinsuffizienz

 

26.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Songquan Deng / Shutterstock.com

Bisheriger Stand der Forschung

 

Das Auftreten einer kardiovaskulären Erkrankung erhöht das Risiko für sekundäre kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD). Die Zusammenhänge zwischen mehr als 2 CVD sind jedoch komplex und bislang auf Bevölkerungsebene nur begrenzt erforscht.

Methodik/Studiendesign

 

Wir untersuchten 4 wichtige kardiovaskuläre Erkrankungen: Myokardinfarkt (MI), Herzinsuffizienz (HI), Vorhofflimmern (VHF) und Schlaganfall. Dazu wurden die Daten von 5 prospektiven, bevölkerungsbasierten Studien aus 5 europäischen Ländern gepoolt. Multivariable Cox-Regressionen wurden für die gesamte Kohorte, sowie zur Analyse der Geschlechtsunterschiede getrennt für Männer und Frauen berechnet. 

Ergebnisse

 

Bei knapp 90.000 Personen mittleren Alters, von denen die Hälfte Frauen waren, entwickelten über fast 14 Jahre Nachbeobachtungszeit 16 % eine der 4 Erkrankungen, rund 30 % hiervon erkrankten an 2 oder mehr CVD. Frauen erkrankten insgesamt seltener als Männer (12,6 % vs. 19,4 %) an einer CVD, was insbesondere auf die deutlich geringere Inzidenz von Myokardinfarkten zurückzuführen ist. Insgesamt waren Myokardinfarkte (n=6.008) die häufigste CVD, gefolgt von Herzinsuffizienz (n=5.398), Vorhofflimmern (n=4.430) und zuletzt Schlaganfällen (n=3.866). Die Kombination aus Herzinsuffizienz sowohl mit Myokardinfarkten als auch Vorhofflimmern waren die häufigsten Cluster. Es konnten geschlechtsabhängige Unterschiede in den Risikofaktoren beobachtet werden. Das Risiko für sekundäre Ereignisse ist nach jeder CVD für jede andere CVD um mindestens 21 % erhöht, insbesondere für HI nach MI oder VHF (HR 7,03, 95%KI [5,86; 8,42]; p<0,01 nach MI und HR 7,45, 95%KI [5,90; 9,41], p<0,01 nach VHF) und für VHF nach HI (HR 5,76, 95%KI [4,32; 7,68], p<0,01). Bei sekundären CVD-Ereignissen gab es insgesamt nur moderate Geschlechtsunterschiede zu beobachten. Das zeitabhängige Risiko zeigte jedoch teils deutliche Unterschiede, insbesondere haben Frauen ein höheres Risiko für HI nach MI in den ersten 2 Jahren. Die Mortalität in der Gesamtkohorte lag bei 14 %. Knapp der Hälfte der Todesfälle ging eine CVD voraus, über 40 % der Personen mit einer CVD starben während des Nachverfolgungszeitraumes. Die Mortalität stieg mit der Anzahl der CVD-Diagnosen, von knapp 40 % bei Personen mit einer CVD auf über 80 % bei jenen, bei denen alle 4 CVD diagnostiziert worden sind.

Limitationen

 

Bei der Interpretation der Ergebnisse müssen einige Limitationen berücksichtigt werden. Zum einen liegen keine longitudinalen Untersuchungen auf Risikofaktoren vor. Die Kohorten stammen aus europäischen Ländern mit hohem Einkommen, was die Übertragung auf andere Ethnien und Weltregionen einschränkt. Wir haben nur Erstdiagnosen in diesen Analysen berücksichtigt, und können somit keine Aussagen zu wiederholten Ereignissen derselben CVD treffen. Eine Differenzierung in Subgruppen liegt weder für Herzinsuffizienz noch Myokardinfarkte vor. 

Fazit

 

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind häufig in der allgemeinen Bevölkerung, und mit einer hohen Mortalität assoziiert. Bei der Inzidenz, dem Risiko für sekundäre CVD-Ereignisse und den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren können Unterschiede zwischen Frauen und Männern beobachtet werden. Insbesondere das Risiko für Herzinsuffizienz nach Myokardinfarkt und Vorhofflimmern, und Vorhofflimmern nach Herzinsuffizienz ist deutlich erhöht. Wie in der Literatur bereits beschrieben konnten wir in unseren Analysen bestätigen, dass bei Frauen das Risiko für eine Herzinsuffizienz nach einem Myokardinfarkt in den ersten 2 Jahren stärker erhöht ist als bei Männern. Für die Primär- und Sekundärprävention bedeutet dies, dass Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei kardiovaskulären Erkrankungen berücksichtigt werden sollten. Weitere Studien sind notwendig, um die Umsetzbarkeit und den Nutzen gezielter, geschlechtsspezifischer Präventionsprogramme zu erforschen.

Expertenkommentar

 

Der Beitrag von Dr. Ohlrogge auf dem ESC 2025 liefert wichtige neue Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei kardiovaskulären Erkrankungen. Besonders hervorzuheben ist das erhöhte Risiko von Frauen, in den ersten 2 Jahren nach einem Myokardinfarkt eine Herzinsuffizienz zu entwickeln. Diese Beobachtung ist klinisch hochrelevant, da der Deutsche Herzbericht 2024 zeigt, dass Herzinsuffizienz nach wie vor zu den häufigsten Ursachen stationärer Behandlungen zählt, mit mehr als 446.000 Hospitalisierungen im Jahr 2022, wobei Frauen im höheren Alter überproportional betroffen sind.2 Während Männer insgesamt häufiger an einer CVD erkranken, weist die Studie von Ohlrogge auf bedeutsame zeitabhängige Risikodifferenzen hin, die in der Versorgungsrealität stärker berücksichtigt werden sollten.


Besonders brisant erscheint die hohe Mortalität bei multimorbiden CVD-Patientinnen und -Patienten, die in der vorgestellten Analyse über 80 % erreichte, wenn alle 4 untersuchten Erkrankungen auftraten. Dies deckt sich mit den Trends des aktuellen Herzberichts aus 2024, wonach kardiovaskuläre Erkrankungen weiterhin Todesursache Nummer eins in Deutschland sind. Die Kombination aus epidemiologischen Daten und bevölkerungsbasierten Kohortenanalysen macht deutlich, dass Präventions- und Therapieprogramme dringend geschlechtssensibel ausgerichtet werden müssen. Zukünftige Forschung sollte gezielt prüfen, wie geschlechtsspezifische Risikokonstellationen in individualisierte Präventionsstrategien übersetzt werden können – eine zentrale Aufgabe für die kardiovaskuläre Medizin der kommenden Jahre.

Zur Autorin

Dr. Amelie Ohlrogge

Dr. Amelie Henriette Ohlrogge ist Assistenzärztin am Herz- und Gefäßzentrum in der Klinik und Poliklinik für Kardiologie des UKE Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Epidemiologie kardiovaskulärer Erkrankungen, Biomarker zur Risikovorhersage und digitaler Kardiologie.
Dr. Amelie Ohlrogge

Zur Person

Prof. Birgit Aßmus

Prof. Birgit Aßmus ist leitende Oberärztin und W3-Professorin in der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Gießen (UKGM) sowie an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen u. a. Telemedizin sowie evidenzbasierte Versorgungsoptimierung und Pathophysiologie bei Herzinsuffizienz.

Referenzen

 

  1. Ohlrogge A. Timing, clustering, mortality, sex differences of CVD. Late-Breaking Clinical Science: cardiovascular health in women, 31.08.2025, Madrid, ESC 2025
  2. Ensminger S et al. Der Deutsche Herzbericht – Update 2024 – Eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse. Kardiologie 2024 18:476–484 https://doi.org/10.1007/s12181-024-00715-7

Zur Übersichtsseite ESC Congress 2025

Das könnte Sie auch interessieren

Beta blockers after heart attack?

ESC 2025 | BETAMI-DANBLOCK/REBOOT-CNIC: New study data on beta-blocker therapy after myocardial infarction. By PD Dr. L. Gaede.

New findings on DAPT duration in ACS

ESC 2025 | DUAL ACS/TARGET FIRST/NEOMINDSET: 3 studies provide new evidence for a DAPT duration of 1 month after ACS. By PD Dr. L. Gaede.

Early initiation of therapy with SGLT2 inhibitors

ESC 2025 | DAPA ACT HF-TIMI 68: Study and meta-analysis on dapagliflozin therapy in heart failure hospitalization. By Prof. J. Bauersachs.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen