Ein Artikel von Anna-Lena Valina (Essen) und Dr. Andreas Böhmer (Wiesbaden)
Ein Artikel von Anna-Lena Valina (Essen) und Dr. Andreas Böhmer (Wiesbaden)
Die Reihe Karrierekompass Kardiologie gibt eine Orientierungshilfe bei der Karriereplanung in der Kardiologie für junge Kardiolog:innen und kardiologieinteressierte Studierende. In diesem Interview spricht Anna-Lena Valina mit Dr. Andreas Böhmer, was eine nicht-universitäre Klinik als Arbeitsplatz ausmacht.
Valina: Unser heutiges Thema beleuchtet einen Aspekt, der viele Medizinstudierende gegen Ende des Studiums beschäftigt, die Auswahl der richtigen Klinik. Genau genommen geht es heute um den Arbeitsplatz einer nicht-universitären Klinik. Ich freue mich sehr, heute Dr. Andreas Böhmer zu begrüßen. Andreas, du hast in Frankfurt am Main Medizin studiert und arbeitest seit Abschluss deines Studiums am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden. Wie hast du diese Klinik kennengelernt?
Böhmer: Das war eigentlich ganz einfach. Herr Prof. Ehrlich – der Chefarzt der Kardiologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden – hielt damals im fünften Semester die erste klinische Vorlesung. Ich habe meine Doktorarbeit bei ihm begonnen und bin ihm anschließend treu geblieben. Außerdem habe ich dort einen Monat auf der Intensivstation famuliert und hatte so die Gelegenheit, das Haus, die Menschen und natürlich auch die Kardiologie kennenzulernen.
Valina: Viele junge Medizinstudierende legen zunehmend Wert auf eine gute Work-Life-Balance. Wie nimmst du das wahr, und wie kann man das durch die Wahl der ersten Klinik beeinflussen?
Böhmer: Als Millennial stehe ich irgendwo zwischen Gen Z und der Generation davor – zwischen „Work-Life-Balance“ und „Work is Life“. Für mich bedeutet Balance nicht, acht Stunden zu arbeiten und dann abzuschalten, sondern in dem aufzugehen, was ich tue – sei es in der Klinik, in der Forschung oder in der Freizeit mit Familie und Freunden. Entscheidend ist für mich dabei nicht die Anzahl der Arbeitsstunden, sondern ob mir meine Arbeit Freude bereitet und ich zufrieden bin.
Gerade junge Ärzt:innen spüren zum ersten Mal die hohe Verantwortung des Berufs – und wollen ihr gerecht werden. Es geht nicht nur um Pflicht, sondern auch um Identifikation und persönliche Entwicklung. In diesem Kontext ist Work-Life-Balance aus meiner Sicht etwas sehr Individuelles.
Umso wichtiger ist es, eine Klinik zu wählen, deren Strukturen, Kultur und Anspruch zur eigenen Vorstellung von Arbeit und Leben passen. Deshalb lohnt es sich, vor einer möglichen Anstellung über eine Famulatur oder Hospitation einen realistischen Eindruck vom Alltag vor Ort zu gewinnen.
Valina: Damit klinische und wissenschaftliche Arbeit Freude bereiten, ist es sicher auch wichtig, dass man sich am Arbeitsplatz wohl und unterstützt fühlt. Hast du das an deinem Klinikum besonders gespürt – sei es durch Vorgesetzte oder Kolleg:innen?
Böhmer: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Schon bei der ersten Hospitation bekommt man in der Regel ein Gefühl dafür, wie zufrieden die Assistenzärzt:innen sind. Die Zufriedenheit hängt oftmals weniger mit der Arbeitsbelastung (die ist vermutlich überall ähnlich), sondern vielmehr mit der Teamarbeit und dem Umgang untereinander zusammen.
Als ich an unserer Klinik anfing, waren wir ein wirklich tolles und agiles Team aus jungen Assistenzärzt:innen. Dabei war die Zusammenarbeit von Anfang an freundschaftlich und ein großer Teil des damaligen Teams ist heute weiterhin in fachärztlicher Position dabei. Wir sind also „miteinander groß geworden“. Da an unserer Klinik viele der Leitungspositionen durch eben solche „Eigengewächse“ besetzt sind, sind Unterstützung und Verständnis für die Sorgen der jungen Kolleg:innen stets da gewesen.
Ich denke aber, dass der folgende Grundsatz überall ähnlich zutreffen dürfte: Wer bereit ist für das Team zu arbeiten, erhält auch Unterstützung vom Team. Wichtig ist zu verstehen, dass es ein paar Wochen dauert, bis man sich in dieses spezielle Klinikgefüge integriert hat.
Valina: Das klingt sehr schön. Würdest du sagen, das ist etwas Besonderes an deiner Klinik oder hängt es eher damit zusammen, dass es kein universitäres Haus ist?
Böhmer: Ich glaube nicht, dass das speziell mit dem universitären oder nicht-universitären Status zu tun hat. Vielmehr hängt es davon ab, wie eine Abteilung strukturiert ist und wie die Arbeitsbedingungen dort sind.
Valina: Du hast bereits kurz die Forschung angesprochen. Du forschst neben deiner klinischen Tätigkeit in Wiesbaden und bist aktuell sogar für einen Forschungsaufenthalt in Kanada. Fühlst du dich von deiner Klinik unterstützt? Und wäre Forschung nicht eigentlich ein Argument für eine Universitätsklinik?
Böhmer: Zwei sehr gute Fragen. Zur ersten: Ja, ich fühle mich sowohl von meinem Chefarzt als auch von unserer Geschäftsführung sehr unterstützt. Mein Auslandsaufenthalt wurde nicht nur ermöglicht, sondern aktiv gefördert – Forschung wird bei uns sehr positiv wahrgenommen und ist ein echtes Aushängeschild für das St. Josefs-Hospital.
Prof. Ehrlich hat mir dabei den Rücken freigehalten – und genau das ist entscheidend. Wer forschen will, braucht ein unterstützendes Umfeld: idealerweise jemanden, den man vielleicht schon aus der Doktorarbeit kennt oder einen Vorgesetzten, der Projekte aktiv mitträgt.
Forschung ist kein Solo-Projekt. Gerade am Anfang braucht man Geduld, Vertrauen – und jemanden, der einen Schritt für Schritt begleitet. Solche Strukturen sind an Universitätskliniken sicher häufiger zu finden, aber das heißt nicht, dass es außerhalb nicht auch gut funktionieren kann.
Valina: Was genau bedeutet das?
Böhmer: Das bedeutet, dass Universitätskliniken durch den Forschungsauftrag in der Regel Ressourcen wie ethische und statistische Beratung, Unterstützung durch Study Coordinators und Programme für Clinical Scientists, die teilweise eine Freistellung für Forschung ermöglichen, vorhalten. Dies ist allerdings keine Garantie dafür, dass man dort auch automatisch besser oder effektiver forschen kann. In Deutschland gibt es mehrere große nicht-universitäre kardiologische Zentren, in denen ebenfalls sehr gute Forschung betrieben wird. Wichtig ist, dass die Klinik (unabhängig vom Status universitär/nicht-universitär) eine ausreichende Patientenzahl für klinisches Forschungsinteresse und die notwendige Unterstützung bietet. Am Ende hängt sehr vieles am Mentor. Wenn man den kennt und einschätzen kann, ist viel gewonnen.
Valina: Ein weiteres und insbesondere am Anfang sehr wichtiges Thema sind die Ausbildungsmöglichkeiten. Wie würdest du diese an einer nicht-universitären Klinik beschreiben? Hast du das Gefühl, dass du ausreichend spannende und lehrreiche Fälle gesehen hast?
Böhmer: In vielen nicht-universitären Häusern startet man oft mit einer breiten internistischen Ausbildung – einfach, weil man später als Facharzt den Hintergrunddienst für alle medizinische Abteilungen übernimmt. Das heißt, dass man hier oft erst den Facharzt für Innere Medizin und nicht direkt den Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie macht. Das bedeutet initial zwar weniger kardiologische Spezialisierung, dafür aber eine solide internistische Grundausbildung.
Ich zum Beispiel bin durch alle medizinischen Abteilungen rotiert, war je ein Jahr in der Notaufnahme und auf Intensivstation – bei uns ist der Notarztschein sogar vertraglich vorgesehen.
Natürlich verzögert sich dadurch die kardiologische Spezialisierung etwas, aber auch als Kardiolog:in behandelt man Patient:innen mit Diabetes oder Niereninsuffizienz und kennt sich da gerne auch gut aus.
Valina: Würdest du sagen, dass man dadurch sogar besser vorbereitet ist, weil man das "Allgemein-Internistische" erstmal gründlich lernt?
Böhmer: Wie so oft: Es kommt darauf an und hängt vom eigenen Anspruch ab. Ich persönlich bin mit unserem Konzept sehr zufrieden, denn in meiner Wahrnehmung sind kardiologische Patient:innen oft internistisch komplex erkrankt. Man muss also auch eine Pneumonie, einen entgleisten Diabetes oder einen Harnwegsinfekt behandeln können und nicht hilflos sein, wenn jemand plötzlich Bauchschmerzen hat. Wichtig ist, dass man sich frühzeitig Gedanken macht, ob das Ausbildungs- und Facharztkonzept (erst Innere Medizin oder direkt Innere Medizin und Kardiologie) einer Klinik zu den eigenen Vorstellungen passt.
Valina: Eine letzte Frage: Was würdest du jungen Kolleg:innen mit auf den Weg geben, die am Anfang ihrer ärztlichen Laufbahn stehen und Kardiolog:in werden möchten?
Böhmer: Das Wichtigste ist, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wo die eigenen Interessen, Schwerpunkte und Wünsche liegen. Macht es mir etwas aus, viel und gegebenenfalls auch unter Druck zu arbeiten? Interessiere ich mich für Forschung – und wenn ja, eher für die Grundlagenforschung oder klinische Forschung? Will ich zuerst den Facharzt für Innere Medizin oder lieber direkt den Facharzt für Kardiologie machen?
Unabhängig von der Beantwortung dieser Fragen halte ich es für entscheidend am Anfang an ein Haus mit hoher Fallzahl zu gehen und sich potenzielle Kliniken sehr genau anzusehen. Im Übrigen ist es in Ordnung, wenn man nach ein paar Monaten feststellt: Das passt nicht. Dann kann man sich immer noch frühzeitig neu orientieren.
Valina: Vielen Dank, Andreas! Ich hoffe, das hilft anderen Studierenden genauso wie mir.
Andreas: Sehr gerne – und alles Gute!