Erhöhtes Risiko für MINOCA durch Kälte?

 

Kälte erhöht bekannterweise das Herzinfarkt-Risiko. In einer chinesischen Studie wurde jetzt untersucht, ob frostige Außentemperaturen einen unterschiedlichen Einfluss haben könnten auf das Risiko für einen Myokardinfarkt mit obstruktiver koronarer Herzkrankheit (MI-CAD) oder ohne obstruktive koronare Herzkrankheit (MINOCA).

 

Der Experte Prof. Peter Ong (Robert Bosch Krankenhaus, Stuttgart) kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar

Prof. Peter Ong

Robert Bosch Krankenhaus, Stuttgart

 

14.01.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Rudy Balasko / Shutterstock.com

Bisheriger Stand der Forschung

 

Bei kalten Außentemperaturen verengen sich die Blutgefäße, was zum Blutdruckanstieg führt. Darüber hinaus tragen weitere Effekte einer Kälte-Exposition zur stärkeren Belastung des Herzens bei, wie erhöhte Blutviskosität, erhöhter Sauerstoffbedarf und ansteigende Katecholamin-Spiegel. Diese kombinierten Effekte lassen Kälte zu einem Trigger für Herzinfarkt werden.1 Obwohl Kälte als unabhängiger Risikofaktor für einen akuten Myokardinfarkt gilt, gibt es bisher keine Erkenntnisse darüber, ob kühle Witterung unterschiedliche Effekte auf einen Myokardinfarkt mit obstruktiver koronarer Herzkrankheit (MI-CAD) oder ohne obstruktive koronare Herzkrankheit (MINOCA) haben kann.

Studiendesign

 

Unter Verwendung der Datenbank der Chinese Cardiovascular Association – Chest Pain Center Registry wurde von 2015 bis 2021 eine landesweite Studie durchgeführt. Die meteorologischen Daten wurden aus einem etablierten satellitengestützten Modell gewonnen, und die tägliche Exposition wurden entsprechend dem Auftreten des Myokardinfarkts individuell zugeordnet. Zur Schätzung der Expositions-Wirkungs-Beziehungen wurde ein logistisches Regressionsmodell in Kombination mit nicht-linearen Modellen verwendet.1

Ergebnisse

 

Insgesamt wurden 83.784 Personen mit MINOCA und 918.730 Personen mit MI-CAD eingeschlossen. Im Vergleich zur Referenztemperatur von 30° C erhöhten niedrigere Außentemperaturen das Risiko sowohl für MI-CAD als auch für MINOCA. Das erhöhte Risiko trat mit einer Verzögerung von 2 Tagen auf und dauerte bis zu einer Woche an. Beide Infarkttypen nahmen mit sinkenden Temperaturen zu. Allerdings verlief die Kurve für MINOCA fast linear, während die Kurve für MI-CAD ein Plateau ab etwa 15° C erreichte.


Extrem niedrige Temperaturen (ca. –15° C) waren mit einer wesentlich höheren Odds Ratio (OR) für MINOCA verbunden [OR 1,58, 95%-KI (1,31–1,90)] im Vergleich zu MI-CAD [OR 1,25, 95%-KI (1,04–1,50)], angepasst nach Alter und Geschlecht. Die Assoziationen von Kälte und Myokardinfarkten waren unabhängig von der Luftverschmutzung. Stärkere Effekte wurden bei Personen beobachtet, die ≥65 Jahre alt oder weiblich waren oder im Süden Chinas lebten. Es gab dagegen keinen signifikanten Unterschied zwischen den Auswirkungen von hohen Temperaturen auf MINOCA und MI-CAD.

Fazit

 

Insgesamt bestätigte diese Studie aus China, dass Kälte mit einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko einhergeht. Möglicherweise könnten Betroffene mit MINOCA sogar besonders anfällig für die Auswirkungen von Kälte-Stress sein.

Expertenkommentar von Prof. Peter Ong

 

Die Studie von Huang et al. ist interessant und reiht sich ein in Studien, die Umweltfaktoren wie Lärm, Temperatur und Luftverschmutzung im Zusammenhang mit dem Risiko eines Myokardinfarkts untersucht haben. Die Daten zeigen, dass eine niedrige Außentemperatur mit einem erhöhten Risiko für einen Myokardinfarkt einhergeht und dass dieses Risiko etwas höher für MINOCA als für MI-CAD ist.


Beim Lesen der Studie fallen zunächst die Einschlusskriterien auf. Patientinnen und Patienten mit MINOCA durften keine Vorgeschichte einer stenosierenden KHK haben und auch bisher keine koronare Revaskularisation. Darüber hinaus durften die MINOCA-Patientinnen und -Patienten keine epikardialen Stenosen >50 % aufweisen. Auch wenn die Grenze von 50 % für viele Studien und Definitionen für MINOCA verwendet wird, ist sie wahrscheinlich doch nicht gut geeignet, um eine saubere Klassifikation durchzuführen. Es ist schon lange bekannt, dass epikardiale Stenosen <50 % hämodynamisch relevant und im Gegenzug epikardiale Stenosen >50 % hämodynamisch nicht relevant sein können.3 Für eine saubere Analyse wäre daher auch ein Vergleich von Patientinnen und Patienten mit epikardialen Stenosen <20 % und solchen >90 % interessant gewesen. Die Einschlusskriterien für MI-CAD sind ebenfalls erwähnenswert. Dies war definiert als Patientinnen und Patienten mit Vorgeschichte einer stenosierenden KHK, einer erfolgten Revaskularisation oder einer Stenose >50 % in den Koronararterien. Gemeint waren wahrscheinlich Patientinnen und Patienten, die alle 3 Einschlusskriterien erfüllen, wie Abbildung 1 der Arbeit suggeriert.


Der Blick ins Supplementary Material lohnt sich, um die beiden Gruppen besser zu verstehen. Klinisch als STEMI präsentierten sich 27 % der MINOCA- im Vergleich zu 62% der MI-CAD-Gruppe. Dies erklärt auch eine deutlich längere Zeit von Symptombeginn bis zur Herzkatheteruntersuchung bei den MINOCA- im Vergleich zu den MI-CAD-Patientinnen und -Patienten (957 vs. 686 Minuten). Darüber hinaus waren in der MINOCA-Gruppe fast doppelt so viele COPD-Fälle im Vergleich zur MI-CAD-Gruppe.


Auch wenn die Prävalenz von MINOCA in der vorliegenden Studie von 9 % im Bereich der internationalen Literatur liegt, kann die Studie leider keine weitere Differenzierung der Mechanismen für die akute klinische Präsentation liefern. Hierzu zählen Koronarspasmen, eine mikrovaskuläre Dysfunktion, eine Spontandissektion der epikardialen Gefäße, eine Koronarembolie, etc. Somit bleibt unklar, ob eine dieser Entitäten besonders „empfindlich“ für niedrige Außentemperaturen ist. Die Autorinnen und Autoren betonen, dass Koronarspasmen bei Menschen aus Asien besonders häufig die Ursache für MINOCA sind. Dies wurde in der Studie aber nicht untersucht und leider wurde die Häufigkeit der Verschreibung von Kalziumantagonisten (First-line-Therapie bei Koronarspasmen) in der Entlassmedikation auch nicht angegeben. Überraschenderweise wurden aber 67 % der MINOCA-Gruppe mit einer DAPT (duale Thrombozytenaggregationshemmung) behandelt im Vergleich zu 79 % in der MI-CAD-Gruppe. Beide Zahlen sind überraschend, würde man doch davon ausgehen, dass fast alle Personen der MI-CAD-Gruppe eine DAPT benötigten und im Gegenzug eine DAPT bei MINOCA deutlich seltener indiziert wäre.


Schließlich sollte darauf hingewiesen werden, dass die gefundenen Unterschiede zwischen MINOCA und MI-CAD bei niedrigen Außentemperaturen gering sind (Odds Ratio 1,58 für MINOCA vs. 1,25 für MI-CAD). Trotzdem weisen die Daten darauf hin, dass niedrige Außentemperaturen das Auftreten eines Myokardinfarkts begünstigen können. Dies kann für präventive Maßnahmen von Bedeutung sein.


Referenzen

 

  1. Mohammad MA et al. Association of Weather With Day-to-Day Incidence of Myocardial Infarction: A SWEDEHEART Nationwide Observational Study. JAMA Cardiol. 2018 Nov 1;3(11):1081-1089. doi: 10.1001/jamacardio.2018.3466. PMID: 30422202; PMCID: PMC6583065.
  2. Huang J et al. Low ambient temperature and incident myocardial infarction with or without obstructive coronary arteries: a Chinese nationwide study. Eur Heart J. 2024 Oct 28:ehae711. doi: 10.1093/eurheartj/ehae711. Epub ahead of print. PMID: 39468415.
  3. Toth G et al. Evolving concepts of angiogram: fractional flow reserve discordances in 4000 coronary stenoses. Eur Heart J. 2014;35(40):2831-8. doi: 10.1093/eurheartj/ehu094. Epub 2014 Mar 18. PMID: 24644308.

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