Die Zukunft der Sportkardiologie: Potenziale der Digitalisierung

 

Die Digitalisierung bietet in der Sportkardiologie zukünftig eine Vielzahl von Möglichkeiten. Durch die Integration digitaler Technologien in die medizinische Praxis können zum einen neue Erkenntnisse zur kardiovaskulären Adaptation infolge intensiverer Sportausübung („Athletenherz“) gewonnen und zum anderen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten bei kardiovaskulär erkrankten Personen verbessert werden. Dabei spielen insbesondere die Nutzung physiologischer Daten, die mit Hilfe von Wearables etc. während des Trainings gewonnen werden sowie deren Analyse mit Hilfe künstlicher Intelligenz und Machine Learning eine entscheidende Rolle. Damit können zukünftig noch bessere Risikoeinschätzungen stattfinden und personalisierte Trainingssteuerungen, im Sinne einer personalisierten, präzisen und partizipativen Medizin, ausgesprochen werden.

 

Bildquelle (Bild oben): sutadimages / Shutterstock.com

Von:

PD Dr. Pascal Bauer
Sprecher der DGK-Arbeitsgruppe 32 Sportkardiologie

 

Senior-Editoren:

Prof. David Duncker, PD Dr. Philipp Breitbart, Dr. Hannah Billig

Herausgebende der Rubrik Digitale Kardiologie

 

23.08.2023

Die kardiovaskuläre Medizin erscheint als prädestiniert für die digitale Transformation im Gesundheitswesen, da sie historisch eng mit den allgemeinen technologischen Fortschritten in der Computertechnologie verbunden ist – insbesondere die Sportkardiologie, in der durch die etablierte Verwendung von tragbaren Geräten wie Smartwatches und Fitness-Trackern während der Sportausübung kontinuierlich physiologische Daten zur individuellen Trainingssteuerung für Leistungssporttreibende, aber auch für kardiovaskulär erkrankte Personen, herangezogen werden. Ziel ist hierbei das „Medikament“ Sport passgenau individuell für Patient:innen zu dosieren1 bzw. für Athlet:innen, die ideale Belastungssteuerung zu finden. Zudem bieten die neuen digitalen Technologien wie Machine Learning und künstliche Intelligenz (KI) Chancen, Vorhersagen zur individuellen Risikoeinschätzung, aber auch zum individuellen Therapieansprechen zu machen. Viele verschiedene Aspekte der Sportkardiologie werden davon profitieren.

Digital unterstützte Prävention und Diagnose in der Sportkardiologie

 

Im Bereich der Prävention werden hierbei insbesondere die frühzeitige Erkennung kardiovaskulärer Risikofaktoren und Erkrankungen sowie die individualisierte Trainingsplangestaltung, aber auch die Förderung einer Bewegungstherapieadhärenz im Vordergrund stehen. Durch die Analyse großer Datenmengen können Algorithmen entwickelt werden, individuelle Risikoprofile erstellt und auf deren Basis personalisierte Empfehlungen zur präventiven Sporttherapie gegeben werden. Darüber hinaus können digitale Plattformen genutzt werden, um Sportlerinnen und Sportler über gesunde Lebensgewohnheiten, Ernährung und Stressmanagement zu informieren und zu unterstützen. Dabei werden telemedizinische Betreuungsmöglichkeiten, KI-gestützte elektronische Tools (z. B. Apps) und Chatbots genutzt werden können.


Die Analyse des Ruhe-EKGs mit Hilfe von KI ermöglicht heute bereits eine Vorhersage des baldigen Auftretens von Vorhofflimmern bei Personen mit einem Sinusrhythmus-EKG,2,3 was ebenfalls zukünftig deren Trainingsempfehlungen beeinflussen wird. Zudem ermöglicht die valide und autonome Ableitung eines EKG im Alltag mit Hilfe von Smartwatches durch die Patient:innen selbst eine zusätzliche diagnostische Möglichkeit zur Detektion von Rhythmusstörungen.4 Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) hat im Juli 2021 ihre Position zum Einsatz von Wearables in der Detektion von Arrhythmien veröffentlicht und bietet dadurch Ärztinnen und Ärzten einen ausgewogenen Überblick samt Empfehlungen zum Umgang mit dieser Sensortechnologie.5

Neue Erkenntnisse durch KI und Wearables

 

Ebenso trägt die zusätzliche KI-gestützte EKG-Analyse zukünftig dazu bei, eine bessere Diskriminierung von EKG-Veränderungen bei Athletinnen und Athleten als physiologisch sportbedingter gegenüber pathologischer Adaptation vornehmen zu können. Die aktuell gültigen „International-Kriterien“6 zur Interpretation des Athleten-EKG sind heute bereits in automatisierten EKG-Software-Produkten integriert (z. B. ETM, Schiller AG, Schweiz). Dies erhöht insbesondere für leistungsorientierte Sporttreibende mit Wettkampfteilnahmen die Sicherheit, da auch sportkardiologisch unerfahrene Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Sporttauglichkeitsuntersuchung eine bessere Differenzierung zwischen physiologischer Adaptation und Pathologie vornehmen können.

Darüber hinaus werden durch die Integration weiterer durch Wearables, Pflaster und anderer Sensorsysteme gewonnener physiologischer (kontinuierliche nicht-invasive Blutdruck- und Hämodynamikmessungen, vaskuläre Funktionsmessungen, Schweißanalysen etc.), bildgebender (z. B. Echokardiographie, MRT) und anderer Parameter (z. B. Genetik) zukünftig wegweisende Erkenntnisse über physiologische sportbedingte Anpassungsmechanismen des kardiovaskulären Systems („Athletenherz“, „Athletenarterien“) gewonnen werden. Diese Erkenntnisse werden die Trainingssteuerung Leistungssporttreibender beeinflussen, aber auch zur Aufdeckung der Mechanismen, die zur detektierten vermehrten Koronarverkalkung bei langjährigen intensiv Sport treibenden Ausdauerathlet:innen führen, beitragen können.7 Zudem können hierdurch individuelle Kriterien zur sicheren Wiederaufnahme einer Sporttherapie nach Infekten und Myokarditiden festgelegt werden.

Therapie-Optimierung durch Echtzeitanalysen und Potenzial in der Rehabilitation

 

Die kontinuierliche Datenauswertung in Echtzeit durch die Integration von künstlicher Intelligenz während der Sportausübung kann zukünftig eine individuelle Detektion von Anomalien ermöglichen. Dies bietet vor allem kardiovaskulär erkrankten Personen, z. B. nach Herzinfarkt oder bei Herzinsuffizienz, neue Potenziale zur longitudinalen, individuellen und sicheren Steuerung der Sporttherapie. Darüber hinaus können digitale Therapieprogramme entwickelt werden, die passgenau, im Sinne eines „Rezeptes für Bewegung“, die individuelle Fitness in dieser Personengruppe steigern, ohne dabei das individuelle Risiko zu erhöhen.

Eine zusätzliche Chance im rehabilitativen Bereich (Sekundär- und Tertiärprävention) bietet die Telekardiologie, die die Patientensicherheit erhöht, das Patientenselbstmanagement verbessert und Nachsorgeuntersuchungen in der Arztpraxis reduzieren kann.8

Engagement der DGK für die digitale Gesundheit

 

Die DGK will sich proaktiv für nutzer- und patientenzentrierte Entwicklungen im Bereich der digitalen Gesundheit einsetzen und die digitale Präzisionsmedizin fördern. Entsprechend wurde kürzlich ein Positionspapier zur eCardiology9 veröffentlicht, welches einen strukturierten Ansatz zur Förderung der digitalen Transformation vorschlägt.

Fazit zur Digitalisierung in der Sportkardiologie

 

Zusammenfassend bietet die Digitalisierung gerade in der Sportkardiologie viele neue Möglichkeiten und wird dabei helfen, das Ziel der präzisen, personalisierten und partizipativen kardiovaskulären Medizin zu erreichen.

Weiterführender Link


Referenzen

  1. Pelliccia A, Sharma S, Gati S. et al. 2020 ESC Guidelines on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease. Eur Heart J (2021): 17-96
  2. Attia ZI et al. An artificial intelligence- enabled ECG algorithm for the identification of patients with atrial fibrillation during sinus rhythm: a retrospective analysis of outcome prediction. Lancet (2019):861–867.
  3. Wegner FK et al. Machine learning in the detection and management of atrial fibrillation. Clin Res Cardiol (2022):1010–1017
  4. Perez MV et al.  Large-Scale Assessment of a Smartwatch to Identify Atrial Fibrillation.
    N Engl J Med (2019):1909–1917.
  5. Veltmann, C., Ehrlich, J.R., Gassner, U.M. et al. Wearable-basierte Detektion von Arrhythmien. Kardiologe (2021): 341–353.
  6. Drezner JA, Sharma S, Baggish A. et al. International criteria for electrocardiographic interpretation in athletes: Consensus statement. Br J Sports Med (2017): 704-731.
  7. Ruben De Bosscher et al., on behalf of Master@Heart Consortium, Lifelong endurance exercise and its relation with coronary atherosclerosis. European Heart Journal, (2023): 2388-2399.
  8. Helms T et al. Grundlegende Strukturmerkmale eines kardiologischen Telemedizinzentrums für Patienten mit Herzinsuffizienz und implantierten Devices, Herzrhythmusstörungen und erhöhtem Risiko für den plötzlichen Herztod. Herzschr Elektrophys (2019):136–142.
  9. Meder, B., Duncker, D., Helms, T.M. et al. eCardiology: ein strukturierter Ansatz zur Förderung der digitalen Transformation in der Kardiologie. Kardiologie (2023): 12–26.

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