Breiter QRS-Komplex: Neuer Algorithmus erlaubt schnelle Differenzialdiagnose

Eine Breit-QRS-Komplex-Tachykardie kann lebensbedrohliche, aber auch völlig harmlose Ursachen haben. Eine rasche Differenzialdiagnose ist daher entscheidend. Ein neuer, einfach zu handhabender Algorithmus könnte Ärzte dabei unterstützen.

Von Veronika Schlimpert

 

03.06.2022

Bei Nachweis einer Tachykardie mit breitem QRS-Komplex sollte schnell differenziert werden: Handelt es sich um eine potenziell lebensbedrohliche ventrikuläre Tachykardie (VT) oder um eine zumeist harmlose supraventrikuläre Tachykardie (SVT)? Das sofort herauszufinden, ist gar nicht so einfach, gerade für in der Elektrophysiologie nicht ganz so erfahrene Ärztinnen und Ärzte.

 

Kardiologen um Dr. Federico Moccetti vom Universitätsklinikum Basel haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, einen neuen, einfach zu handhabenden Algorithmus zu entwickeln, der Ärzte in der Entscheidungsfindung unterstützen soll. Zwar gebe es bereits einigen Kriterien und Algorithmen, die zur Unterscheidung von VT und SVT mit gestörter intraventrikulärer Erregungsleitung entwickelt worden seien, etwa der Brugada- oder Vereckei-Algorithmus, erläutern sie. Doch diese seien umständlich, weil sie mehrere Schritte und eine Evaluation der QRS-Morphologie erforderten.

Algorithmus mit nur 3 Kriterien

Mocetti und Kollegen konzentrierten sich deshalb auf wenige, aber aussagekräftige Kriterien zur Unterscheidung von VT und SVT. Diese identifizierten sie, indem sie mehrere potenzielle Unterscheidungsmerkmale an 12-Kanals-EKGs von 206, elektrophysiologisch bestätigten monomorphen Breit-QRS-Komplex-Tachykardien testeten, darunter 153 VT und 53 SVT. Dabei erwiesen sich folgende drei Parameter als am aussagekräftigsten:

 

  1. Klinische Hochrisikofaktoren: Herzinfarkt in der Anamnese, Herzinsuffizienz (LVEF ˂ 35%), ICD- oder CRT-Therapie,
  2. Ableitung II: Zeit bis zur ersten Zacke > 40 ms (Beginn des QRS-Komplexes bis zum ersten Ausschlag, egal ob negativ oder positiv),
  3. Ableitung aVR: Zeit bis zur ersten Zacke > 40 ms (Beginn des QRS-Komplexes bis zum ersten Ausschlag, egal ob negativ oder positiv).

 

Trafen zwei dieser drei Kriterien zu, lag mit hoher Wahrscheinlichkeit eine VT vor, anderenfalls war es eine SVT. Die Sensitivität und Spezifität des als Basel-Algorithmus benannten Scores lag in der Derivationskohorte bei 92% und 89%, die Genauigkeit betrug 91%.

Diagnostische Performance vergleichbar mit bestehenden Algorithmen

Anschließend testeten Mocetti und sein Team die Performance des neuen Algorithmus an einer externen Validierungskohorte, bestehend aus 203 Breit-QRS-Komplex-Tachykardien (151 VT, 52 SVT). In dieser Kohorte lag die Sensitivität, Spezifität und Genauigkeit des Scores bei entsprechend 93%, 90% und 93%. Hinsichtlich dieser diagnostischen Kenngrößen stand der neue Algorithmus den bestehenden Algorithmen (Brugada und Vereckei) in nichts nach, die Werte waren vergleichbar.

 

In der unmittelbaren klinischen Anwendung, also wenn ein Arzt die Algorithmen anwendet, schnitt der neue Basel-Algorithmus hinsichtlich der diagnostischen Genauigkeit signifikant besser ab als der Vereckei-Algorithmus (im Mittel 81% vs. 72%; p=0,03). Keinen Unterschied gab es zwischen den Basel- und Brugada- Algorithmen.

Vorteil: Simpel und schnell

Der entscheidende Vorteil des neuen Algorithmus ist den Autoren zufolge aber seine Einfachheit, durch die eine schnelle Anwendung möglich wird. So benötigten die an der Studie beteiligten Ärzte signifikant weniger Zeit bis zur Diagnosestellung, wenn sie den Basel-Algorithmus statt der anderen beiden Algorithmen verwendeten (im Mittel 36 vs. 105 Sekunden [Brugada] bzw. vs. 50 Sekunden [Vereckei]; p=0,002 bzw. 0,02).

Besonders profitieren Ärzte in Ausbildung

Den größten Zeitvorteil durch Einsatz der neuen Parameter erreichten dabei Ärztinnen und Ärzte, die weniger mit der Elektrophysiologie vertraut waren, wie Internisten oder Kardiologen in Ausbildung. Dies deute darauf hin, dass der Basel-Algorithmus wegen seiner geringen Komplexität und hohen diagnostischen Genauigkeit in der klinischen Praxis überaus geeignet sei, folgern die Studienautoren daraus, insbesondere für Ärzte in der Ausbildung, um eine schnelle Diagnose einer Breit-QRS-Komplex-Tachykardie zu gewährleisten.

 

Trotz allem geben Mocetti und sein Team zu bedenken, dass „weder ihre Herangehensweise noch der verfügbare Algorithmus perfekt sind“. Die Validität des Basel-Algorithmus zur Unterscheidung von VT und SVT mit breitem QRS-Komplex müsse in weiteren prospektive Studien evaluiert werden, machen sie deutlich. Womöglich werden in Zukunft, wie die Kardiologen ausführen, automatisierte Anwendungen eine noch genauere und schnellere Differenzialdiagnose erlauben.


Literatur

Moccetti F et al. Simplified Integrated Clinical and Electrocardiographic Algorithm for Differentiation of Wide QRS-Complex Tachycardia. J Am Coll Cardiol EP 2022; https://doi.org/10.1016/j.jacep.2022.03.017

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