Schwangerschaft – das Ende der interventionellen Karriere?

 

Noch immer herrscht in vielen Köpfen der Gedanke vor, dass Schwangerschaft und Arbeit im Katheterlabor nicht vereinbar sind. Ein Blick auf die aktuelle Literatur zeigt jedoch: Schwangerschaft muss nicht zwangsläufig das Ende einer interventionellen Karriere bedeuten, vorausgesetzt, Schutzmaßnahmen werden ernst genommen und es wird eine offene Gesprächskultur im Team gelebt.

Von:

Dr. Mirjam Wild

Universitäts-Herzzentrum Freiburg, Bad Krozingen

 

Dr. Nina C. Wunderlich 

Rubrikleiterin Women in Cardiology

 

Dr. Victoria Johnson

Rubrikleiterin Women in Cardiology

 

07.10.2025

 

Bildquelle (Bild oben): PeopleImages.com / Yuri A / Shutterstock.com

 

Für interventionell tätige Ärztinnen stellt sich oft die Frage, ob der Wunsch nach einem Kind zwangsläufig das abrupte Ende der eigenen Laufbahn im Katheterlabor bedeutet. Diese Sichtweise ist tief verankert, basiert jedoch weniger auf harten Fakten als auf traditionellen Denkweisen.

 

Hinzu kommt eine weitere, sehr persönliche Dimension: Viele Frauen empfinden große Unsicherheit, weil sie nicht nur für ihre eigene Gesundheit, sondern in besonderem Maße für den Schutz des ungeborenen Lebens verantwortlich sind. Diese doppelte Verantwortung – für sich selbst und für das Kind – verstärkt die Sorge, ob die Arbeit im Strahlenumfeld des Katheterlabors mit einer Schwangerschaft überhaupt vereinbar sein kann.

Strahlenschutz: berechtigte Sorge, aber handhabbar?

 

Die Angst vor Strahlung steht berechtigterweise im Zentrum der Diskussion. Interventionelle Eingriffe unter Fluoroskopie setzen Ärztinnen einer gewissen Strahlenexposition aus. Für schwangere Kolleginnen kommt hinzu, dass die Sorge nicht nur ihrer eigenen Gesundheit gilt, sondern in besonderem Maße dem Schutz des ungeborenen Lebens. Dieses Verantwortungsgefühl verstärkt die Unsicherheit und führt häufig dazu, dass Ärztinnen ihre Tätigkeit im Katheterlabor unter diesem emotionalen Druck in Frage stellen – oftmals unabhängig von den tatsächlichen Expositionswerten.

Studien zeigen jedoch, dass mit adäquatem und konsequentem Strahlenschutz die für Schwangere geltenden Grenzwerte eingehalten werden können. So belegt eine Übersichtsarbeit, dass Schwangerschaft im Katheterlabor bei konsequenter Anwendung von Bleischürzen, Bauch‑Dosimetern, optimierter Positionierung und reduzierten Fluoroskopiezeiten sicher möglich ist.1 Ergänzend zeigen aktuelle Messdaten an invasiv tätigen Kardiologinnen und Kardiologen, dass die Abdomen‑Exposition unter 0,5‑mm‑Pb‑Schutz im Median bei 0,22 mGy über 40 Wochen liegt (95. Perzentil 0,8 mGy) – Werte, die deutlich unterhalb internationaler Grenzwerte liegen.2

Internationale Konsensuspapiere empfehlen, die fetale Dosis während der gesamten Schwangerschaft zu begrenzen (EU meist 1 mSv pro Schwangerschaft; USA 5 mSv) und betonen, dass unter Standard‑Strahlenschutzmaßnahmen das Risiko für das Ungeborene als sehr gering einzustufen ist.3 Für Deutschland gilt zusätzlich: Ab Bekanntgabe der Schwangerschaft darf die Dosis des ungeborenen Kindes bis zur Geburt 1 mSv nicht überschreiten; für Frauen im gebärfähigen Alter beträgt der zulässige Organ‑Dosisgrenzwert für die Gebärmutter 2 mSv pro Monat. Arbeitgeber sind verpflichtet, eine mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und organisatorische Maßnahmen (z. B. Dosimeter auf Uterushöhe, Arbeitsorganisation, Abschirmung) zu dokumentieren.6,7,8

 

Im Mutterschutzgesetz ist zudem klar geregelt, dass eine schwangere Frau unter Einhaltung konsequenter Strahlenschutzmaßnahmen weiterarbeiten darf. Weniger eindeutig definiert ist hingegen der Umgang mit anderen Risiken wie Stichverletzungen und potenziellen Infektionen. Da Patientinnen und Patienten im Herzkatheterlabor – etwa im Rahmen einer Koronarangiographie – in der Regel nicht serologisch voruntersucht sind, besteht hier ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor, der in der Praxis stärker berücksichtigt werden sollte. Entscheidend erscheint daher im Gesamtkontext kein generelles Arbeitsverbot, sondern die konsequente Umsetzung und Überwachung etablierter Strahlenschutzmaßnahmen und ein Konzept, um das Infektionsrisiko für die schwangeren Frauen zu eliminieren.

Physische Belastung: Mehr als nur Strahlenschutz im Fokus

 

Ein weiterer, häufig unterschätzter Aspekt ist die körperliche Belastung: lange Stehzeiten mit schweren Bleischürzen und das Arbeiten in hochakuten Notfallsituationen. Gerade in den späteren Phasen der Schwangerschaft kann dies eine erhebliche Herausforderung darstellen. Europäische Stellungnahmen empfehlen, durch ergonomische Anpassungen – etwa kürzere Schichtzeiten, technische Hilfsmittel, zusätzliche Abschirmung oder eine zeitweise Umverteilung von Aufgaben– die Belastung zu reduzieren.3,9 Diese Aspekte verdeutlichen: Schwangerschaft im Katheterlabor ist nicht ausschließlich eine Frage der Strahlendosis, sondern auch der ergonomischen und organisatorischen Rahmenbedingungen.

Psychologische Faktoren: zwischen Unsicherheit und Stigmatisierung

 

Neben medizinischen Faktoren spielen psychologische Belastungen eine zentrale Rolle. Viele Kardiologinnen berichten von Unsicherheit, Druck oder subtiler Benachteiligung, sobald ihre Schwangerschaft bekannt wird. Das Gefühl, das ungeborene Kind schützen zu müssen, verstärkt diese Verunsicherung zusätzlich. Umso wichtiger sind eine offene Teamkultur, transparente Kommunikation und eine aktive und sichtbare Unterstützung durch Vorgesetzte, ohne die die Umsetzung einer Weiterarbeit im Katheterlabor für schwangere Frauen extrem schwierig oder gar unmöglich ist. Eine aktuelle europaweite Umfrage zeigt zudem eine sehr heterogene Umsetzung des Strahlenschutzes; nahezu die Hälfte der befragten Elektrophysiologie‑Labore erlaubt Schwangeren keine Tätigkeit im Labor, obwohl konsentierte Grenzwerte eingehalten werden können.4

 

Andererseits ist es aber ebenso wichtig, dass eine Ärztin, die sich bewusst gegen die Arbeit im Katheterlabor während der Schwangerschaft entscheidet, dadurch keine karrieremäßigen Nachteile erleiden darf.

Fazit: Schwangerschaft ist keine Karrierebremse, sondern eine Gestaltungsaufgabe

 

Schwangerschaft muss nicht das Ende einer interventionellen Karriere bedeuten. Die Literatur belegt, dass mit konsequentem Strahlenschutz, organisatorischen Anpassungen und kollegialer Unterstützung auch in dieser – für die Frauen oft von Unsicherheit geprägten – Zeit eine aktive Weiterarbeit im Katheterlabor möglich ist. Gleichzeitig fehlen prospektive Langzeitdaten unter Alltagsbedingungen, und es besteht Bedarf an einer stärkeren internationalen Harmonisierung der Empfehlungen. Bis dahin sollte jede Ärztin ihre individuelle Situation gemeinsam mit Strahlenschutzbeauftragten und Vorgesetzten sorgfältig prüfen und Kliniken sollten eine Kultur fördern, in der Schwangerschaft als normaler, gestaltbarer Abschnitt einer interventionellen Laufbahn verstanden wird.

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Dr. Mirjam Wild

Dr. Mirjam Wild ist interventionelle Kardiologin und Funktionsoberärztin am Universitäts-Herzzentrum Freiburg - Bad Krozingen. Sie befasst sich mit koronaren und strukturellen Interventionen. Ihr klinischer Forschungsschwerpunkt liegt auf Mitral- und Trikuspidalklappenerkrankungen.

Dr. Mirjam Wild

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Dr. Victoria Johnson

Dr. Victoria Johnson ist Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie und als Funktionsoberärztin am universitären Herzzentrum Frankfurt tätig. Ihr klinischer Schwerpunkt liegt in der Device-Therapie und in der Telemedizin.

Dr. Victoria Johnson
Bildquelle: Privat

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Dr. Nina C. Wunderlich

Dr. Nina C. Wunderlich ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der interventionellen Bildgebung. Ihr Schwerpunkt liegt auf der echokardiographischen Begleitung und Bildgebung bei Kathetereingriffen am Herz. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht und gilt als renommierte Referentin und Meinungsführerin in diesem Bereich.

Prof. Tommaso Gori

Referenzen

 

  1. Cheney AE, Vincent LL, McCabe JM, Kearney KE. Pregnancy in the Cardiac Catheterization Laboratory: A Safe and Feasible Endeavor. Circ Cardiovasc Interv. 2021;14(4):e009636. doi:10.1161/CIRCINTERVENTIONS.120.009636.
  2. Fetterly KA, Schueler BA, Mihailovic JM, et al. Radiation Exposure and Protection for (Assumed) Pregnant Interventional Cardiologists and Electrophysiologists. J Soc Cardiovasc Angiogr Interv (J SCAI). 2024;3:102239. doi:10.1016/j.jscai.2024.102239.
  3. Manzo‑Silberman S, Velázquez M, Burgess S, et al. Radiation protection for healthcare professionals working in catheterisation laboratories during pregnancy: EAPCI/EHRA/EACVI/ESC statement. EuroIntervention. 2023;19:53‑62. doi:10.4244/EIJ-D-22-00407.
  4. Adeliño R, Malaczynska‑Rajpold K, Perrotta L, et al. Occupational radiation exposure of electrophysiology staff with reproductive potential and during pregnancy: an EHRA survey. Europace. 2023;25:1‑9. doi:10.1093/europace/euad216.
  5. Velázquez Martín M, Lojo Lendoiro S, Soto Flores N, et al. Occupational exposure to ionizing radiation in pregnant staff. Consensus document of ACI‑SEC/ARC‑SEC/SERVEI/SENR/SERAM/GeNI. REC Interv Cardiol. 2025 (Article in press). doi:10.24875/RECICE.M25000522.
  6. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Grenzwerte im Strahlenschutz: Schwangere/Fötus. https://www.bfs.de/DE/themen/ion/strahlenschutz/grenzwerte/grenzwerte.html. Zugriff am 21.09.2025.
  7. Ausschuss für Mutterschutz (AfMu)/DGUV IFA. Mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung – Informationen. https://www.dguv.de/ifa/fachinfos/mutterschutz/gefaehrdungsbeurteilung/index.jsp. Zugriff am 21.09.2025.
  8. Ministerium für Umwelt Baden‑Württemberg. Überblick: Wichtige Dosisgrenzwerte nach Strahlenschutzgesetz. https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt-natur/kernenergie/strahlenschutz/informationen-zum-strahlenschutz/gesetzliche-vorgaben/grenzwerte-des-strahlenschutzgesetzes/ueberblick-wichtige-dosisgrenzwerte. Zugriff am 21.09.2025.
  9. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Konsensuspapier: Schwangerschaft und Mutterschutz in der Kardiologie und in der Kinder‑ und Jugendkardiologie. 2024. https://leitlinien.dgk.org/2024/schwangerschaft-und-mutterschutz-in-der-kardiologie-und-in-der-kinder-und-jugendkardiologie. Zugriff am 21.09.2025.

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