Bluthochdruck & Niereninsuffizienz: Chlortalidon offenbar doch wirksam

Thiaziddiuretika wie Chlortalidon werden bei Patienten mit Bluthochdruck und fortgeschrittener Niereninsuffizienz eher zurückhaltend eingesetzt. Es bestehen Zweifel an deren Wirksamkeit in dieser Indikation. Eine randomisierte Studie kommt nun zu einem anderen Schluss. Doch was folgt daraus?

Von Veronika Schlimpert

 

04.01.2022

Das Thiaziddiuretikum Chlortalidon hat sich bei Patienten mit fortgeschrittener Nierensuffizienz und unkontrolliertem Hypertonus als wirksam herausgestellt. In der im „New England Journal of Medicine“ publizierten randomisierten, doppelblinden CLICK-Studie reduzierte das Medikament über zwölf Wochen hinweg den Blutdruck im Vergleich zu Placebo deutlich. Neben den Effekten auf den Blutdruck verbesserte sich unter der Chlortalidon-Behandlung auch die Nierenfunktion der schwerkranken Patientinnen und Patienten.

 

„Die anhaltende Reduktion des Ausmaßes der Albuminurie durch den Einsatz von Chlortalidon deutet darauf hin, dass das Medikament das Potenzial hat, Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen einen kardiovaskulären und renalen Schutz zu bieten“, folgern die Autoren der Studie um Dr. Rajiv Agarwal von der Indiana University School of Medicine in Indianapolis aus ihren Daten.

Generelle Skepsis gegenüber Thiaziddiuretika bei niedriger GFR

Prinzipiell wird als antihypertensive Standardtherapie bei nierenkranken Hypertonikern zunächst ein Inhibitor des Renin-Angiotensins-Systems empfohlen, also ein ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorblocker. Doch ein einziger Blutdrucksenker reicht bei den meisten nierenkranken Patienten nicht aus, weshalb laut der aktuellen ESC-Leitlinien bei ihnen eine Kombination aus einem RAS-Blocker mit einem Kalizumkanalblocker oder einem Diuretikum eingesetzt werden sollte. Zu Thiaziddiuretika wird in dieser Indikation eher selten gegriffen, da generell davon ausgegangen wird, dass sie bei fortgeschrittenen Niereninsuffizienz-Stadien nicht mehr wirken. So wird in den aktuellen ESC-Leitlinien von 2018 dazu geraten, bei einer geschätzten GFR (eGFR) von ˂ 30 ml/min/1,73 m² Thiaziddiuretika durch die potenteren Schleifendiuretika zu ersetzen.

Patienten mit Niereninsuffizienz im Stadium 4

Die Ergebnisse der CLICK-Studie widersprechen nun der verbreiteten Annahme, Thiaziddiuretika seien bei Patienten mit fortgeschrittenen Nierenerkrankungen nicht effektiv. Für die Studie sind 160 Patienten und Patientinnen mit einer Niereninsuffizienz im Stadium 4, die trotz einer üblichen Bluthochdrucktherapie (im Schnitt hatten sie 3,4 Medikamente verordnet bekommen) an einem unkontrollierten Blutdruck litten, randomisiert worden: Die eine Hälfte erhielt als weiteres Antihypertensivum Chlortalidon (zunächst 12,5 mg/Tag, je nach Bedarf auftitriert auf maximal 50 mg/Tag), die andere Hälfte stattdessen ein Placebo. Die Randomisierung wurde nach der Einnahme von Schleifendiuretika stratifiziert; insgesamt hatten 60% der Teilnehmer ein Schleifendiuretikum eingenommen. Die Patienten wiesen zu Studienbeginn im Mittel eine eGFR von 23,2 ml/min/1,73 m² auf. Ihr ambulanter 24-Stunden-Blutdruck lag zum Zeitpunkt der Randomisierung im Schnitt bei 142,6/74,6 bzw. 140,1/72,8 mmHg in der Chlortalidon- bzw. Placebo-Gruppe.

Nach 12 Wochen deutliche Effekte auf den Blutdruck

12 Wochen später war der mittels 24-Stunden-Blutdruckmessung ermittelte systolische Blutdruck der Patienten aus der Chlortalidon-Gruppe im Mittel um 11,0 mmHg niedriger als zu Beginn (95%-KI: –13,9 bis –8,1), in der Placebo-Gruppe ist der Blutdruck hingegen nur um 0,5 mmHg abgefallen. Das entspricht einem Unterschied von 10,5 mmHg zwischen beiden Gruppen, der damit hochsignifikant war (p˂0,001). Der diastolische Blutdruck wurde um 4,9 mmHg mit Chlortalidon vs. 1 mmHg mit Placebo gesenkt.

 

Der Albumin-Kreatinin-Quotient, ein sekundärer Endpunkt, ist in der Chlortalidon-Gruppe innerhalb der 12 Wochen um 52% abgesunken, in der Placebo-Gruppe nur um 4%. Dieser Effekt blieb auch nach Absetzen der Therapie nach 12 Wochen während der darauffolgenden 2 Wochen bestehen (–38% mit Chlortalidon vs. –6% mit Placebo). Auch die NT-proBNP-Werte waren bei den mit dem Thiaziddiuretikum behandelten Patienten deutlich stärker abgesunken als in der Placebo-Gruppe (nach 12 Wochen –30% vs. -11%).

Reversibler Abfall der eGFR

Als unerwünschter Effekt der Behandlung wurde in der Chlortalidon-Gruppe ein Abfall der eGFR registriert, der sich nach Absetzen der Therapie wieder normalisierte. Es handelte sich somit um ein reversibles Phänomen. Weitere bereits bekannte Nebenwirkungen von Chlortalidon waren Hypokaliämien, ein reversibler Anstieg der Serumkreatinin-Konzentrationen, Hyperglykämien, Schwindelanfälle und Hyperurikämien.

Was sind die klinischen Implikationen?

Was lässt sich aus dieser Studie nun für die Praxis ableiten? „Diese Ergebnisse sollten die Bedenken, dass Chlortalidon als antihypertensive Substanz bei Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung vom Stadium 4 nicht wirkt, ausräumen“, äußerte sich der britische Nierenspezialist Prof. David Wheeler dazu in einem Editorial. Nichtsdestotrotz fragt sich der Experte, was die „klinischen Benefits“ der Behandlung sind?

 

Der am University College London tätige Nephrologe bezeichnet die Signale aus der Studie zwar als „vielversprechend“: Der prozentual deutlich stärkere Rückgang des Albumin-Kreatinin-Quotienten nach Chlortalidon-Hinzugabe deute auf einen durch die Substanz erzeugten Nierenschutz hin, erläutert er. Doch mit Blick auf klinische Implikationen äußert sich Wheeler zurückhaltend. Die Studie sei zu klein und zu kurz, um eine Aussage über den kardiorenalen Nutzen zu treffen, machte er deutlich. Zum momentanen Zeitpunkt hält der Experte eine Änderung der Praxis deshalb für verfrüht: „Ob die Zugabe von Chlortalidon zu einem Regime aus ACE-Inhibitoren oder Angiotensin-Rezeptorblockern die Progression der Nierenerkrankung weiter verlangsamen und das kardiovaskuläre Risiko ohne relevante Sicherheitsbedenken reduzieren wird, sollte durch die Beurteilung klinischer Ergebnisse in einer größeren Studie mit längerer Dauer ermittelt werden“, fordert er. Erst wenn entsprechend positive Resultate vorliegen, könne die Substanz auf ihren Zusatznutzen in der Therapie von chronischen Nierenerkrankungen geprüft werden.

 

Die Autoren der CLICK-Studie fordern ebenfalls eine Phase 3-Studie als Vorrausetzung für den Einsatz von Chlortalidon bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz. Neben der Studiengröße und -dauer weisen sie als Limitation auf den geringen Frauenanteil hin, gerade mal 22% der Teilnehmer in der CLICK-Studie waren weiblich. Dieser Umstand könnte insofern wichtig sein, da laut einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie Nebenwirkungen unter Thiaziddiuretika bei älteren Menschen und Frauen häufiger auftreten.

 


Literatur

Agarwal R et al. Chlorthalidone for Hypertension in Advanced Chronic Kidney Disease. N Engl J Med 2021;385:2507-19; DOI: 10.1056/NEJMoa2110730

 

Wheeler D. Chlorthalidone in Advanced Chronic Kidney
Disease — Have We Missed a Trick? N Engl J Med 2021;385:2574-5; DOI: 10.1056/NEJMe2118149

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