„Komplexe“ PCI: Gewinn durch frühe Monotherapie mit P2Y12-Hemmer

Eine frühzeitige P2Y12-Hemmer-Monotherapie im Anschluss an eine nur kurze duale Antiplättchentherapie ist auch nach „komplexen“ Koronarinterventionen eine vorteilhafte Strategie zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse, bestätigt eine neue Metaanalyse.

Von Peter Overbeck

 

08.02.2023

Kaum ein kardiologisches Thema ist in jüngster Zeit wissenschaftlich so intensiv erforscht worden wie die optimale Gestaltung der antithrombotischen Therapie mit Plättchenhemmern nach perkutaner Koronarintervention (PCI) mit Stentimplantation. In einer inzwischen nur noch schwer zu überschauenden Zahl von Studien sind dazu diverse innovative Behandlungskonzepte vor allem mit dem Ziel, Blutungsereignisse weiter zu reduzieren, klinisch geprüft worden.

 

Eine Strategie, die sich dabei als erfolgreich herauskristallisiert hat, besteht darin, die duale Antiplättchentherapie (DAPT) mit ASS plus P2Y12-Hemmer auf nur ein bis drei Monate zu verkürzen und daran eine längerfristige Monotherapie mit einem P2Y12-Hemmer (unter Verzicht auf ASS) anzuschließen. Gezeigt wurde, dass eine solche Strategie vor ischämischen Ereignissen ebenso gut schützt wie eine längerfristige standardmäßige DAPT, aber mit einem deutlich niedrigeren Blutungsrisiko einhergeht.

Signifikant niedrigeres Blutungsrisiko als Vorteil

Dieser klinische Vorteil wird jetzt durch Ergebnisse einer umfangreichen Metaanalyse erhärtet. Danach bestand bezüglich des Risikos für die Ereignisse Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall kein Unterschied zwischen einer frühzeitiger P2Y12-Hemmer-Monotherapie nach nur ein- bis dreimonatiger DAPT und einer längerfristigen Standard-DAPT. Die P2Y12-Hemmer-Monotherapie ging jedoch im Vergleich mit einer signifikanten Reduktion von Blutungsereignissen einer.

 

Der besondere Erkenntnisgewinn aus der Metaanalyse: Nach ihren Ergebnissen war der klinische Vorteil der frühzeitigen P2Y12-Hemmer-Monotherapie unabhängig von der prozeduralen „Komplexität“ der PCI; er kam sowohl bei komplexen als auch bei nicht komplexen PCI-Prozeduren gleichermaßen zum Tragen.

Jede fünfte PCI-Prozedur als „komplex“ eingestuft

Der Metaanalyse einer internationalen Gruppe von Studienautorinnen und -autoren um Prof. Marco Valgimigli vom Cardiocentro Ticino Institute in Lugano liegen individuelle Daten von 22.941 Patientinnen und Patienten zugrunde, die im Rahmen von fünf klinischen Studien einer PCI unterzogen worden waren.

 

Bei 4.685 Studienteilnehmern (20,4%) war die PCI-Prozedur als „komplex“ eingestuft worden. Komplexität war dabei anhand von Kriterien wie Behandlung von drei Koronargefäßen oder von drei oder mehr Koronarläsionen, gesamte Stentlänge > 60 mm, Behandlung von Bifurkationsstenosen mit zwei Stents oder Revaskularisation bei chronischem Koronarverschluss definiert. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war eine Kombination der Ereignisse Tod jeglicher Ursache, Myokardinfarkt und Schlaganfall.

Die vier wesentlichen Ergebnisse der Metaanalyse

Die Studiengruppe um Valgimigli rückt vier wesentliche Ergebnisse ihrer Metaanalyse in den Blickpunkt. Diese habe gezeigt,

 

  • dass das Risiko für tödliche und ischämische Ereignisse gemäß primärem Endpunkt bei Patienten mit komplexen PCI-Prozeduren signifikant höher war als bei Patienten mit nicht komplexen Prozeduren (3,86% vs. 2,98%; Hazard Ratio, HR: 1,28; 95%-KI: 1,04–1,59; p = 0,02), bei einem numerisch, aber nicht signifikant höherem Blutungsrisiko. 

  • dass der frühzeitige Switch auf eine Monotherapie mit einem P2Y12-Hemmer mit dem gleichen Risiko für tödliche und ischämische Ereignisse assoziiert war wie eine fortgesetzte DAPT, und zwar sowohl bei Patienten mit komplexer PCI (3,61% vs. 4,1%; HR: 0,87; 95%-KI: 0,64–1,19) wie auch mit nicht komplexer PCI (2,75% vs. 3,21% ; HR: 0,91; 95%-KI: 0,76–1,09; p-Wert für Interaktion = 0,770).

  • dass die Strategie der frühen P2Y12-Hemmer-Monotherapie das Risiko für schwerwiegende Blutungsereignisse (BARC 3 oder 5) im Vergleich zur verlängerten DAPT signifikant um etwa die Hälfte reduzierte, auch dies sowohl bei Patienten mit komplexen (1,08% vs. 2,25%; HR: 0,51; 95%-KI: 0,31–0,84; p= 0,008) wie auch mit nicht komplexen PCI-Prozeduren (0,86% vs. 1,76%; HR: 0,49; 95%-KI: 0,37–0,64; p < 0,001).

  • dass das Hauptergebnis der Studie – ein für die P2Y12-Hemmer-Monotherapie gezeigter Vorteil bezüglich des Blutungsrisikos ohne Verlust an Schutz vor tödlichen oder ischämischen Ereignissen – in allen Subgruppen- und Sensitivitätsanalysen bestätigt wurde.

 

Der Effekt der frühen P2Y12-Hemmer-Monotherapie erwies sich als unabhängig davon, welcher P2Y12-Hemmer zum Einsatz kam und zu welchem Zeitpunkt (nach einem oder nach drei Monaten) die ASS-Therapie abgesetzt wurde. Allerdings sei Ticagrelor in den der Metaanalyse zugrunde liegenden Studien überrepräsentiert und Prasugrel unterrepräsentiert gewesen, zudem sei Clopidogrel vorwiegend bei asiatischen Patienten zum Einsatz gekommen, so die Autoren. Mit der Frage, ob der spezifische Typ des P2Y12-Hemmers Einfluss auf den gezeigten Benefit der P2Y12-Hemmer-Monotherapie in Relation zur Standard-DAPT hat, müsse sich deshalb die künftige Forschung noch befassen.

 

Insgesamt stellten die Ergebnisse der Metaanalyse die „zentrale Rolle der DAPT über die ersten drei Monate nach erfolgter PCI hinaus infrage“, schlussfolgern Valgimigli und seine Mitautoren. Die Metaanalyse stützte eine Praxisveränderung hin zur frühen Einleitung einer Monotherapie mit einem P2Y12-Hemmer nach PCI – und zwar unabhängig von deren Komplexität.


Literatur

Gragnano F. et al. P2Y12 Inhibitor Monotherapy or Dual Antiplatelet Therapy After Complex Percutaneous Coronary Interventions. J Am Coll Cardiol 2023;81:537–552

Das könnte Sie auch interessieren

Betablocker nach Herzinfarkt: Neue Studie soll endlich Klarheit schaffen

Dass Betablocker nach Herzinfarkt von klinischem Nutzen sind, haben Studien gezeigt, die schon Jahrzehnte alt sind. Darüber, ob deren Ergebnisse im Kontext der modernen Postinfarkttherapie noch Bestand haben, herrscht Unsicherheit. Eine große Studie soll nun für Klarheit sorgen.

Neue Hypertonie-Leitlinien: Wie Patienten mit Bluthochdruck heute behandelt werden sollten

Mit der Mitte 2018 erfolgten Aktualisierung der ESC-Hypertonie-Leitlinien sind wichtige praxisrelevante Neuerungen im Management von Patienten mit Bluthochdruck eingeführt worden. Sie waren auch Thema bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) 2019 in Mannheim.

Koronarintervention bringt bei stabiler Angina doch was

Die ORBITA-Studie hat die Wirkung einer Katheterintervention bei KHK-Patienten mit stabiler Angina pectoris in Zweifel gestellt. Die Ergebnisse der FAME 2-Studie zeigen dagegen einen eindeutigen Nutzen der Intervention.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen