Sekundäre Trikuspidalinsuffizienz: Warum Frauen andere Schwellenwerte brauchen

 

Die prospektiv erhobene, retrospektiv analysierte Kohortenstudie von Tomaselli et al. liefert wichtige neue Erkenntnisse bezüglich der Geschlechterrolle bei Patientinnen und Patienten mit moderater oder schwerer sekundärer Trikuspidalinsuffizienz (STR). Ziel der Studie war es, geschlechterspezifische Schwellenwerte für den Schweregrad einer STR, das Remodeling der rechten Herzkammern und die Prognose zu definieren.1,2

Von:

Dr. Nina C. Wunderlich 

Rubrikleiterin Women in Cardiology

 

Dr. Mirjam Wild

Universitäts-Herzzentrum Freiburg, Bad Krozingen

 

09.07.2025

 

Bildquelle (Bild oben): PeopleImages.com / Yuri A / Shutterstock.com

Geschlechterspezifisches Profil

In der Studie waren Frauen (51 % der Kohorte) im Mittel älter (78±11 vs. 71±14 Jahre, p<0,001), hatten häufiger Vorhofflimmern (63 % vs. 52 %, p=0,008) und häufiger eine atriale Form der STR (53 % vs. 23 %, p<0,001). Männer hingegen wiesen häufiger eine linksventrikuläre Dysfunktion und eine koronare Herzerkrankung auf und hatten vermehrt eine fortgeschrittene chronische Niereninsuffizienz (CKD, p=0,005) sowie eine sekundäre Mitralklappeninsuffizienz (p<0,001). Diese Unterschiede spiegeln die bereits in früheren Studien beschriebenen geschlechterspezifischen unterschiedlichen Ätiologien einer STR wider.3,4

Unterschiede im kardialen Remodeling

 

Auch im Hinblick auf das Remodeling der rechtsseitigen Herzhöhlen ergaben sich signifikante Unterschiede. Frauen wiesen insgesamt kleinere rechtsventrikuläre (RV) enddiastolische (81 vs. 93 ml/m²) und endsystolische (37 vs. 49 ml/m²) Volumina auf und hatten eine höhere RV-Ejektionsfraktion (EF) (55 % vs. 47 %) (jeweils p<0,001). Die Trikuspidalannulus-(TA)-Dimensionen waren bei Frauen signifikant kleiner (z. B. im 4-Kammer-Blick: TA-Durchmesser 37 mm vs. 40 mm bei Männern; p<0,001). Diese Befunde stehen im Einklang mit anatomischen Studien, die in größeren normativen Datensätzen zu ähnlichen Ergebnissen bezüglich der RV- und der TA-Geometrie kamen.5

Schweregradparameter und Outcome-basierte Schwellenwerte

 

Obwohl Frauen ähnliche Ereignisraten (Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz) wie Männer aufwiesen, war das Risiko für schwerwiegende Ereignisse bei Frauen bereits bei geringeren Werten gegeben. Dies konnte für die folgenden Parameter belegt werden:

 

  • EROA: 0,36 cm² (vs. 0,43 cm² bei Männern)
  • Regurgitationsvolumen (RegVol): 31 ml (vs. 35 ml)
  • RV-EDV: 81 ml/m² (vs. 96 ml/m²)
  • RV-ESV: 37 ml/m² (vs. 49 ml/m²)
  • RVEF: 49 % (vs. 41 %)

 

Diese niedrigeren Schwellenwerte ähneln Ergebnissen, die ebenfalls bei primärer Mitralklappeninsuffizienz beschrieben wurden. Auch hier zeigte sich, dass Frauen bei kleineren Ventrikelvolumina und geringeren Regurgitationsvolumina eine ungünstigere Prognose aufwiesen.6

Pathophysiologische Hintergründe

 

Die deutlich höhere Prävalenz einer atrialen STR bei Frauen kann durch die Kombination aus höherem Alter, häufigerem Vorhofflimmern und einer erhöhten Neigung zu einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) erklärt werden.7,8 Frauen zeigen zudem häufiger eine diastolische Dysfunktion und eine weniger ausgeprägte RV-Dilatation, jedoch gehäuft funktionelle Einschränkungen auf subklinischem Niveau.

Klinische Konsequenzen für Interventionen

 

Aktuelle europäische und amerikanische Leitlinien9,10 und die Tricuspid Valve Academic Research Consortium (TVARC)-Kriterien11 definieren keine geschlechterspezifischen Cut-off-Werte. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen jedoch, dass bei Anwendung einheitlicher Schwellenwerte – wie es die aktuellen Leitlinien vorgeben – Frauen potenziell zu spät für interventionelle Therapien in Betracht gezogen werden, was zu einer progredienten strukturellen Verschlechterung und schlechteren Ergebnissen führen könnte.

 

Die Autorinnen und Autoren betonen, dass eine frühere Indikationsstellung auf Basis geschlechterspezifischer Schwellenwerte für EROA, RegVol und RV-Volumina bei Frauen prognostisch günstiger sein könnte. Eine frühzeitige Intervention könnte ein potenziell irreversibles RV-Remodeling und eine Verschlechterung der funktionellen Reserve verhindern.

Implikationen für die Praxis

 

  • Patientenselektion: Frauen sollten bei geringerem Schweregrad einer STR evaluiert werden und gegebenenfalls früher für interventionelle Therapieverfahren berücksichtigt werden.
  • Indikationskriterien anpassen: Geschlechterspezifische Cut-off-Werte sollten in Leitlinien und Entscheidungspfade einbezogen werden.
  • Personalisierte Therapiestrategie: Eine personalisierte Therapiestrategie ist entscheidend, da Verzögerungen in der Behandlung - insbesondere bei einer atrialen STR-Pathophysiologie - mit schlechteren Langzeitergebnissen assoziiert sind.

Fazit für die Praxis

 

Die Arbeit von Tomaselli et al. liefert eine robuste Evidenz für relevante geschlechterspezifische Unterschiede bei STR, die direkte Auswirkungen auf die klinische Entscheidungsfindung haben. Durch Einführung geschlechtsspezifischer Schwellenwerte könnte die Prognose von Frauen mit STR potenziell verbessert und die Effektivität interventioneller Therapien gesteigert werden.

Zur Autorin

Dr. Nina C. Wunderlich

Dr. Nina C. Wunderlich ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der interventionellen Bildgebung. Ihr Schwerpunkt liegt auf der echokardiographischen Begleitung und Bildgebung bei Kathetereingriffen am Herz. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht und gilt als renommierte Referentin und Meinungsführerin in diesem Bereich.

Prof. Tommaso Gori

Zur Autorin

Dr. Mirjam Wild

Dr. Mirjam Wild ist interventionelle Kardiologin und Funktionsoberärztin am Universitäts-Herzzentrum Freiburg - Bad Krozingen. Sie befasst sich mit koronaren und strukturellen Interventionen. Ihr klinischer Forschungsschwerpunkt liegt auf Mitral- und Trikuspidalklappenerkrankungen.

Dr. Mirjam Wild

Referenzen

 

  1. Tomaselli M et al. Presented at: Tricuspid Focus Group Meeting. April 28-29, Paris. Planned for publication in the European Heart Journal – Cardiovascular Imaging.
  2. Michele Tomaselli et al. Right Ventricular Function and Outcomes Stratified by the Effective Regurgitant Orifice Area in Secondary Tricuspid Regurgitation, Canadian Journal of Cardiology, Volume 41, Issue 6, 2025, Pages 1185-1194, ISSN 0828-282X. https://doi.org/10.1016/j.cjca.2025.01.006.
  3. Dietz MF et al. Sex-Specific Differences in Etiology and Prognosis in Patients With Significant Tricuspid Regurgitation. The American journal of cardiology. 2021;147:109-15.
  4. Gual-Capllonch F et al. Atrial Mitral and Tricuspid Regurgitation: Sex Matters. A Call for Action to Unravel the Differences Between Women and Men. Frontiers in cardiovascular medicine. 2022;9:877592.
  5. Addetia K et al. Normal Values of Three-Dimensional Right Ventricular Size and Function Measurements: Results of the World Alliance Societies of Echocardiography Study. Journal of the American Society of Echocardiography : official publication of the American Society of Echocardiography. 2023;36(8):858-66.e1.
  6. Altes A et al. Impact of Sex on Severity Assessment and Cardiac Remodeling in Primary Mitral Regurgitation. JACC Advances. 2024;3(7):101023.
  7. Ho JE et al. Predicting Heart Failure With Preserved and Reduced Ejection Fraction: The International Collaboration on Heart Failure Subtypes. Circulation Heart failure. 2016;9(6).
  8. Naser JA et al. Prevalence, Incidence, and Outcomes of Diastolic Dysfunction in Isolated Tricuspid Regurgitation: Perhaps Not Really "Isolated"? JACC Cardiovascular imaging. 2024;17(12):1411-24.
  9. Vahanian A et al. 2021 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. European journal of cardio-thoracic surgery : official journal of the European Association for Cardio-thoracic Surgery. 2021.
  10. Otto CM et al. 2020 ACC/AHA Guideline for the Management of Patients With Valvular Heart Disease: Executive Summary: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Joint Committee on Clinical Practice Guidelines. Circulation. 2021;143(5):e35-e71.
  11. Hahn RT et al. Tricuspid Valve Academic Research Consortium Definitions for Tricuspid Regurgitation and Trial Endpoints. Journal of the American College of Cardiology. 2023;82(17):1711-35.

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